Die Eltern hätten gern nur Zweier im Zeugnis, die Kinder sind mit der Note Drei oder Vier zufrieden. Corinna Ehlert von der schulpsychologischen Beratungsstelle in Stuttgart erklärt, wie Eltern auf ein schlechtes Zeugnis reagieren sollten – und wie nicht.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Diese Woche starten in Baden-Württemberg die Sommerferien, die Kinder bekommen Zeugnisse. Fällt es schlechter aus als erwartet, kann das in Familien zu Konflikten führen. Corinna Ehlert, der Leiterin der schulpsychologischen Beratungsstelle in Stuttgart, erklärt, wie Eltern ihre Kinder stärken können, damit es im nächsten Schuljahr besser läuft, und wirbt für eine echte Auszeit in den Sommerferien.

 

Frau Ehlert, was sollten Eltern auf keinen Fall sagen, wenn ihr Kind ein schlechtes Zeugnis bekommt?

Man sollte nicht mit Vorwürfen kommen, wie „du hast dich gar nicht angestrengt“. Ganz schlimm sind Abwertungen: „Du bist halt einfach dumm“ oder „Du kommst nach der Tante X, die war auch schon schlecht in Mathe“. Dann denkt das Kind, es kann es eh nicht. Es muss sich auch nicht anstrengen, das würde nichts ändern. Ich glaube, solche Sprüche waren früher verbreiteter, das machen Eltern heute seltener.

Wie machen es Eltern besser?

Sie sollten vor allem Ruhe bewahren und mit dem Kind ins Gespräch kommen: Was brauchst du, damit es in der Schule besser läuft? Wie können wir dir helfen? Man sollte in Ruhe gemeinsam überlegen, wie man das neue Schuljahr gestalten kann, damit es anders läuft. Wenn das Kind die Klasse wiederholen muss, weiß man das schon früher. Die Lehrer warnen einen vor. Ich plädiere dafür, dass auch die Eltern reflektieren: Warum ist es mir eigentlich so wichtig, dass mein Kind gut in der Schule ist? Oft hat das mit der eigenen Biografie zu tun. Vielleicht hatte man selbst einen schweren Weg und will, dass es das Kind leichter hat.

Was mache ich, wenn das Kind abblockt?

Man darf sich da ruhig Hilfe holen. Eltern sind oft zu nah dran und gerade in der Pubertät sind sie als Ratgeber oft nicht erwünscht. Da kann man sich zum Beispiel an die Sozialarbeiter der Schule oder die Beratungslehrkräfte oder auch an uns von der schulpsychologischen Beratungsstelle wenden. Wir können mit dem Jugendlichen erarbeiten, was seine Ziele sind. Und wir können den Weg dahin in kleine Abschnitte teilen, damit er nicht immer nur einen großen Berg sieht.

Wann ist Zeit für Nachhilfe?

Bei Nachhilfe sollte man genau schauen, ob sie überhaupt sinnvoll ist. Bestehen Lernlücken oder geht es um Motivation? Eltern sollten die Lehrkraft fragen, wie sie das einschätzt. Wenn ein Kind viel in der Schule verpasst hat, weil es krank war oder länger nicht hingegangen ist, kann man versuchen, das über Nachhilfe nachzuholen. Ist mangelnde Motivation das Problem, kommen wie gesagt besser Beratungslehrer oder wir ins Spiel.

Ist es nicht auch normal, dass die Noten in der Pubertät absacken, weil man in andere Prioritäten setzt?

Ich würde auch nicht immer gleich die Pferde scheu machen, nur muss man es im Auge behalten. Die Eltern hätten immer gerne eine Zwei. Aber dem Jugendlichen reicht vielleicht die Drei, also ein Befriedigend, und die Vier ist für ihn eben ein ausreichend. Er weiß, dass er damit nicht sitzen bleibt. Das Wichtigste ist: im Gespräch zu bleiben. Was denkst Du? Was planst Du? Und wenn ein Kind Medizin studieren will, dann muss ich ihm halt sagen: Mit diesen Noten kriegst du aber nicht auf Anhieb einen Studienplatz. Vielleicht gibt es dann einen Plan B, den man sich anschauen und gegebenenfalls weiterverfolgen kann.

Schlechte Noten können auch auf ein Problem hindeuten, das nichts mit Lernen zu tun hat.

Ja, sie können ein Warnsignal sein. Wenn ein Kind gemobbt wird und sich in der Klasse nicht wohl fühlt, dann wird es sich nicht so viel beteiligen in der Schule und nicht die Leistung bringen können. Da sollte man nachfragen: Gibt es etwas, das dich belastet, was du erzählen möchtest? Warum gehst du gerade nicht gerne in die Schule? Wie kann ich dich dabei unterstützen, dass es anders wird? Es ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche spüren, dass man wirklich Interesse hat.

