Die Kahlschlagflächen am Amazonas wachsen weiter, allerdings seit einigen Jahren langsamer. Trotzdem halten Wissenschaftler den Schutz in Brasilien für viel zu schwach. Verstöße gegen den Waldschutz werden kaum geahndet.

Stuttgart/Doha - Auf den ersten Blick scheint es eine gute Nachricht zu sein: Die Regenwaldabholzung im Amazonas-Gebiet sei auf den niedrigsten Stand seit 1988 gesunken, verkündete die brasilianische Umweltministerin Izabella Teixeira zu Beginn der Klimakonferenz in Doha. Von August 2011 bis Juli 2012 seien nur 4656 Quadratkilometer Regenwald zerstört worden und damit 27 Prozent weniger als im gleichen Vorjahreszeitraum.

 

Umweltverbände sehen in dieser Meldung wenig Grund zum Jubeln, sondern eher eine PR-Aktion, um auf der Klimakonferenz als Saubermann dazustehen. „Auch wenn das Tempo der Waldzerstörung nicht weiter zunimmt, ist es traurig, wenn man das schon als Erfolg werten muss“, kommentiert Roberto Maldonado, Lateinamerika-Referent beim WWF Deutschland. Die Fläche sei noch immer doppelt so groß wie das Saarland. Die Meldung lenke davon ab, dass die Zerstörung des Amazonas-Regenwalds keineswegs unter Kontrolle sei.

Perfekte Satellitenbeobachtung

Das bestätigt ein Besuch im brasilianischen Institut für Weltraumforschung, das kurz INPE genannt wird. Es hat seinen Sitz in San José dos Campos im Bundesstaat São Paulo und ist dafür zuständig, den Regenwald zu überwachen. Auf Daten des INPE stützt sich auch die brasilianische Umweltministerin. Ja, die Zerstörung sei in den vergangenen Jahren tatsächlich meist rückläufig gewesen, bestätigt Alberto Setzer, Leiter der Abteilung Erdbeobachtung beim INPE. Trotzdem machen ihm die Zahlen wenig Hoffnung. „Wir haben mittlerweile ein perfektes Satellitenmonitoring über die Zerstörung des Regenwalds“, berichtet er frustriert, „aber es wird einfach viel zu wenig durchgegriffen.“Setzer und seine Kollegen nutzen vor allem Daten der US-Raumfahrtbehörde Nasa und der US-Wetterbehörde NOAA sowie der chinesisch-brasilianischen CBRES-Satelliten. Der Schwerpunkt liegt auf dem Aufspüren von Feuern. Es ist nämlich keineswegs die Holzindustrie, die dem Regenwald gefährlich wird, sondern die Brandrodung, mit der Anbauflächen für Soja oder Weideflächen für Rinder geschaffen werden. Die Späher aus dem All spüren alle Feuer auf, deren Flammenfront mindestens 30 Meter breit ist. Jahr für Jahr registrieren Setzer und seine Mitarbeiter bis zu 200 000 Feuer dieser Größe im Amazonas-Gebiet. Die meisten davon, daran lässt Setzer kein Zweifel, sind von Menschen gelegt, um illegal Agrarflächen zu schaffen. Diese ungeheure Zahl zeigt, wie machtlos der brasilianische Staat bei der Durchsetzung der bestehenden Gesetze ist – denn eigentlich ist die Brandrodung in den Schutzgebieten des Amazonas verboten.

„Sie können darauf wetten: wenn die Fleisch- oder Sojapreise an der Börse steigen, können wir anschließend mehr Feuer detektieren“, kommentiert Setzer. Eindrucksvoll kann der Erdbeobachtungs-Spezialist an über Jahrzehnte gesammelten Satellitenaufnahmen nachweisen, dass die Feuer immer dort entstehen, wo neue Straßen gebaut werden – sie folgen der Besiedlung, als sei dies ein Naturgesetz. „Aber was hilft es, wenn wir jeden größeren Brandherd schnell detektieren und vor Ort dann doch nichts passiert?“, fragt Setzer.

Das letzte Glied in der Kette fehle: Viel zu wenig Menschen würden verurteilt, und die, die verurteilt werden, zahlen ihre Strafen einfach nicht. „Es müsste endlich mal jemand wirklich ins Gefängnis wandern.“ Warum werden die Gesetze nicht besser durchgesetzt? Setzer nennt mehrere Gründe. Zum einen sei es in den entlegenen Gebieten des Regenwaldes kaum möglich, die Brandrodungen zu kontrollieren. Allein der brasilianische Anteil des Waldes hat die Größe Westeuropas. Zudem seien die Behörden vor Ort oft korrupt und verhinderten so, dass Strafen verhängt und eingetrieben würden. Die meisten Lokalpolitiker seien selbst Teil der mächtigen Agrarlobby.

