Hart und nicht immer fair geht es zu, wenn Expertisen diskutiert werden. Was lässt sich dagegen tun?

Stuttgart - Es ist ja nicht so, dass sich Wissenschaftler immer verklausuliert ausdrücken würden. Das Team von Martin Kranert von der Universität Stuttgart hat in einem Gutachten zum Wegwerfen von Lebensmitteln deutliche Worte gefunden: Mindestens 47 Prozent der Lebensmittel, die im Müll deutscher Haushalte landen, hätte man noch genießen können – das sind durchschnittlich 38 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) präsentierte die Studie vor zwei Wochen und zog gleich Konsequenzen: Sie startete eine Kampagne, um Verbraucher darüber aufzuklären, dass man die meisten Lebensmittel auch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums bedenkenlos verzehren dürfe. Denn dieses Missverständnis sei ein Grund dafür, dass zu viele genießbare Lebensmittel weggeworfen werden.

 

Doch auch zu diesem Punkt haben sich Martin Kranert und seine Mitarbeiter klar geäußert. In ihrer Studie halten sie fest: „Bis dato liegen keine Untersuchungen vor, dass ein fehlendes Verständnis des Begriffs in direktem Zusammenhang mit einer hohen Wegwerfrate von Lebensmitteln im Haushalt steht.“ Die Sache mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum werde überschätzt. Die Forscher empfehlen zwar eine Aufklärungskampagne, doch sie haben andere Ursachen im Blick: Sie vermuten, dass Verbraucher oftmals mehr einkaufen, als sie benötigen. Daher setzen sie auf ein „Kochtool zur Berechnung der richtigen Portionsgröße“ und „Informationen zur optimalen Lagerung von Lebensmitteln“.

Die Kampagne der Ministerin kommt nicht überraschend: Ilse Aigner hatte sich schon zuvor für mehr Aufklärung in Sachen Mindesthaltbarkeitsdatum ausgesprochen. Doch kann sich ein Wissenschaftler dagegen wehren, dass seine Expertise zur Begründung missbraucht wird? Der Soziologe Peter Weingart von der Universität Bielefeld sieht nur eine Möglichkeit: Der Wissenschaftler kann öffentlich sagen, dass er falsch interpretiert worden sei. „Doch damit begibt er sich in das politische Geschäft der Interpretation“, warnt Weingart. Der Wissenschaftler werde dann – wie ein Politiker – als Vertreter bestimmter Interessen angesehen und nicht mehr als Garant unabhängiger Expertise.