Ich kenne Eltern, die selbst erfolgreich in der Schule waren und gerade deshalb mit den Schulproblemen ihres Kindes nicht gut umgehen können.

Ja, das gibt es, die können das dann schwer nachvollziehen. Es ist sehr wichtig, sich nicht nur auf das Negative zu verlagern, sondern zu schauen: Was kann mein Kind sonst noch? Was hat es für Fähigkeiten und Kompetenzen? Die sollte man würdigen. Das Leben besteht nicht nur aus Schule. Vielleicht engagiert sich das Kind sozial oder im Sport oder in einem anderen Hobby. Ich finde es schlimm, wenn Schule so viel Raum einnimmt. Manche Familie macht es fast kaputt. Jeden Tag gibt es Streit mit den Hausaufgaben. Darunter leiden die Kinder und die Eltern.

Wie können Eltern vorbeugen?

Sie sollten auch in Hochphasen nicht nur mit dem Kind lernen, sondern immer auch positive Erlebnisse schaffen: gemeinsam ein Gesellschaftsspiel spielen, am Wochenende ins Schwimmbad gehen oder Ausflüge machen. Das brauchen die Kinder, und das brauchen auch die Eltern. Man lernt nach so einer Pause auch besser.

Was sind typische Stresssymptome, die aus zu viel Druck resultieren?

Oft klagen gestresste Kinder über Bauchweh. Manche haben das Gefühl, schlecht atmen zu können, manche leiden unter Übelkeit und Erbrechen oder unter Schlafstörungen. Kinder neigen dazu, sich an allem die Schuld zu geben. Wenn die Eltern unglücklich sind, wenn sie sich trennen. Sie denken, die Eltern streiten wegen der Noten, dabei ist es etwas ganz anderes. Aber Kinder beziehen es auf sich – und das kann dann Druck erzeugen, der sich in psychosomatischen Beschwerden äußert. Druck kann aber auch zu Verweigerung führen, wenn ein Kind merkt, dass es in einem Fach so gar nicht vorwärtskommt, keine Erfolge erzielt. Das kann mit der Verweigerung in einem Fach beginnen und bis zur Schulverweigerung führen.

Sechseinhalb Wochen Ferien stehen an. Da könnte die Idee haben: Das ist richtig viel Zeit zum Aufholen von Lernstoff.

Kinder brauchen Urlaub, das gilt besonders für Kinder, die es schwer haben in der Schule. Mindestens drei Wochen sollte nichts anstehen, was mit Schule zu tun hat: spielen, schlafen, träumen. Auch auf einer Reise lernen Kinder: beim Gang ins Museum oder bei einer Pflanzen- oder Bergwanderung. So etwas können Eltern einbauen. Die letzten zwei Ferienwochen kann man dann, aber in kleinen Häppchen und mit vielen Pausen, wieder anfangen mit dem schulischen Lernen, auch um wieder in einen Rhythmus zu kommen. Gut eignen sich Übungen in Kopfrechnen. Beim gemeinsamen Kochen kann man ein Gefühl für verschiedene Gewichte vermitteln.

Was halten Sie von Mathecamps oder einer Sprachreise?

Ich war selbst als Schülerin im Englischurlaub. Ich habe Englisch aber auch geliebt. Für mich war das ein Geschenk. Wenn ein Kind sich dagegen sehr schwer tut in der Sprache und die Eltern es einfach anmelden, dann empfindet es das nicht als Geschenk, sondern als Bestrafung. Deshalb gilt auch da: Mit dem eigenen Kind im Gespräch bleiben und fragen, was es will – ohne Druck.

Corinna Ehlert leitet die schulpsychologische Beratungsstelle. Foto: Priva/t

Seit 22 Jahren Schulpsychologin

Person
Corinna Ehlert ist Diplompsychologin und leitet die schulpsychologische Beratungsstelle in Stuttgart seit fünf Jahren. Schulpsychologin ist die 58-Jährige seit 22 Jahren. Vor ihrem Studium hat sie eine Ausbildung zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin absolviert.

Institution
Es gibt in Baden-Württemberg 28 schulpsychologische Beratungsstellen. Sie sind an die Schulämter angegliedert. Die Beratung kann von Schülern, Eltern und Lehrkräften kostenlos in Anspruch genommen werden. Die Stuttgarter Anlaufstelle hat mittwochs eine offene Sprechstunde Diese ist von 13.30 bis 15.30 Uhr unter der Telefonnummer 0711/6376301 zu erreichen.