Reportage: Frank Buchmeier (buc)

In den folgenden drei Jahren streiten sich Carola und Tom häufig, manchmal sogar vor dem Jungen. Sie ist chronisch unzufrieden, leidet unter ihrer Entweder-oder-Ehe, die sie daran hindert, ihre Gefühle auszuleben. Ihm wird mit der Zeit bewusst, dass seine Ehe scheitern wird, wenn er nicht über seinen Schatten springt. „Lass es uns halt probieren, ob es funktioniert, wenn du neben mir mit einer Frau zusammen bist“, sagt Tom.

 

Euphorisch besucht Carola ihre lesbische Freundin und erzählt ihr, dass der Weg für eine gemeinsame Zukunft nun endlich frei sei. Die entgegnet kühl: „Sorry, aber das mit uns beiden wird nichts.“ Die unerwartete Abfuhr stürzt Carola in eine Sinnkrise. Sie ist bereits Mitte 30 und führt noch immer eine Existenz, die nicht ihrem Ich entspricht. Schließlich ist es ihr Ehemann Tom, der sie dazu ermutigt, dem Liebesglück nachzuhelfen: „Such dir halt eine andere Frau.“

Carola, die schüchterne fränkische Bauerntochter, zieht zunächst durch Stuttgarts regenbogenfarbene Szeneclubs – und findet dort keinen Anschluss. Sie flüchtet sich in die Anonymität des Internets, legt sich bei der lesbischen Community Lesarion ein Nickname-Profil an – und bemerkt, dass Homosexuelle, obwohl sie selbst einer Randgruppe angehören, keineswegs toleranter sind als der Rest der Menschheit. „Sobald ich preisgab, dass ich mit einem Mann verheiratet bin, wollten die Frauen nichts mehr von mir wissen“, erzählt sie. „Den meisten Lesben sind Bisexuelle suspekt.“

„Amidala“ geht auf die Suche

Eine Ausnahme ist Meike. Männer haben die 26-jährige Plochingerin sexuell noch nie interessiert, soziologische Experimente dagegen schon. „In meiner Generation ist man offen und neugierig“, sagt sie. Als Meike auf Lesarion neben all den Frauen, die sich „Sweetheart88“ oder „Teuflisch0877“ nennen und vor allem erotische Abenteuer suchen, „Amidala“ entdeckt, ist ihr Interesse geweckt. Wer gibt sich den Namen einer Star-Wars-Heldin, die in der Science-Fiction-Saga als „wunderschön, gütig, aber traurig“ beschrieben wird?

Wochenlang schicken sich Meike und Carola Kurznachrichten hin und her. Die eine verrät, dass sie Philosophie studiert, sich intensiv mit Erich Fromms gesellschaftskritischen Schriften beschäftigt und am Ende ihrer letzten Partnerschaft schmerzhaft erfahren musste, dass sie belogen und betrogen worden war. Die andere berichtet von ihrem Sohn und ihrem Ehemann, der aus einem konservativen schwäbischen Elternhaus stamme und dem sie es umso höher anrechne, dass er ihr zuliebe dazu bereit sei, für sie mit tradierten Vorstellungen zu brechen. „Ich kann dir gar nicht alles schreiben, was ich dir mitteilen will.“ – „Dann sollten wir uns treffen.“

Carola stammt aus einer fränkischen Bauernfamilie. Von klein auf war ihr klar, dass sie einmal heiraten und Kinder kriegen will. Bis heute ist Tom der einzige Mann, mit dem sie geschlafen hat. „Ich bin eine treue Seele“, sagt sie. „Und wenn ich einen Menschen liebe, dann will ich auch mit ihm zusammen sein.“

Vor vier Jahren erzählt sie ihrem Ehemann, dass sie künftig neben ihm gerne eine lesbische Frau an ihrer Seite haben wolle. Tom ist entsetzt. Für ihn besteht eine Paarbeziehung aus zwei Menschen, die sich versprechen, exklusiv füreinander da zu sein, bis der Tod diese Symbiose beendet. So wie er es Carola bei der kirchlichen Trauung versprochen hat. Er sieht sich als Monopolist ihrer Sexualität. Carola mit einer Lesbe teilen? Niemals! Sie gibt nach – „weil ich Tom nicht verlieren wollte“.

