Stuttgart 21, die Bibliothek, der Stadtbahnstreik: Es gibt viele Anlässe sich aufzuregen. Doch ist das wirklich nötig? Nein, meint Erik Raidt.

Stuttgart - Sie sind zu beneiden. Sie leiden nicht unter Termindruck oder Mobbing am Arbeitsplatz, Sie müssen sich morgens vor einem proppenvollen Kleiderschrank nicht jedesmal wieder dieselbe Frage stellen: Was, um Himmels willen, ziehe ich heute eigentlich an? Ihren Pelz führen Sie ja immer mit sich.

 

Liebes Faultier, Sie sind auch ohne Yoga tiefenentspannt. Sie hängen den ganzen Tag ab, am liebsten in den Kronen gewaltiger Bäume im Amazonasbecken. Zur Not tut's auch ein Ast in der Wilhelma. Täglich schlafen Sie bis zu 15 Stunden, so schnell bringt Sie nichts auf die Platane. Sie brauchen keine Nervennahrung.

Mit Ihrer Lebenseinstellung wären Sie die Idealbesetzung für das Stuttgarter Stadtwappen: Unser Rössle ist zu sprunghaft - diese Stadt braucht kein Heißblut, diese Stadt braucht ein cooleres Vieh. Eines mit dem Ruhepuls eines Faultiers.

In Stuttgart an der Mecker

Das würde jeder Arzt empfehlen, wenn er dieser hypernervösen Stadt in letzter Zeit den Blutdruck gemessen hätte. Der schnellt immer sofort in den ungesunden Bereich. Tiefbahnhof, Bücherknast, Stadtbahnstreik - sobald eines dieser Worte fällt, bekommt Stuttgart Schnappatmung, zittrige Hände und eine vor Empörung bebende Stimme. Stuttgart sieht immer öfter rot: auch wenn es sich manchmal nur um die Bremslichter der Autos handelt, wenn sich ein karossaler Stau ankündigt.

Über den könnte man sich schon wieder unglaublich aufregen. Über all diese Trottel, die so blöd sind, ausgerechnet auf der Bundesstraße unterwegs zu sein, auf der man selbst gerade steht! Nichts fließt mehr wie es sollte, in Stuttgart an der Mecker.

Sie, liebes Faultier, kennen keinen Stau. Sie sind ein Einzelgänger und hängen im Geäst Ihren Gedanken nach. Was Ihnen der Tag so bringt, könnten Sie sich theoretisch an Ihren drei Fingern abzählen - aber selbst das lassen Sie besser bleiben, weil Sie sonst unsanft auf den Boden plotzen.

Pauschalurlaub vom Stress

Ihre Gelassenheit ist vorbildlich, von Ihrer Einstellung können wir alle profitieren. Die hektische Schaffigkeit ist von vorvorgestern, heute darf es im Dschungel des Alltags wieder die Zeitlupe sein. All die Aufregung bringt sowieso nichts, weil die nächsten 30 Fantastilliarden unserer Steuergelder in die Ägäis fließen. Blub, blub, weg sind sie.

Ihnen, liebes Faultier, geht das sonst wo am Pelz vorbei. Sie machen Pauschalurlaub vom Stress. Ein Leben lang.