Die Köpfe der drei größten Gruppierungen verfolgen längst nicht mehr ein gemeinsames Ziel. Die Ereignisse vom Montag vertiefen die Gräben.

Stuttgart - Der Stuttgarter Journalist und Kolumnist Joe Bauer hat als Gastredner in der friedlich gebliebenen Demonstration gegen Stuttgart 21 am vergangenen Montag nicht nur an den Sturm auf die Bastille erinnert, dem in Frankreich mit dem Nationalfeiertag gedacht wird - und zwar am Tag der Stresstestschlichtung, dem 14. Juli. Er hat sich in seinem Beitrag vor allem gegen die Unterstellung diverser Projektbefürworter gewehrt, der Widerstand sei mittlerweile tief gespalten und deshalb mehr oder weniger in der Auflösung begriffen. Der Vorwurf treffe, wenn überhaupt, nur auf die führenden Köpfe der Bewegung zu. Die Masse der Projektgegner ziehe dagegen weiter an einem Strang.

 

Ob die in ihrer Ablehnung gegen den Bau des Tiefbahnhofs und den Kahlschlag im Schlossgarten vereinten Bürger nach den dramatischen Ereignissen am Montagabend auf dem Gelände des Grundwassermanagements weiter nebeneinander marschieren, wird sich bald weisen: am 9. Juli steht die nächste Großdemonstration an. Namhafte Widerständler halten es für denkbar, dass jene Demonstranten, die keine Polizisten angreifen wollen sowie Sachbeschädigungen jeder Art als untaugliche Mittel betrachten und auch nicht "Grube auf, Grube rein, Grube zu" rufen wollen, künftig von aktivem Protest rund um den Hauptbahnhof absehen werden.

Die Spannungen zwischen den Widerstandsgruppen - Grüne, Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 sowie die Parkschützer-Initiative mit Sprecher Matthias von Herrmann - sind augenscheinlich und seit Montagabend nicht geringer geworden. Die neuen Bündnissprecher Brigitte Dahlbender und Hannes Rockenbauch waren in der vergangenen Woche auf Distanz zum grünen Part der neuen Landesregierung gegangen, die - ob sie will oder nicht - ein Partner der Projektbefürworter ist und sich vertraglich an Förderpflichten halten muss. Ursache für die Kritik der Aktionsbündnisspitze: im Streit über die Deutungshoheit beim Stresstest für den Tiefbahnhof hat sich Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) als beratungsresistenter Alleingänger entpuppt.

Das Aktionsbündnis spielt nur noch eine Nebenrolle

Wahr ist: in der Schlichtung Ende 2010, die den Stresstest erst ermöglicht hat, war das Bündnis der kompetente Widerpart der Projektbefürworter, die Grünen waren lediglich Gäste am Verhandlungstisch gewesen. Jetzt spielt das Bündnis die Nebenrolle, die Landesregierung geizt mit Informationen. Sauer aufgestoßen ist Dahlbender, die am Dienstag noch einmal betonte, "dass man Dinge, die nicht gut laufen, offen ansprechen muss", der "Antrittsbesuch" von Verkehrsminister Hermann bei der Parkschützer-Initiative, also jener Oppositionsgruppe, die ihrem eigenen Widerstandsplan folgt, sich keiner Teamordnung unterwirft, sich nicht an der Überzeugungsarbeit beteiligt und dem politischen Gegner Möglichkeiten zur Fundamentalkritik eröffnet. Er brauche die Straße, soll sich der Verkehrsminister gerechtfertigt haben. Das Aktionsbündnis, das an 79 Tagen stets friedliche Demonstrationen veranstaltet und sich ein ums andere Mal für eine zivilisierte Auseinandersetzung eingesetzt hat, musste sich brüskiert fühlen.

