Mohamad Alsheikh Ali ist ein syrischer Journalist und Flüchtling in Stuttgart. Für unsere Zeitung blickt er in einer eigenen Kolumne auf sein Leben im Exil und schreibt über Themen, die ihn als Flüchtling bewegen. Cedric Rehman porträtiert den 31-Jährigen. Er kennt Mohamad von seinen Recherchen in Syrien.

Aleppo/Stuttgart - Nackte Betonwände, Matratzen auf dem Boden, dazwischen Zigarettenpackungen. Der erste Blick nach kurzem Schlaf fällt auf unser etwas trostloses Lager einige Kilometer nördlich von Aleppo. Der Schlaf will nicht weichen. Der Schlaf ist friedlich. Wachsein bedeutet sich einlassen auf den neuen Tag im Krieg. Mohamad will mir helfen. Er kommt mit einer Plastiktüte durch die Tür. Darin das dünne syrische Fladenbrot und eine Dose mit einem türkischen Energy Drink. Wo er den aufgetrieben hat, hab ich ihn bis heute nicht gefragt. Ich weiß nur noch, wie ich mich freue über die klebrige Brause mit Koffein und Gummibeerengeschmack. Ein Stück heile Konsumwelt in einer bunten Dose, plötzlich so lieb gewonnen wie ruhige Nächte ohne Beschuss.

 

Zum Frühstück gibt es Fladenbrot und Zigaretten. Mohamad und sein Freund Bilal teilen ihre Rationen mit mir. Wir sind nur knapp eine Woche im Mai 2013 unterwegs im Norden Syriens. Mit dabei ist der Allmersbacher Faruk al-Sibai. Er sammelt mit anderen Deutsch-Syrern Lebensmittel und Medikamente für die damals noch von der Freien Syrischen Armee (FSA) gehaltenen Gebiete zwischen der türkisch-syrischen Grenze und der umkämpften Metropole Aleppo.

Mohamad verlangt für die Hilfe kein Geld von den Journalisten

Wir passieren auf unserer Reise Friedhöfe, an denen Stapel von Grabsteinen liegen. Der syrische Bürgerkrieg ist schon vor drei Jahren eine gut geölte Todesmaschine, die Menschen verschlingt und Leichen ausspuckt. Bilal al-Doomany und Mohamad Alsheikh Ali sind Journalisten und arbeiten mit ausländischen Reportern zusammen. Journalisten wie ich können im Frühsommer 2013 noch nach Syrien reisen, was heute, dreieinhalb Jahre später, nicht mehr möglich ist. Der IS hat sich damals noch nicht formiert, die Türkei hat die Grenze nicht abgeriegelt. Mohamad und Bilal führen ihre Kollegen aus dem Ausland durch die Ruinen ihres Landes, ohne dafür Geld zu verlangen. Sie sind keine Fixer, also bezahlte Mittelsmänner, wie wir Journalisten das nennen.

Sie glauben an die syrische Revolution und an das Gewissen der Welt, der nur die Augen geöffnet werden müsste, wie sie sagen. Die beiden Männer unterstützen mit ihrer Arbeit als Übersetzer und Ansprechpartner für Medien die FSA. Dennoch sind sie den Kämpfern nicht in unkritischer Liebe verbunden. Sie sehen sie als bewaffneten Arm einer Revolution, die von der Regierung in Blut erstickt wurde, als sie friedlich auf den Straßen ihre Forderungen formulierte. Für sie ist klar, dass die Rebellen die Kellner sind, der Koch aber das Volk sein muss. Das Volk, das sich 2013 in den vom Regime befreiten Gebieten in Selbstverwaltungskomitees organisiert. Das Volk, das dabei ist, eine eigene Gerichtsbarkeit zu schaffen, die nichts damit gemein hat. was später der IS Scharia nennen wird.

Mohamads Freund Bilal berichtet, gefoltert worden zu sein

Bilal al-Doomany zeigt mir bei unserer gemeinsamen Reise ein Gefängnis für gefangene Soldaten des Assad-Regimes. Er gibt ihnen die Hand, fragt sie für mich darüber aus, wie sie behandelt und versorgt werden. Abends berichtet er mir dann, wie die Anhänger des Regimes ihn gefoltert haben. Wie er verschleppt werden sollte in das Lager Tadmur bei Palmyra. Dort spielt sich unter anderem ab, was das US-Außenministerium 2014 nach den Enthüllungen des Überläufers Cäsar „Massenvernichtung im industriellen Ausmaß“ nennen wird. Das Gleiches nicht mit Gleichem vergolten werden darf, wenn Syrien ein Land des Anstands und der Menschlichkeit werden soll, steht für Mohamads Kollegen Bilal fest. Er gibt seinen Feinden die Hand.

