Schurke, Liebhaber, Held: der Schauspieler Devid Striesow beeindruckt durch seine Spielfreude und seine Vielfalt. Jetzt ist er in der ARD als Transsexueller zu sehen.

Stuttgart - Für Menschen in kreativen Berufen ist es nicht ungewöhnlich, an zwei oder drei Projekten zur selben Zeit zu arbeiten. Die meisten müssen dafür nicht mal ihren Schreibtisch verlassen. Bei Devid Striesow ist es indes schon vorgekommen, dass er vormittags und nachmittags an verschiedenen Drehorten für unterschiedliche Filme vor der Kamera und abends ganz woanders auf der Bühne stand. „Es gibt in der Tat immer wieder mal unruhige Tage“, bestätigt er, „aber ich bin gern unterwegs und nehme meine Familie so oft wie möglich mit.“ Was wie Rastlosigkeit wirkt, ist offenbar tatsächlich nichts anderes als Spielfreude. Striesow wird im Herbst vierzig und kann schon jetzt auf die stattliche Filmografie von rund hundert Kino- und Fernsehprojekten zurückblicken. Dabei steht er erst seit 13 Jahren vor der Kamera; 1999 beendete er sein Schauspielstudium, 2000 folgte sein Kinodebüt in Rainer Kaufmanns Ingrid-Noll-Verfilmung „Kalt ist der Abendhauch“. Seither hat Striesow in jedem Jahr mindestens einen wichtigen Film- oder Fernsehpreis bekommen – und in manchen Jahren bis zu zehn Filme gedreht. Die Zahl überrascht ihn selbst, aber seine Erklärung leuchtet ein: „Ich übe meinen Beruf einfach wahnsinnig gern aus. Um es mit Macbeth zu sagen: ‚Die Arbeit, die wir lieben, tut nicht weh’. Daher relativiert sich der Zeitaufwand. Ich genieße Dreharbeiten und bin keineswegs zwanghaft arbeitswütig.“

 

Das Verblüffendste an Striesows umfänglichem Schaffen ist seine Vielfalt. Bei den meisten seiner Kollegen ist das anders: Die einen spielen romantische Liebhaber, andere den Helden und eine dritte Gruppe immer den Schurken; Striesow spielt alles. Mit seinem freundlichen Gesicht und dem pausbäckigen Lächeln ist er prädestiniert für Charaktere, die mit einer Herausforderung wachsen. Und er ist die ideale Besetzung, wenn eine Figur von ihren Gegenspielern unterschätzt wird. Schließlich ist er auch ein vortrefflicher Bösewicht, weil der Kontrast zwischen Antlitz und Auftritt so groß ist. „Der Reiz des Berufes besteht ja darin, in möglichst unterschiedliche Charaktere zu schlüpfen. Es gibt Kollegen, die sich unverwechselbare Merkmale zulegen. Ich verschwinde lieber hinter meinen Rollen.“ Striesow hat auch eine plausible Definition für den Unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Arbeit: „Man muss versuchen, den Rhythmus der Rolle mit dem eigenen Rhythmus in Einklang zu bringen. Wenn das nicht gelingt, steht man immer etwas neben der Figur. Der Zuschauer hat das Gefühl, man verkörpere eine Rolle nicht, sondern spiele sie nur.“

Der Aufschrei nach seiner „Tatort“-Premiere hat ihn überrascht

Am liebsten sind ihm, wie allen Schauspielern, Rollen, die er immer weiterentwickeln kann. Während der treue Martensen aus „Bella Block“ (ZDF) meist bloß der Assistent seiner Chefin war, hat Striesow in der Figur des neuen „Tatort“-Kommissars aus Saarbrücken ungleich größeres Potenzial gesehen. Der Auftakt („Melinda“) war der Beweis, dass der Schauspieler das richtige Gespür hatte: Der Hauptkommissar Jens Stellbrink ist ein schräger Typ. Bei Publikum und Kritik fiel der Film allerdings komplett durch. Die Heftigkeit der Reaktionen hat Striesow, der am Entwurf der Figur maßgeblich beteiligt war, überrascht: „Ich hatte zwar gehofft, dass der Film polarisiert, aber mit einem derartigen Aufschrei haben wir alle nicht gerechnet. Die Zuschauer sind in Bezug auf den ‚Tatort’ einfach extrem sensibel.“

Der Reiz der Figur Stellbrinks liegt in ihrer Doppelbödigkeit, doch das Fernsehpublikum schätzt unberechenbare Krimihelden offenbar nicht sonderlich. Striesow ist es aber wichtig, seine Rollen möglichst vielschichtig darstellen. Deshalb sind seine Schurken oft so sympathisch: „Bei einem Verbrecher will ich nach Möglichkeit zeigen, warum er so geworden ist, und dass er vielleicht ein bemitleidenswerter Mensch ist. Manchmal genügen Nuancen, um die Fantasie des Publikums entsprechend anzuregen. Alles andere fände ich langweilig.“

Wie wandlungsreich Striesow ist, belegt auch der Film „Transpapa“, den die ARD heute zeigt. Der Schauspieler verkörpert in dem aus Sicht eines jungen Mädchens erzählten Drama einen transsexuellen Mann. Gerade so eine Figur, sagt Striesow, schüttle man nicht aus dem Ärmel. „Ich habe eigentlich nie Angst vor einer Rolle, aber bei diesem Film hatte ich große Berührungsängste, zumal man am Theater viel mehr Zeit hat, Dinge auszuprobieren. Beim Film hat man diese Zeit nicht, und wenn die Dreharbeiten zu Ende sind, kann man nichts mehr korrigieren. Erschwerend kommt hinzu, dass es in der Schauspielerei in der Regel kein Richtig oder Falsch gibt, sondern unendliche viele Möglichkeiten, einen Menschen zu verkörpern.“