Von 1989 bis 2010 hat Gerd Kissel das Haus Schönberg geleitet. Heute lebt er in Bayern, verfolgt aber die Diskussion über die Zukunft des Standorts. Warum so viele Millionen Euro in das Heim investiert werden sollen, erschließt sich ihm nicht.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Schönberg - Mehr als 300 Kilometer und elf Jahre liegen zwischen Gerd Kissel und dem Pflegeheim Haus Schönberg in Stuttgart. Was nichts daran ändert, dass der 73-Jährige, der jetzt in einem Weiler beim bayrischen Tittmoning lebt, bestens informiert ist über die Debatte um das Heim, das er von 1989 bis 2010 geleitet hat. „Natürlich bewegt mich das auch emotional“, sagt er am Telefon. Er habe einen großen Teil seiner Lebenszeit am Röhrlingweg verbracht.

 

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Die Diskussionen darüber, ob aus dem Haus in Schönberg künftig ein Pflegeheim für Reiche werden könnte, regt Gerd Kissel auf, wie er sagt. „Braucht man in Stuttgart noch ein Augustinum oder noch ein Nikolaus-Cusanus-Haus?“, fragt er. Nötiger seien doch Plätze für Leute mit weniger üppigem Finanzpolster.

Haus Schönberg war für 15 Millionen Euro im Angebot

Er kann nicht nachvollziehen, warum das Gebäude, das bis vor Kurzem per Aushang für 15 Millionen Euro zum Verkauf angeboten wurde, komplett entkernt werden soll. Ihm kommt das mehr als übertrieben vor. Unter seiner Leitung sei das Pflegeheim erst in den Jahren 2007 und 2008 fit für die Zukunft gemacht worden. Das Gebäude sei damals entkernt und gemäß der Heimbauverordnung umgebaut worden, ein Blockheizkraftwerk sei beispielsweise eingebaut worden, aus dem einst 120 Plätzen seien 99 geworden. Kurz und knapp: „Man kann das Licht einschalten und das Haus als stationäre Einrichtung nach SGB 11 Soziales Pflegeversicherungsgesetz weiter betreiben“, urteilt er. „Mir ist nicht bekannt, was die Bruderhaus-Diakonie beim Auszug an Gerätschaften und technischer Infrastruktur mitgenommen hat, aber die angezeigten 11,6 Millionen Euro Investitionskosten für die Wiederinbetriebnahme der Einrichtung sind aus meiner Sicht nicht realistisch.“

Drei Investoren stehen nun auf der Liste

Zur Erinnerung: Seit die Bruderhaus-Diakonie, Eigentümerin und Betreiberin, Anfang 2021 aus dem Heim ausgezogen ist, steht die Immobilie zum Verkauf. Weil es an Pflegeheimplätzen mangelt, ist das Thema bei der Stadt Stuttgart zur Chefinnensache erhoben worden. Die Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann hat in mehreren Gesprächen mit unserer Zeitung betont, dass dort unbedingt wieder ein Pflegeheim eröffnen soll. Nachdem sich zunächst kein Interessent zu finden schien, stehen dem letzten Erkenntnisstand unserer Zeitung nach drei mögliche Investoren auf der Liste. Allerdings zeichnet sich auch ab, dass die Plätze durch die horrenden Investitionskosten nicht gerade erschwinglich werden könnten.

Die Bruderhaus-Diakonie mit Sitz in Reutlingen bittet um Verständnis, dass sie „Kalkulationen für bauliche Maßnahmen, die andere gegebenenfalls vorgelegt haben, nicht beurteilen kann“, teilt die Sprecherin Sabine Steininger auf Nachfrage mit. „Tatsache ist, dass die Landesheimbauverordnung bauliche Standards für Pflegeeinrichtungen und stationäre Einrichtungen vorgibt. Ihre Umsetzung erfordert finanzielle Investitionen.“ Die Bruderhaus-Diakonie investiere in diesem Zusammenhang rund 144 Millionen Euro in ihre Einrichtungen in Baden-Württemberg, so Steininger. „Davon unabhängig sind Investitionen zur Erhaltung von Gebäuden für Träger fortlaufend zu tätigen. Entsprechend ist die Sanierung und Erhaltung des Seniorenzentrums Schönberg zu sehen.“

Die Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann sagt auf Anfrage: „Die Bruderhaus-Diakonie hat aus wirtschaftlichen Gründen das Seniorenzentrum Schönberg aufgegeben, da die Flächen im Pflegebereich pro Pflegeplatz über den im Verhältnis üblichen und als wirtschaftlich anzusehenden Werten liegen.“ Demnach lasse sich der Pflegebereich aufgrund der baulichen Gegebenheiten wirtschaftlich nicht sinnvoll führen. „Mit dem Hintergrund der Landesheimbauverordnung erscheint eine deshalb grundlegende Sanierung des Gebäudes oder ein Neubau an dem Standort erforderlich.“

Warum der ehemalige Heimleiter lieber nicht ins Pflegeheim will

Gerd Kissel räumt ein, dass das Haus bereits unter seiner Führung „immer schon im Schatten der Wirtschaftlichkeit“ lag. Dennoch hebt er die Bedeutung des Standorts für alle Einkommensschichten hervor. Seiner Ansicht nach sollte auch der OB Frank Nopper aktiv werden. „Wer heute zögert, dass Notwendige für die Zukunft zu tun, muss wissen, dass die zu lösenden Probleme morgen umso größer sein werden“, sagt Kissel. Er selbst lebt übrigens mit Frau und Hund auf einem Ferienbauernhof in einem sogenannten Austraghaus, in früheren Zeiten eine Art Alterssitz für Bauern. Er kann aber freilich nicht ausschließen, irgendwann ins Pflegeheim zu müssen. Ein Szenario, das er lieber verhindern würde, nicht nur wegen des Mangels an Plätzen. „Wer weiß, wie ich mich da aufführen würde als ehemaliger Heimleiter.“