Ungarn braucht die von Brüssel eingefrorenen Milliarden, ist aber nicht zu den geforderten Reformen bereit. Nun soll er dennoch Geld bekommen, was seine Kritiker empört.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Die EU-Kommission knickt wieder einmal vor Viktor Orbán ein. So interpretiert Daniel Freund die geplante Auszahlung von fast einer Milliarde Euro an EU-Fördermitteln an Ungarn. Geradezu fassungslos hinterlässt den grünen Europaabgeordneten die Tatsache, dass die Freigabe „fünf Tage, nachdem Orbán seine Hasskampagne gegen Ursula von der Leyen gestartet hat“, bekannt gegeben wird. „Großer, großer Fehler!“ schreibt Freund auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter).

 

Lediglich kosmetische Reformen in Ungarn

Vor knapp einem Jahr hat die EU Fördermittel für Ungarn von fast 28 Milliarden eingefroren, weil Orbáns Regierung nach Einschätzung der Kommission die Demokratie und den Rechtsstaat aushöhlt und zudem die Korruption fördert. Die Regierung hat danach einige kosmetische Reformen in die Wege geleitet. „An der Situation des Rechtsstaats in Ungarn hat sich nichts verbessert“, betont aber Daniel Freund, der in Europa zu den schärfsten Kritikern des Autokraten in Budapest gehört.

Die Befindlichkeiten im fernen Brüssel scheinen den Premier vordergründig allerdings wenig zu interessieren, denn er fordert die EU mit ständig neuen Provokationen heraus. Die von Daniel Freund kritisierte Plakataktion ist dabei nur ein Teil einer groß angelegten Desinformationskampagne gegen die EU.

Hass gegen die EU und George Soros

Seit einigen Tagen hängen im ganzen Land großflächige Plakate, auf denen eine böse dreinblickende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu sehen ist. Dahinter steht in der Position eines Einflüsterers Alex Soros, der Sohn des ungarischstämmigen US-Philanthropen George Soros, der seit Jahren die Zivilgesellschaft in Ungarn fördert. Zu lesen ist: „Lasst uns nicht nach ihrer Pfeife tanzen!“ Kritiker bemängeln nicht nur den Hass, der auf die EU geschürt wird, sondern auch den antisemitischen Unterton des Plakates.

Orbán belässt es allerdings nicht nur bei dieser Propagandaaktion. Parallel dazu wurde soeben im Parlament ein „Gesetz zum Schutz der Souveränität“ eingebracht. Konkret will die Regierung verbieten, dass Organisationen und Parteien, die an Wahlkämpfen teilnehmen, Finanzmittel aus dem Ausland benutzen. Verstöße können mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Die Opposition ist empört und klagt, das Gesetz sei ein weiterer Schritt, Kritiker willkürlich einzuschüchtern.

Zweifelhafte Umfragen unter den Ungarn

Zur Legitimation seines Vorgehens nutzt Premier Orbán immer wieder Umfragen, von denen er auch in diesen Wochen eine gestartet hat. Im Zentrum steht dieses Mal die Frage, wie das Land vor der EU-Politik „geschützt“ werden soll. Unter anderem geht es dabei um die Migration und einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine. Bei jeder der Fragen haben die Befragten nur zwei Alternativen zur Auswahl: entweder die Haltung der ungarischen Regierung zu unterstützen oder eine angebliche EU-Linie zu wählen.

„Brüssel will in Ungarn Gettos für Migranten errichten. Was halten Sie davon?“, lautet die – völlig falsche - Behauptung in einer der insgesamt elf Fragen. Gefragt wird auch nach der Einstellung der Ungarn zur benachbarten Ukraine. Als eines der wenigen Länder in der EU lehnt Orbán, der ein sehr enges Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin pflegt, die EU-Hilfe für das angegriffene Nachbarland kategorisch ab. Offensichtliches Ziel des ungarischen Premiers ist es, Zugeständnisse an Kiew davon abhängig zu machen, ob er die eingefrorenen EU-Gelder doch noch bekommt. Diplomaten sprechen inzwischen nicht einmal mehr hinter vorgehaltener Hand von Erpressung.

Orbáns gefährliche Nähe zu Wladimir Putin

Zugleich hat Orbán durch sein jüngstes Treffen mit dem Kreml-Chef Putin weiter den Verdacht genährt, unter Einfluss von Russland zu handeln. Für den langen Arm Moskaus spricht auch, dass der russische Atomkonzern Rosatom soeben einen Vertrag über den Ausbau des ungarischen Atomkraftwerks Paks vorgelegt haben. Rosatom soll die Reaktoren und die Brennstäbe liefern. Moskau stellt außerdem einen Kredit in Höhe von zehn Milliarden Euro bereit, der mehr als 80 Prozent der Kosten abdeckt.

Dieser Vertrag konterkariert allerdings die Forderung Brüssels, sich vor allem im Bereich von Energielieferungen unabhängig von Russland zu machen. Zur Abnabelung von Moskau ist auch die knapp eine Milliarde Euro eigentlich vorgesehen, die nun von der EU-Kommission an Ungarn überwiesen werden soll. Ob Budapest das Geld tatsächlich zur von Brüssel geforderten „Umgestaltung des europäischen Energiesystems“ benutzt, ist unter diesen Vorzeichen eher fraglich.