Abgeordnete müssen sich heutzutage kurz fassen. Doch das war nicht immer so. Den Rekord hält ein Sozialdemokrat mit einer acht Stunden lange Rede. Selbst zwei Ordnungsrufe konnten ihn nicht aus dem Konzept bringen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Der Sozialdemokrat Otto Friedrich Wilhelm Antrick wäre im heutigen Parlamentsbetrieb auf verlorenem Posten. Denn der Bundestag hat unlängst beschlossen, Geduld, Nervenkostüm und Sitzfleisch seiner Abgeordneten zu schonen. Zu diesem Zweck wurden Redezeiten und Dauer von Debatten begrenzt. Im Normalfall soll ein Tagesordnungspunkt in 30 Minuten abgehandelt sein. Für den 13. Dezember, diesen Freitag, war der Feierabend vorsorglich auf 16.45 Uhr terminiert.

 

Um diese Uhrzeit kam der SPD-Mann Antrick erst richtig in Fahrt. Das war auch an einem 13. Dezember, allerdings im Jahre 1902. Die Volksvertretung hieß damals noch Reichstag, debattierte aber im gleichen Gebäude. Antrick hielt die längste Rede, die sich in den Protokollbüchern deutscher Parlamente findet. Er deklamierte acht Stunden lang. Dabei war der 13. Dezember in jenem Jahr sogar ein Samstag. Der Genosse nahm jedoch keine Rücksicht auf die Wochenendruhe. Er kam erst um 0.30 Uhr zum Schluss. Da war, genau genommen, schon Sonntag.

„Herr Abgeordneter, Sie entfernen sich weit von der Sache“

Antricks Suada hatte noch nicht einmal ein spannendes Thema. Es ging um Getreidezölle – letztlich aber um die Lebenshaltungskosten der „Ärmsten der Armen, die wesentlich auf den Kosnum von Vegetabilien angewiesen sind“, so der Dauerredner. Sein Marathonvortrag war letztlich nur eine Provokation – Filibustern nennt man das. In den USA sind solche taktischen Verzögerungsmanöver noch immer üblich. Sie können dort bis zu 40 Stunden dauern.

„Für mich ist das kein Spaß, für mich ist das eine Anstrengung, aber ich erfülle hier meine Pflicht“, so hatte der ausdauernde SPD-Mann sein Publikum vorgewarnt. Er werde am Rednerpult ausharren, „solange meine physischen Kräfte ausreichen“. Antrick ließ sich auch durch zwei Ordnungsrufe nicht zum Schweigen bringen. Die kassierte er, weil er „Profitwut, Raub- und Raffgier“ der preußischen Junker anprangerte, die Profiteure der umstrittenen Zölle waren. Kurz vor Mitternacht ermahnte ihn der Reichstagspräsident Franz Graf von Ballestrem, auch ein Gutsbesitzer: „Herr Abgeordneter, Sie entfernen sich sehr weit von der Sache.“