Karin Zimmermann steigt über das Zaunnetz auf die Weide, klatscht in die Hände und ruft: „Mädels, kommet!“ Etwa 30 Schafe recken ihre Hälse, zögern kurz und kommen dann im Pulk zu der Bäurin angerannt. Ein bisschen scheu sind sie, aber auch neugierig. Mit ihren schwarzen Köpfen und Beinen und den hellen Wollbäuchen gleichen sie nicht nur optisch dem kecken Fernsehtier Shaun das Schaf, sondern auch charakterlich: „Die Lämmer sind ganz brav, aber ich hab immer das Gefühl, sobald ich mich umdrehe, geht’s los“, sagt Karin Zimmermann und lacht.
Seit 2010 führt die Landwirtin den elterlichen Betrieb, der am Ortsrand von Tailfingen bei Gäufelden liegt. Die Eltern hatten schon eine Weile ihre Milchkühe aufgegeben und nur noch Ackerbau betrieben. Das genügte ihr nicht: „Ich bin ein Viehmensch, ich brauche Tiere“, sagt die 57-Jährige. Für sie muss ein Tag mit Melken anfangen und mit Melken aufhören. Andere würden zur Entspannung Yoga machen, sie brauche morgens und abends ihre Stunde mit den Tieren, am liebsten alleine.
Kühe kamen für Zimmermann nicht in Frage, da für Freilandhaltung ihre Weideflächen nicht ausgereicht hätten. Außerdem wollte sie Käse machen, und von Kuhmilchkäse gab es im Umkreis bereits „jede Menge“. So entstand bei ihr die Idee, Schafe zu halten. 2011 zogen 16 ostfriesische Milchschafe auf ihren Hof. Zimmermann machte an der Uni Hohenheim einen Käsekurs und begann, mit Schafmilch, Milchsäurekulturen, Lab und Salz zu experimentieren. „Man lernt beim Tun“, erzählt sie von der Anfangszeit.
Allerdings merkte sie bald, dass es nicht die richtige Rasse war. Die Tiere waren zu groß und brauchten zu viel Getreide. Und vor allem: „Sie haben nicht mit mir geschwätzt.“ Dann stieß sie 2012 auf die französische Rasse Manech Tête Noire und fand nach langer Suche im Baskenland einen Schäfer, der ihr acht Schafe und einen Bock verkaufte. „Ich hab’ die gesehen und gewusst: Das sind meine. Es war Liebe auf den ersten Blick“, erzählt die Bäurin. Sie lacht und sagt: „Die schwätzen mit mir.“
Damit es immer Milch gibt, bekommen die Schafe ihre Lämmer zeitversetzt
Im folgenden Winter holte sie weitere 24 Lämmer dieser Rasse, 2015 noch einmal 24 Lämmer und zwei Böcke. Mittlerweile ist ihre Herde auf 200 Tiere angewachsen. Alle zwei Jahre kauft sie neue Böcke, um Inzucht zu vermeiden. Zurzeit sind es Bruno und Richard, die den Natursprung vollziehen dürfen. Damit Zimmermann das ganze Jahr über Käse produzieren kann, lässt sie ihre Schafe zu unterschiedlichen Zeiten decken. Lammzeiten sind im Januar/Februar, April/Mai und September/Oktober. „Deshalb haben wir das ganze Jahr über Milch.“ Das erste Mal lammen die Schafe im Alter von zwei Jahren, von da an hat jedes Schaf etwa eine Geburt im Jahr. Bei der ersten Geburt kommt meistens nur ein Lamm zur Welt, ab der zweiten sind es dann oft Zwillinge.