Nach wenigen Tagen lasse ich Mohamad und Bilal am Grenzübergang Bab-al-Salam zurück. Der Abschied fällt schwer. Ich schultere meinen Rucksack und gehe zurück in ein Leben, das in der Türkei mit einer heißen Dusche und einem kalten Bier anfängt. Für Mohamad Alsheikh Ali und Bilal al-Doomany beginnen dagegen Monate des Terrors aus der Luft durch die Fassbombenabwürfe des Regimes und des Terrors am Boden durch den neuen tödlichen Feind, den IS.

„Reporter ohne Grenzen“ setzt sich für die beiden Syrer ein

Ein halbes Jahr später, im November 2013, erreicht mich eine Mail aus Syrien. Meine beiden Freunde stehen auf der Todesliste des IS. Die FSA kann ihnen vor den Häschern und Selbstmordattentätern keinen Schutz bieten, weil sie selbst ums Überleben kämpft. Ich überlege, was ich tun kann, um meinen Freunden zu helfen. Sie selbst fliehen Hals über Kopf in die Türkei, wissend, dass ihnen dorthin die Mörder des IS folgen könnten. Journalisten in Frankreich und ich schalten die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ ein. Sie beginnt gerade damit, syrische Journalisten aus dem Land zu holen und für sie ein Exil zu finden. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, gegen Fassbomben und Sprengstoffgürtel.

Der Kampf mit Papieren und gegen die Bürokratie dauert Monate. Eine Zeit, in der Bilal al-Doomany als Tagelöhner in Istanbul schuftet und Mohamad Alsheikh Ali in Gaziantep in der Südosttürkei bei Verwandten unterkommt. Im Sommer 2014 wird Bilal nach Berlin ausgeflogen. Mohamad bangt bis zum letzten Moment, ob er die Türkei verlassen kann. Immer wieder stellt er sich im März 2015 am Flughafen in Istanbul in die Schlange, um seinen von „Reporter ohne Grenzen“ gebuchten Flug zu bekommen. Immer wieder fällt den türkischen Grenzbeamten ein Grund ein, warum er, seine Frau und sein einjähriger Sohn das Land nicht verlassen dürfen. Die Berichterstattung in der Stuttgarter Zeitung und Druck durch „Reporter ohne Grenzen“ helfen schließlich. Mohamads Flieger in ein neues Leben hebt von Istanbul nach Stuttgart ab.

Aus dem Reporter wird der Flüchtling

Ich sehe Mohamad erst einige Wochen später wieder, da ich unterwegs bin als Reporter in der Ukraine. Wir umarmen uns in einem Flüchtlingsheim in Feuerbach. Ich erlebe in den künftigen Monaten, wie aus Mohamad, dem syrischen Reporter, der syrische Flüchtling wird. Wie sich in unsere Gespräche immer mehr deutsche Sätze schleichen. Wie bei süßem Tee und viel Herzlichkeit dieser Mann sich nicht kleinkriegen lässt von seinem irrsinnigen Schicksal. Mohamad Alsheikh Ali lacht gern und viel, und er ruht in sich selbst. Er beobachtet seinen Alltag und saugt aus den Erfahrungen mit Behörden, was vielleicht einmal nützlich sein könnte für den Aufbau eines demokratischen Syriens. Wie die meisten Syrer träumt er von einer Rückkehr und gleichzeitig bemüht er sich um Job, Wohnung, die deutsche Sprache. Träumen ist eben das eine, leben das andere. Eines vermissen Mohamad Alsheikh Ali und unser Freund Bilal besonders: ihre journalistische Arbeit. Die Freunde haben sich erst nach mehr als einem Jahr Flucht in Deutschland wiedergesehen. Da entwickelten sie die Idee, als syrische Journalisten für die deutschen Leser über die syrische Gemeinschaft in der Bundesrepublik zu schreiben. Damit die Deutschen aus erster Hand erfahren können, wer die neuen Mitbürger sind, was sie erleben und von was sie träumen. Sie möchten aus ihrer Perspektive über die neue Heimat berichten. Bilal al-Doomany hofft, das in Berlin zu tun, Mohamad Alsheikh Ali setzt die Idee in Stuttgart um. Er wirft einen syrischen Blick auf den Kessel.

Unterstützt wird der 31-Jährige bei der Kolumne, die von heute an in loser Reihe in dieser Zeitung erscheint, von einem anderen syrischen Journalisten: Mahmoud Youssef Ali (28) ist Stipendiat der Otto-Bennecke-Stiftung und studiert in Karlsruhe. Er übersetzt die Texte ins Deutsche.