In zehn Jahren die Fläche Großbritanniens

Eine neue Studie mehrerer Umweltschutzorganisationen zeigt, dass im Amazonasgebiet zwischen 2000 und 2010 insgesamt 240 000 Quadratmeter Land abgeholzt worden sind – das entspricht etwa der Größe Großbritanniens. Der Raubbau bedroht das einzigartige Ökosystem im größten zusammenhängenden Regenwaldgebiet der Welt. Hier leben etwa 40 000 Pflanzenarten, mehr als 400 Säugetier- und rund 1300 Vogelarten. Wegen seiner riesigen Dimensionen spielt der Amazonasregenwald eine noch längst nicht verstandene Rolle für das Weltklima. Kürzlich berichteten Forscher im britischen Fachblatt „Nature“, dass die zunehmende Abholzung des Regenwalds die Niederschlagsmengen in diesem Gebiet deutlich sinken lässt – wodurch die Tropen insgesamt trockener zu werden drohen. Wenn weiter so viel Regenwald verschwindet wie derzeit, so die Berechnungen, wird es dort in der Trockenzeit über 20 Prozent weniger Niederschläge geben – ein fataler Teufelskreis könnte in Gang gesetzt werden.

Ein zerstörter Regenwald kann nicht nur kein CO2 mehr aus der Atmosphäre aufnehmen; bei der Brandrodung werden auch enorme Mengen CO2 freigesetzt. In den Statistiken der UN werden Brasilien etwa 400 000 Tonnen CO2 pro Jahr zugeschrieben, also etwa die Hälfte der Emissionen Deutschlands. Doch diese Zahlen berücksichtigen nur die Treibhausgase, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe und bei der Zementherstellung anfallen – nicht aber die Emissionen durch Brandrodungen. Das INPE hat vor einigen Wochen eine neue Berechnung veröffentlicht, derzufolge sich die CO2-Menge Brasiliens verdoppelt, wenn man die Waldzerstörung hinzurechnet. Vor zehn Jahren lag der CO2-Ausstoß für die Rodungen sogar bei 800 000 Tonnen im Jahr. Ohne eine deutliche Reduzierung der Rodungen dürfte es Brasilien nicht schaffen, seine ambitionierten CO2-Einsparziele zu erreichen. Die Regierung hatte auf dem UN-Klimagipfel 2009 in Kopenhagen angekündigt, den CO2-Ausstoß bis 2020 um fast 40 Prozent der bis dahin prognostizierten Werte zu senken.

Neues Gesetz verschlechtert den Schutz

Sollte das neue Waldschutzgesetz, der Código Florestal, um dessen Novellierung seit Monaten im brasilianischen Parlament gerungen wird, in Kraft treten, sehen Umweltverbände noch weniger Chancen, dieses Ziel zu erreichen. „Die Umweltstandards würden sich durch dieses Gesetz dramatisch verschlechtern“, resümiert Roberto Maldonado vom WWF die derzeitigen Vorschläge. Tatsächlich hat die Agrarlobby offen und massiv Einfluss auf das Gesetz genommen, um die Bedingungen für Land- und Viehwirtschaft gegenüber dem seit 1965 geltenden zu erleichtern.

So ist derzeit ein Streifen links und rechts jedes Flusses geschützt; er beginnt an der Hochwassermarke des Flusses. Sollte die Schutzzone jedoch bereits am durchschnittlichen Pegelstand ansetzen, stünden auf einen Schlag große Teile des Regenwalds zur Abholzung frei, denn im Amazonas schwellen die Flüsse in der Regenzeit mächtig an. Umweltverbänden ist aber vor allem die Amnestie für die bisherigen illegalen Abholzungen ein Dorn im Auge. Mit einer solchen nachträglichen Legalisierung würde auch jegliche Grundlage fehlen, die illegal abgeholzten Flächen wieder aufzuforsten.

Dass das neue Gesetz noch nicht in Kraft ist, ist dem Veto der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff zu verdanken. Im Mai legte sie in zwölf Punkten ein Veto gegen die geplante Gesetzesnovelle ein, Mitte Oktober blockierte sie erneut neun Punkte. Die Amnestie für bisherige illegale Rodungen wird allerdings auch von ihr nicht infrage gestellt, merkt der WWF-Referent Maldonado an. Und das Parlament kann die Präsidentin mit einer Zweidrittel-Mehrheit überstimmen.

Hoffnung bereitet die Tatsache, dass laut Umfragen 85 Prozent der Bevölkerung für einen besseren Schutz des Regenwalds sind und dies durch teils massive Demonstrationen zum Ausdruck bringen. Sie werden dabei von bekannten Showgrößen unterstützt. Und die Tatsache, dass das riesige Land in den kommenden Jahren durch Fußballweltmeisterschaft und die Olympischen Spiele in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit rücken wird, könnte ein übriges tun, um den Ankündigungen im Klimaschutz Taten folgen zu lassen.

Bilanz im Amazonasbecken

Größe
Der Amazonas-Regenwald ist der größte tropische Regenwald der Erde. Mit etwa sieben Millionen Quadratkilometern ist er so groß wie Westeuropa zwischen Lissabon und Warschau und erstreckt sich über neun Staaten Südamerikas. Der größte Teil (60 Prozent) liegt in Brasilien.

Bilanz
Seit Beginn der Satellitenüberwachung im Jahr 1988 wurde etwa ein Gebietdoppelt so groß wie Deutschland zerstört – vor allem durch die Agroindustrie.

Trend
Auch wenn das Ausmaß der Regenwaldzerstörung seit einigen Jahren mehr und mehr zurückgegangen ist, wurde noch im vergangenen Jahr allein in Brasilienwieder eine Fläche von der Größe des Ruhrgebiets illegal abgeholzt.