Die ersten vier bis sechs Wochen werden Karin Zimmermanns Lämmer von ihren Müttern großgezogen und gesäugt. Die Milch reicht aber, um sie auch zu melken. Etwa einen Liter Milch geben die Schafe am Tag. Wenn nach sieben Monaten der Bock wieder auf ihre Weide dazustößt und die Schafe in der Regel trächtig werden, beginnt ihr „Urlaub“, wie Zimmermann es nennt. Dann werden sie fünf Monate lang nicht gemolken, um sich zu erholen. Das mache sich bezahlt, ihre Tiere seien „pudelgesund“, betont die Bäurin. Bei Kühen sei das anders, die würden in der Regel weitergemolken. Deshalb sei die Milchschafhaltung eine teure Angelegenheit: „Fünf Monate lang produzieren sie nichts.“ Wirtschaftlich sei das für ihren Betrieb nur machbar, indem sie die Kosten über ihren Ackerbau ausgleiche.
Die Milchverwertung ist für Karin Zimmermann inzwischen eine routinierte Angelegenheit geworden. Jeden zweiten Tag setzt sie Joghurt, Quark und Frischkäse an, und wenn genug Milch da ist auch Schnittkäse und Salzlakekäse, die sie einige Wochen und Monate reifen lässt. Was die Produkte so lecker macht, sind der hohe Eiweiß- und Fettanteil, die doppelt so hoch sind wie bei Ziegenmilch. Und Schafmilch „bockelt“ nicht, wie Ziegenmilch das bisweilen tut.
Gutes Futter ist die Grundlage für guten Käse
Karin Zimmermann ist aber überzeugt, dass noch ein anderer Faktor eine Rolle spielt, um guten Käse zu erhalten: „Das Wichtigste ist, dass man gesunde Schafe hat und eine gute Futtergrundlage.“ Alles, was ihre Schafe fressen, wachse auf den Weiden rund um ihren Hof, nichts wird zugekauft. Deshalb schmecke der Käse im Mai auch anders als im Oktober, weil dann andere Gräser und Kräuter wachsen. „Es ist ein Naturprodukt. Das schätzen die Kunden“, sagt sie.
Verkauft werden Karin Zimmermanns Produkte auf ihrem Bauernhof sowie auf dem Hofgut Mauren in Ehningen. Auch Gastronomen beziehen ihren Frischkäse, etwa der Hasen in Herrenberg oder gelegentlich das Marriott in Sindelfingen. Gerne würde die Bäurin auch Wochenmärkte besuchen, aber dafür fehlt ihr das Personal. Doch Kundschaft hat sie auch so genug, „obwohl ich noch nicht mal eine Homepage habe“, sagt sie und schüttelt über sich selbst den Kopf.
Doch ihr Produkt ist ohnehin begrenzt, denn: „Wir können nur so viele Schafe halten, wie wir auch Fleisch verkaufen können.“ Obwohl das Lammfleisch eine sehr gute Qualität habe, nehme es der Handel nicht an. Der Grund: Bei ihrer Milchschafrasse ist die Fleischfülle zu gering und daher wirtschaftlich unattraktiv. Deshalb lässt Karin Zimmermann die männlichen Lämmer, wenn sie ein knappes halbes Jahr alt sind, bei einem nahe gelegenen Metzger schlachten und zerlegen. In ihrem Hofladen verkauft sie dann das Lammfleisch als Gulasch, Kotelett, Steak, Keule, Hackfleisch oder Filet.
Wie verkraftet sie diesen Part der Tierhaltung, das Schlachten? „Bei den Böckle ist es in Ordnung“, sagt die Bäurin. „Schließlich gibt es nur Milch, wenn es Lämmer gibt, das ist der Kreislauf. Dann muss man sie auch ordentlich verwerten.“ Bei manchen alten Schafen, die sie lange auf ihrem Hof gehalten hat, sieht es allerdings anders aus. An ihnen hängt sie. Aus den meisten Alttieren wird Hundefutter, doch hin und wieder darf ein Schaf bei ihr bleiben, bis es tot im Stall liegt, so wie vor ein paar Monaten Sofie und Mary. Und dann ist da noch Cassandra, eine elfjährige Schafdame, die seit zwei Jahren keine Milch mehr gibt. „Sie ist in Rente“, sagt Karin Zimmermann.