„Lass uns halt probieren, ob es funktioniert“

In den folgenden drei Jahren streiten sich Carola und Tom häufig, manchmal sogar vor dem Jungen. Sie ist chronisch unzufrieden, leidet unter ihrer Entweder-oder-Ehe, die sie daran hindert, ihre Gefühle auszuleben. Ihm wird mit der Zeit bewusst, dass seine Ehe scheitern wird, wenn er nicht über seinen Schatten springt. „Lass es uns halt probieren, ob es funktioniert, wenn du neben mir mit einer Frau zusammen bist“, sagt Tom.

Euphorisch besucht Carola ihre lesbische Freundin und erzählt ihr, dass der Weg für eine gemeinsame Zukunft nun endlich frei sei. Die entgegnet kühl: „Sorry, aber das mit uns beiden wird nichts.“ Die unerwartete Abfuhr stürzt Carola in eine Sinnkrise. Sie ist bereits Mitte 30 und führt noch immer eine Existenz, die nicht ihrem Ich entspricht. Schließlich ist es ihr Ehemann Tom, der sie dazu ermutigt, dem Liebesglück nachzuhelfen: „Such dir halt eine andere Frau.“

Carola, die schüchterne fränkische Bauerntochter, zieht zunächst durch Stuttgarts regenbogenfarbene Szeneclubs – und findet dort keinen Anschluss. Sie flüchtet sich in die Anonymität des Internets, legt sich bei der lesbischen Community Lesarion ein Nickname-Profil an – und bemerkt, dass Homosexuelle, obwohl sie selbst einer Randgruppe angehören, keineswegs toleranter sind als der Rest der Menschheit. „Sobald ich preisgab, dass ich mit einem Mann verheiratet bin, wollten die Frauen nichts mehr von mir wissen“, erzählt sie. „Den meisten Lesben sind Bisexuelle suspekt.“

„Amidala“ geht auf die Suche

Eine Ausnahme ist Meike. Männer haben die 26-jährige Plochingerin sexuell noch nie interessiert, soziologische Experimente dagegen schon. „In meiner Generation ist man offen und neugierig“, sagt sie. Als Meike auf Lesarion neben all den Frauen, die sich „Sweetheart88“ oder „Teuflisch0877“ nennen und vor allem erotische Abenteuer suchen, „Amidala“ entdeckt, ist ihr Interesse geweckt. Wer gibt sich den Namen einer Star-Wars-Heldin, die in der Science-Fiction-Saga als „wunderschön, gütig, aber traurig“ beschrieben wird?

Wochenlang schicken sich Meike und Carola Kurznachrichten hin und her. Die eine verrät, dass sie Philosophie studiert, sich intensiv mit Erich Fromms gesellschaftskritischen Schriften beschäftigt und am Ende ihrer letzten Partnerschaft schmerzhaft erfahren musste, dass sie belogen und betrogen worden war. Die andere berichtet von ihrem Sohn und ihrem Ehemann, der aus einem konservativen schwäbischen Elternhaus stamme und dem sie es umso höher anrechne, dass er ihr zuliebe dazu bereit sei, für sie mit tradierten Vorstellungen zu brechen. „Ich kann dir gar nicht alles schreiben, was ich dir mitteilen will.“ – „Dann sollten wir uns treffen.“

An einem warmen Nachmittag im Mai 2013 sitzen sich die beiden Frauen auf einer Bierbank vor dem „Palast der Republik“ zum ersten Mal gegenüber. Sie fühlen sich sofort auf einer Wellenlänge, da stören auch die gut zehn Jahre Altersunterschied nicht. Beim dritten Date vergessen sie die Zeit – die letzte S-Bahn, die Meike heim nach Plochingen bringen könnte, ist weg. Als Tom eine Stunde später vom Stammtisch mit seinen Kumpels in die eheliche Wohnung kommt, hängt an der Schlafzimmertür ein Zettel: „Achtung! Meike übernachtet heute bei mir.“ Tom verzieht sich aufs Sofa im Wohnzimmer, am nächsten Morgen kauft er Frühstücksbrötchen für vier Personen ein.

