Thomas D. und Peter B. sind angeklagt, von 2006 bis mindestens 2010 von Ulm aus junge kampfwillige Muslime nach Ägypten vermittelt zu haben. Dort sollen einige in terroristische Ausbildungslager weitervermittelt worden sein.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart - Zögerlich betritt der verurteilte Terrorhelfer Atilla Selek, Mitglied der ehemaligen „Sauerlandgruppe“, am Morgen den Saal 18 des Stuttgarter Landgerichts. Unsicher guckt er in die nur mit ein paar Journalisten besetzten Stuhlreihen, er wirkt wie jemand, der nicht hier sein und schon gar nicht sprechen mag. Ein Anwalt Seleks bestätigt das schließlich: sein Mandant wolle von einem umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.

 

Reiner Skujat, der Vorsitzende Richter der 18. Staatsschutzkammer, will das so nicht hinnehmen. Es gibt ohnehin nur wenige Zeugen, derer das Gericht bisher habhaft werden konnte: Zeugen, deren Aussage die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen Thomas D. und Peter B. stützen oder entkräften könnten. Beide sind angeklagt, von 2006 bis mindestens 2010 von Ulm aus junge kampfwillige Muslime an die Arabisch-Sprachschule Qortoba Institute im ägyptischen Alexandria vermittelt zu haben. Dort sollen mehrere Probanden weiter radikalisiert und in terroristische Ausbildungslager weitervermittelt worden sein.

Einer der Verdächtigen ist derzeit in Alexandria

Neben D. und B. werden von der Staatsanwaltschaft noch weitere fünf Männer aus dem früheren Ulmer Terrordunstkreis verdächtigt, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben: Ali R., Ahmed A., Antonio M, Rani M. und Omar Y. Gegen sie führt die Stuttgarter Justiz gesonderte Verfahren. An diesem 16. Prozesstag ist von der anfänglichen Spannung und Gereiztheit des Prozessauftaktes, die von energiegeladenen Anwälten, aber auch von den Zuschauerrängen ausgegangen war, nicht mehr viel übrig. Auch auf der Anklagebank ist es mittlerweile leerer geworden.

Thomas D. ist seit seiner Vernehmung im April, in der er alle Tatvorwürfe gegen ihn bestritt, „eigenmächtig abwesend“, wie Richter Skujat auch am Dienstag wieder bemerkte. Er ist zurückgereist nach Alexandria, wo er seinen Wohnsitz hat und zusammen mit seiner Ehefrau auf die Geburt des fünften Kindes wartet. Das sei legal, sagt der Stuttgarter Anwalt Stefan Holoch, schließlich liege gegen seinen Mandanten kein Haftbefehl vor. „Ich habe ihn entsprechend beraten.“ Die ganze Anklage sei längst „schwammig“ geworden. Der Haftbefehl gegen den Mitangeklagten B., der zu Beginn im März noch aus der Zelle vorgeführt worden war, ist seit April ebenfalls durch das Gericht aufgehoben. Es wird keine Fluchtgefahr gesehen. B. wirkt bei seiner Verhandlung am Dienstag gut gelaunt, grüßt freundlich hier und da.

„Wir sind hier nicht in Guantanamo.“

Sind das Zeichen einer langsam zerfallenden Anklage, der es nicht gelingt zu erhärten, ob in der ägyptischen Sprachschule tatsächlich junge Türken und Konvertiten in Terrorausbildungslager weitervermittelt wurden? Der Richter signalisiert davon nichts. Als er den Zeugen aufklärt, dessen Schweigen könne ein Zwangsgeld oder sogar Beugehaft nach sich ziehen, da entfährt es Selek: „Wir sind hier doch nicht in Guantanamo.“ Skujat wird laut und sehr entschieden: „Das verbitte ich mir.“ Nach einer Prozessunterbrechung ändert der Zeuge seine Strategie und beantwortet Fragen.

Am 7. Juli ist der 28-jährige gebürtige Ulmer als erster der Sauerlandattentäter aus der Haft entlassen worden. Fünf Jahre hatte er im März 2010 vom Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Beihilfe zur Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags bekommen; die Auslieferungshaft in der Türkei und die U-Haft waren ihm angerechnet worden. Seither unterliegt Selek, der mittlerweile arbeitslos in Bad Liebenzell lebt, Bewährungsauflagen.

In die Idee des Märtyrertods hineingesteigert

Aus dem, was er dem Gericht am Dienstag doch noch sagt, geht klar hervor: Man kannte sich innerhalb der gewaltbereiten islamistischen Szene im Raum Ulm und Neu-Ulm, zur der auch Selek gehörte. Die Angeklagten D. und B. allerdings habe er nur als „Betende“ im früheren Neu-Ulmer Multikulturhaus erlebt.

Auffällig ist, dass Selek 2006 selber das Qortoba Institut durchlief, ebenso wie der Sauerland-Terrorist Daniel Schneider, der von Ulm aus aufgebrochene und 2010 in Pakistan erschossene Konvertit Eric Breininger oder die Brüder Erdogan. Doch er selber, beteuert Selek, sei von keinem der Angeklagten für den bewaffneten Kampf geworben worden, habe sich vielmehr mit seinem Freund aus Ulmer Tagen, Fritz Gelowicz, über die Jahre in die Idee vom „Märtyrertod“ hineingesteigert. 2005 ist Selek von Ulm aus nach Syrien ausgereist, zu seinem damaligen Kumpel, dem Deutsch-Türken Zafer Sari, der in Damaskus lebte. Da seien er und Gelowicz schon fest entschlossen gewesen, erzählt Selek, in den Irak oder nach Palästina zu gehen und gegen Israel oder die USA zu kämpfen.

Abschiebeverfahren anhängig

Als einen Zufall bezeichnet es Selek im Gerichtssaal, dass er 2006 in Ägypten auch den Ulmer Glaubensbruder Antonio „Tarek“ M. traf, der dort, wie später der Angeklagte Thomas D., seinen Wohnsitz genommen hatte. Mit der Sprachschule habe das Treffen aber nichts zu tun gehabt.

Seleks ängstlich-passive Haltung wird an diesem Prozesstag durch dessen eigenen Zeugenbeistand näher erklärt. Gegen den 28-Jährigen, der zur Zeit in Bad Liebenzell wohnt, läuft erneut ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Freiburg. Vor dem Verwaltungsgericht Freiburg ist ein Abschiebeverfahren anhängig. Selek wird vorgeworfen, nach der Haftentlassung 2012 erneut Kontakt zu bekannten Islamisten im Raum Ulm aufgenommen zu haben.