Eine 32-jährige Mutter aus dem Badischen muss sich wegen der Mitgliedschaft im IS vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verantworten. Sie erklärt sich in einer 150-seitigen Erklärung, die sie verliest.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart - Sabine S. will reden. Wie kommt eine junge Frau dazu, sich dem Islamischen Staat anzuschließen? Warum lässt sie ihre zwei kleinen Kinder zurück? Die 32-jährige Frau nickt kaum wahrnehmbar, als der Vorsitzende Richter sie darauf hinweist, sie könne jederzeit eine Erklärung abgeben. 150 Seiten verliest sie dann nach der Prozesseröffnung. Das Gericht hat die Seiten in Windeseile für alle Verfahrensbeteiligten kopiert.

 

Sabine S. liest mit klarer Stimme einen wohl strukturierten Text. Hin und wieder bittet sie oder das Gericht selbst um Pausen. Der fünfte Strafsenat am Oberlandesgericht Stuttgart hört die Geschichte einer Frau, die, nachdem sie knapp vier Jahre beim IS im Irak und Syrien gelebt hatte, nur eines wollte: weg. Zusammen mit ihren beiden Kindern, die sie dort geboren hat, flüchtete sie in den von Kurden besetzten Teil des Irak.

Das Leben einer Außenseiterin

Sabine S. wurde in eine katholische Familie geboren, hat drei Halbgeschwister, und erlebte Gewalt sowohl in der ersten als auch der zweiten Ehe ihrer Mutter. Ihr leiblicher Vater war ein Schläger, der Vater ihrer Halbgeschwister Alkoholiker. Sabine S.’ Leben, so berichtet sie, spielte sich zwischen Baden-Baden und Berlin ab. In ihrer Darstellung ist es das Leben einer Jugendlichen, die immer Außenseiterin gewesen sei. Es habe Zeiten gegeben, da habe sie nicht gesprochen. Durch eine Freundin, die selbst konvertiert ist, tritt sie 2008 zum Islam über. Ihre Depressionen seien dadurch besser geworden, sagt sie. „Als Konvertitin steht man immer unter Druck“, erklärt sie ihr Suchen nach dem richtigen Leben als Muslimin. Als deutsche Muslim gehöre man nicht mehr zu Deutschland. Ihre Lehre als Mediengestalterin habe sie abgebrochen, weil sie wegen ihres Kopftuches diskriminiert worden sei, Orientierung habe sie in einem Schwesternklub der Alnur-Moschee gesucht. Im dortigen Internet-Familienforum wurde sie Administratorin. Für den Berliner Verfassungsschutz ist die Moschee ein Sammelpunkt der Berliner Salafistenszene.

Sabine S. sagt selbst, sie sei immer salafistischer geworden. Seit März 2010 habe sie einen Gesichtsschleier getragen. Das radikalisiert sie offenbar zusätzlich. Sie beschreibt Beschimpfungen und Begegnungen, die sie als demütigend empfindet. Sie sagt: „Ich wäre in jedes islamische Land gegangen. Aber Syrien war am leichtesten.“ Der IS habe für sie zu diesem Zeitpunkt keine Rolle gespielt. Im Internet habe sie Videos toter Kinder nach einem Giftgasangriff auf Damaskus gesehen. Sie habe humanitäre Hilfe leisten, nicht den Terrorismus unterstützen wollen. Mittels eines Schleusers ging sie im Dezember 2013 nach Syrien.

Heute zeigt Sabine S. ihr Gesicht wieder. Blass, das Haar verhüllt, ein langes Gewand unter dem blauen Anorak sitzt sie auf der Anklagebank im neuen Stammheimer Gebäude des Oberlandesgerichts und hört die Anklage der Generalbundesanwaltschaft. Ihr Anwalt sagt, seine Mandantin sei geläutert, wolle reinen Tisch machen. Seit Juli 2018 sitzt sie in Untersuchungshaft.

BKA verhört noch in Erbil

Folgt man der Anklage, dann war Sabine S. tief verstrickt in der Kriegsmaschine des IS. Die Ermittler haben Blogs ausgewertet. Das Bundeskriminalamt hat S. nach ihrer Verhaftung durch die kurdischen Kämpfer im Irak verhört. Daraus ergibt sich für die Ankläger, dass Sabine S. mit ihrem Mann, einem aserbaidschanischen Kämpfer, im Irak und in Syrien lebte. Sie berichtet selbst, sie habe nach einer Stunde Bedenkzeit eingewilligt, ihn zu heiraten. Die beiden leben laut Anklage an seinen Einsatzorten. Die Wohnungen und Häuser, in denen sie wohnten, gehörten zuvor Menschen, die geflüchtet oder vertrieben worden waren.

Sabine S. soll zwei Maschinenpistolen und zwei Revolver bei sich gehabt haben. Im Internet habe sie Nachwuchs angeworben, für das Kalifat geworben und Ausreisetipps gegeben. Sie selbst beschreibt ihre Zeit beim IS, so soll man das Gesagte wohl interpretieren, als Prozess der Desillusionierung. Den IS halte sie heute für eine Sammlung von Heuchlern, eine durch und durch gestörte Ideologie. Die Gewalt habe sie erschreckt. Aber je mehr sie sich während ihrer Zeit dort diese Ideologie angeeignet habe, desto weniger habe sie sich als Gefangene gefühlt.