Gut zwei Jahre ist das nun her. Längst ist Meike bei dem Ehepaar eingezogen, Carola schläft mal bei ihr und mal bei Tom. Ob sie einen Plan aufstellen, wann wer bei wem übernachtet, wollen sie nicht verraten. Lieber sprechen sie allgemein über ihren Lebensentwurf, es fallen Sätze wie: „All den Menschen, die man mag, sollte man mit Zuneigung und Intimität begegnet dürfen.“

„Harmonie ist wichtiger als ein Orgasmus“

Carola hat Sex mit Tom und Meike, Tom hat nur Sex mit Carola, Meike hat nur Sex mit Carola. Sollte sich einer von den Dreien in eine vierte Person verlieben, wäre das auch kein Problem. Da die Polyamorie im Gegensatz zur Monogamie keinen Ausschließlichkeitsanspruch vertritt, besteht auch keine Notwendigkeit, eine Beziehung zu beenden, wenn einer der Partner parallel weitere Beziehungen eingeht. „Wichtig ist, dass man aufpasst, dass sich keiner ausgeschlossen fühlt“, doziert Meike, die als Philosophiestudentin den akademischen Überbau der Triade liefert. Wenn sich beispielsweise Tom nach menschlicher Nähe sehne, dürfe er jederzeit bei Carola und Meike an die Schlafzimmertür klopfen. Dann werde halt zu dritt gekuschelt. „Harmonie ist wichtiger als ein Orgasmus“, sagt Meike.

Selbstverständlich können auch Polyamoristen eifersüchtig werden. Damit diese dunkle Macht die Mehrfachbeziehung nicht zerstört, wird sie verbal seziert. In den endlosen Gesprächsrunden herrscht eine Offenheit, die Beziehungsnormalos als schonungslos empfinden würden. „Keiner von uns hat Geheimnisse vor den anderen“, sagt Meike. „Wir geben uns viel Mühe miteinander, versuchen klipp und klar über unsere Wünsche und Bedürfnisse zu reden.“ Das Ziel der Diskussionen ist, dass alle stets dem Polyamorie-Leitsatz folgen: Freu dich, dass noch weitere Menschen deinen Partner lieben, denn es ist gut für ihn.

So weit die rosarote Theorie, doch wie funktioniert dieses Beziehungskonzept im grauen Alltag? „Ich finde alles geil und spannend“, antwortet Tom, der einstige Anhänger der traditionellen Paarbeziehung. „Das Leben ist einfacher geworden, seit Meike zu uns gehört.“ Im Haushalt gebe es nun drei Erwachsene, die sich fürsorglich um den kleinen Kolja kümmern. Und unter den Eheleuten herrsche ein freundlicherer Umgangston – „weil da eine dritte Person ist, die alles mitbekommt, was man dem anderen an den Kopf wirft“. Als kürzlich die ordnungsversessene Carola den nonchalanten Tom anbäffte, weil er mal wieder seine Schuhe nicht ins Regal geräumt hatte, solidarisierte sich Meike mit dem Opfer der Wutattacke: „Komm mal wieder runter, Carola. Wegen so einem Pipifax macht man seinem Partner keine Szene.“

Gefangene der gesellschaftlichen Konvention

Es ist wohl kein Zufall, dass Tom und Meike von den schönen Erfahrungen schwärmen, die sie zu dritt sammeln, während Carola vorwiegend über die Schattenseite der randständigen Lebensform spricht. Scheinbar ist sie als diejenige, die von zwei Menschen geliebt und begehrt wird, die Begünstigte in der Dreierkonstellation. Aber zweifellos bürdet ihr diese Stellung die größte Verantwortung auf: Ohne Carola wäre das komplexe Liebesverhältnis niemals entstanden und niemand der Beteiligten dazu gezwungen, ein Doppelleben zu führen. Zwar leben die drei in ihrer Privatsphäre polyamor, aber außerhalb davon sind sie Gefangene der gesellschaftlichen Konventionen.

In der westlichen Kultur darf man im Laufe seines Lebens mehrere Partner hintereinander haben, aber mit mehreren Partnern parallel zusammen zu sein gilt als anrüchig. „Warum und mit welchem Recht werden Menschen diskriminiert, die mehrere Menschen gleichzeitig lieben?“, fragt sich Carola. Bisher hat die 37-Jährige nicht einmal ihrer Mutter anvertraut, dass Meike mehr als eine gute Freundin ist. „Ich fürchte mich vor den Reaktionen. Ich habe Angst, dass unsere Art des Zusammenlebens negative Konsequenzen haben könnte.“

Womöglich sind Carola, Meike und Tom bloß der Zeit voraus. „Eines Tages wird die Mehrpersonenehe selbstverständlich sein“, prophezeit jedenfalls Deutschlands renommiertester Sexualforscher, Volkmar Sigusch. „Ich bin überzeugt, dass Polyamorie die Zukunft unserer Kultur ist. Allein schon, weil wir immer älter werden und folglich immer länger mit einem Partner zusammenbleiben sollen.“ Allerdings seien die allermeisten von uns für eine solche Beziehung „noch zu ichbezogen“.