Die Landes-Grünen sind in eine missliche Lage geraten: zu mehr als dem Allgemeinplatz, es gebe für gewalttätiges Vorgehen gegen die Polizei keine Rechtfertigung, war die Fraktionsvorsitzende Edith Sitzmann am Dienstag nicht zu bewegen. An wen sich ihre Kritik richtet und welche Konsequenzen sich aus den Vorfällen ergeben, lässt sich der Mitteilung nicht entnehmen. Dass die Stürmung des Geländes und die Sachbeschädigungen den Widerstand diskreditierten, hat wenigstens Ministerpräsident Winfried Kretschmann festgestellt.

Deutlicher ist indes das Aktionsbündnis geworden: Brigitte Dahlbender hat sich nicht nur von den Vorkommnissen distanziert, was dringend nötig erschien, weil sich erstmals auch Montagsdemoklientel straffällig verhalten hat; sie hat auch Konsequenzen angekündigt. Der Hinweis, künftig werde der montägliche Protestzug wieder am Schlossplatz enden, bedeutet nichts anderes, als dass sie "ihre" Demonstranten nicht mehr in die Nähe des Parkschützer-Bereichs am Schlossgarten ziehen lassen will.

Parkschützer von Herrmann ist längst zum Problem geworden

Matthias von Herrmann, der Sprecher der Initiative, die dem Widerstand mit innovativen Aktionen und Spontaneität die nötige Aufmerksamkeit verschaffte, ist in den Augen der Bündnisspitze längst zum Problem geworden. Man wirft ihm vor, er sei aufgrund seiner starken Medienpräsenz abgehoben und unfähig, sein Verhalten und das seiner Anhänger kritisch zu reflektieren. Der StZ liegt ein Mailverkehr vor, der deutlich macht, dass von Herrmann vor wenigen Wochen eine Demo des Aktionsbündnisses ohne Absprache umgemeldet hatte und einen Hauskrach provozierte. Die Korrespondenz beweist: das Bündnis will sich nicht länger vorführen lassen.

Seine Mitteilung vom Montag, in der er im Lichte der Ereignisse "im Namen der Besetzer des Grundwassermanagements ein Ende der Verfolgung und Kriminalisierung des Widerstands" forderte und erklärte, es müssten jene juristisch verfolgt werden, "die ohne Baugenehmigung und unter Missachtung von Regeln und Gesetzen bauen und Bürgerrechte mit Füßen treten", werten seine Gegner als weiteres bedenkliches Anzeichen. Derlei Aussagen haben vor Monaten den Urvater des Stuttgart-21-Widerstands, Gangolf Stocker, veranlasst, sich von der Initiative zu distanzieren. Freilich waren Stocker zuletzt auch einzelne Vertreter des heterogenen Aktionsbündnisses suspekt geworden.

Der Streit über Stuttgart 21 und seine Protagonisten

Der Streit und seine Protagonisten

Historie: Nach dem Baustart im Februar 2010 kam es am 30. September zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten im Schlossgarten, in deren Folge Hunderte Menschen verletzt wurden. Die Bahn und die schwarz-gelbe Landesregierung erklärten sich zur Diskussion über das Projekt im Rahmen einer Schlichtung Ende 2010 bereit, in der ein Stresstest für den geplanten Tiefbahnhof beschlossen wurde. Der Test muss eine um 30 Prozent höhere Leistungsfähigkeit als der Hauptbahnhof erbringen, lautete die Forderung. Die Ergebnisse sollen am 14. Juli im Rathaus präsentiert werden. Im Herbst ist zudem ein Volksentscheid geplant. Am vergangenen Montag haben Hunderte von Demonstranten die Baustelle des Grundwassermanagements gestürmt.

Widerstand: Neben den Grünen gibt es in Stuttgart und in der Region eine bunte Mischung an Projektgegnergruppen. Die Initiative der Parkschützer und das Aktionsbündnis sind die bekanntesten: daneben haben sich aber auch Juristen, Architekten, Senioren, Unternehmer, Ingenieure und Jugendliche organisiert.