Brücken gehen früher kaputt als geplant, vor allem Autobahnbrücken. Der Lastwagenverkehr setzt den Überwegen zu. Ihre Sicherheit ist aber noch garantiert, denn die Überwachung ist eng getaktet.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Stuttgart - Es ist kühl, nass und ungemütlich an diesem Morgen in Gaildorf (Kreis Schwäbisch Hall). Die Wolken hängen tief über den bewaldeten Hügeln. Es regnet fast pausenlos. Doch Michael Lutz ist schlimmere Bedingungen für seinen Außeneinsatz gewohnt. „Wir arbeiten bei jedem Wetter, außer bei starkem Nebel und Glätte. Nur dann ist die Gefahr für unsere Mitarbeiter wegen des Verkehrs zu groß.“ Der Bauingenieur hämmert auf dem Spritzbeton der Brücke, die über den träge dahinfließende Kocher führt. Mal saust sein Hammer in rascher Folge, mal streicht Lutz mit ihm nur über die Oberfläche und spitzt die Ohren. An einem Punkt klingt es heller. Hier hat sich eine Hohlstelle gebildet, vermutlich Rost an den Bewehrungseisen. Irgendwann könnte dort die äußere Betonhaut abplatzen. „Noch ist es aber nicht allzu schlimm“, erklärt Lutz. „Es sind keine Risse zu sehen.“ So markiert der 28-Jährige den Bereich nur mit blauer Kreide, damit er bei künftigen Kontrollen im Blick bleibt.

 

Brückenprüfung heißt das Zauberwort

Brückenprüfung nennt sich die Prozedur, die Lutz mit seinem vierköpfigen Team an der 1955 gebauten „dreifeldrigen Bogenbrücke mit Verblendmauerwerk“ vornimmt und die jede der etwa 120 000 Straßenbrücken in Deutschland regelmäßig über sich ergehen lassen muss. Eine Norm, nämlich die DIN 1076, regelt seit 1930 das Verfahren. Eine Hauptprüfung gibt es demnach mindestens alle sechs, eine einfache Prüfung mindestens alle drei Jahre. Dazu kommen noch die regelmäßigen Checks der Straßenmeistereien. Von daher brauche sich trotz der teils maroden Infrastruktur in Deutschland niemand Sorgen um die Sicherheit machen, meint Lutz: „Wir haben ein sehr hohes Sicherheitsniveau.“ Bei der Hauptprüfung muss das Team „handnah“ an jede Stelle des Bauwerks heran. Das geht nur mit Spezialapparaten wie dem 35 Tonnen schweren, mehrere Hunderttausend Euro teuren Brückenuntersichtsgerät. Es hat sechs Achsen, ist zwölf Meter lang und vier Meter hoch. Damit lässt sich eine Art Arbeitsbühne samt Lift unter die Bauwerke schwenken. Auch entlegene Stellen werden so erreicht.

Abnutzung durch den Verkehr, die Witterung oder Tausalz sind besonders im Blick. Die Kontrolleure vermessen Risse, überprüfen Schrauben und Bolzen, setzen bei Bedarf Spezialapparate ein und nehmen Proben. Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit sind die entscheidenden Kriterien. Am Ende gibt es eine Note. Besser als die 2,8, die bei der letzten Kontrolle herauskam, wird es diesmal wohl nicht. Die Skala reicht von 1,0 bis 4,0. Das heißt: noch ist hier keine Gefahr im Verzug, aber eine nötige Instandsetzung rückt immer näher. „Bei einer Vier müsste man sofort handeln, das wäre sehr gravierend, kommt aber quasi nie vor“, sagt Lutz.

Lkw-Fahrer müssen lange Umwege fahren

Falls doch, ist die Aufregung groß wie im letzten Dezember. Da musste die A 1 bei Leverkusen für schwere Lastwagen gesperrt werden, weil gefährliche Risse entdeckt worden waren. Gewerkschaften, Firmen und Wirtschaftsverbände schlugen Alarm. Die Grünen sprachen vom „Super-GAU der Infrastrukturpolitik“, und die Lkw-Fahrer mussten lange Umwege fahren.

Das ist zwar nur ein Einzelfall, er wirft aber ein Schlaglicht auf den Zustand zahlreicher Brücken. Mit Überholverboten für Lastwagen, Geschwindigkeitsbeschränkungen oder dem Stopp von Schwertransporten haben die Behörden nämlich auch an anderen Orten auf den Verschleiß reagiert. Viele Brücken müssen in den nächsten Jahren verstärkt oder erneuert werden, heißt es zum Beispiel in einem Gutachten, das der Experte Joachim Naumann für den Bundesverband der Deutschen Industrie erstellt hat. Das gelte besonders für die Überwege, die in den 60er, 70er und 80er Jahren im Westen errichtet wurden. In einer Expertise für die Verkehrsministerkonferenz heißt es ferner, dass etwa jede zweite der 38 800 Brücken an Bundesfernstraßen den Warnwert von 2,5 überschritten habe. Offenbar sei die Erhaltung vernachlässigt worden.

Der Bund hat ein Ertüchtigungsprogramm gestartet

Besonders betroffen sind nach den Erhebungen die Großbrücken an Autobahnen. Häufig, sagt Naumann, rechne sich Renovierung und Verstärkung nicht, sondern sei ein Neubau wirtschaftlicher. Deshalb kalkulieren Fachleute auch mit Kosten von rund sieben Milliarden Euro in den nächsten Jahren. Wenn im Zuge dessen auch noch Trassen verlegt und Strecken ausgebaut werden, kommt die Sache noch teuerer. Immerhin hat die Politik die Dringlichkeit erkannt. Der Bund startete vor rund zwei Jahren ein Ertüchtigungsprogramm und stockte die Mittel für den Erhalt der Brücken auf den ursprünglich vom Verkehrswegeplan vorgesehenen Betrag auf.

Für die Misere gibt es verschiedene Ursachen. So wurden, weil es an Erfahrungen mit Spannbeton mangelte, viele dieser Brücken aus heutiger Sicht nicht stabil genug gebaut. Außerdem sind die Überwege viel stärker belastet als ursprünglich gedacht, weil der Verkehr sich in den vergangenen 40 Jahren teils mehr als verdoppelt hat. Zudem ist die Zahl der Lastwagen gestiegen, hat sich deren Gesamtgewicht erhöht, gibt es mehr Sonder- und Schwertransporte, und oft sind die Fahrzeuge auch noch überladen. Das Gewicht ist aber der entscheidende Faktor dafür, wie stark eine Straße in Mitleidenschaft gezogen wird. Ein Lkw kann im Vergleich zu einem Personenwagen ohne Weiteres einen 100 000fach höheren Verschleiß hervorrufen. So altern die Brücken nicht nur quasi im Zeitraffer. Sie sollen auch noch den vermutlich stark steigenden Verkehr der Zukunft verkraften. Angesichts dieser Herkulesaufgabe gibt es immerhin einen Lichtblick: Mit neuen Materialien und moderner Bauweise ließen sich in Zukunft Brücken bauen, die weniger Wartung brauchen und länger halten, versprechen die Ingenieure.