Die Partei sucht Profil und Position. Erst wenn das geklärt ist, sollte sie sich auf die Suche nach einem Kanzlerkandidaten begeben, der auch zum neuen Programm passt.
Es gärt und arbeitet in der CDU. Es wird über Sachfragen – von der Rente bis zur Steuerpolitik – gesprochen, gestritten und gegrübelt. Höchst erstaunliche Vorschläge für ein neues Parteiprogramm dringen an die Öffentlichkeit. Ein höherer Spitzensteuersatz hier, eine Art Flat-Tax für die Erbschaften dort. Alles ziemlich verwirrend. Eine Partei im Ausnahme-Zustand.
Die Partei macht ernst damit, Defizite aufzuholen
Im Selbstverständnis der Christdemokraten ist fest eingeschrieben, dass die CDU regiert. Das Stützen des Kanzlers oder der Kanzlerin ist im politischen Normalbetrieb die Aufgabe der Partei. Sie soll den Laden irgendwie zusammenhalten und das Regieren nicht weiter stören. In den 16 Kanzlerjahren unter Merkel hat das in aller Regel genauso gut funktioniert, wie in der Kohl-Ära. Die beachtliche Folgsamkeit der Partei in der Merkel-Zeit hat Regierungsfähigkeit garantiert, aber auch tiefe Spuren hinterlassen. Bei der vergangenen Bundestagswahl zeigte sich, wie ausgedünnt die programmatische Basis der Union geworden war. In manchen Bereichen – Klima, Zukunft der Sozialsysteme – war die CDU nicht mehr sprechfähig.
Insofern ist das derzeitige muntere Diskutieren in der Partei zwar ungewöhnlich, aber höchst erfreulich. Die Partei macht ernst damit, Defizite aufzuholen. Dass der Prozess auch Dissonanzen erzeugt, ist gar kein schlechtes Zeichen, sondern Ausdruck von Engagement und Lebendigkeit. Der Programmprozess muss dabei zwei Ziele gleichzeitig erreichen. Er muss die Partei hinter einer übergreifenden Idee versammeln und gleichzeitig ein Angebot an die gesamte Gesellschaft machen. Wenn die CDU wieder den Kanzler stellen will, muss sie aus dem 30-Prozent-Käfig ausbrechen. Und dazu braucht es Angebote an Gruppen und Milieus, in denen die CDU seit langem nicht gut genug abschneidet: bei Frauen, bei migrantischen Milieus, in den bunten Lebenswelten der Großstädte.
Den Markenkern stärken – das reicht nicht
Wenn das klappen soll, müssen zwei Dinge klar sein. Erstens: Eine Strategie, die darauf hinausläuft, die ohnehin schon Überzeugten, noch stärker an die Union zu binden, reicht nicht. Deshalb führt ein Kurs in die Irre, der vor allem versucht, das konservative Tafelsilber, vom inbrünstigen Bekenntnis zur Bundeswehr bis zur Beschwörung der nationalstaatlichen Leitkultur, zu polieren, um – wie es so falsch-verführerisch heißt – den Markenkern zu stärken. Genau das ist der Weg zurück in den Käfig der 30-Prozent.
Und zweitens: Am Ende müssen Programm und künftiger Kanzlerkandidat zusammenpassen. Friedrich Merz hat bisher sehr gute Arbeit abgeliefert. Die Bundestagsfraktion ist schlagkräftig, die Partei geschlossen. Und es gab einige beachtliche Wahlerfolge, zuletzt einen erstaunlichen Triumph in der Hauptstadt. Merz ist ein sehr erfolgreicher Sanierer. Unter seiner Führung schöpft die Partei das Reservoir an Stammwählern wieder weitgehend aus.
Friedrich Merz – die Rolle als Sanierer reicht nicht
Aber reicht das, um weitere Wählerschichten zu erschließen? In der Umweltpolitik bleibt der Vorsitzende bislang in der gestrigen Welt der Kernkraft und der Verbrenner-Technologie gefangen. In der Frauenpolitik hat er die Chance verspielt, die erfolgte Einführung einer Frauenquote zu seinem persönlichen Anliegen zu machen. Und in Sachen der Zuwanderung fällt er lediglich durch rüde Wortwahl auf.
Seine konservativen Fangruppen in der Partei wittern die innerparteiliche Gefahr und wollen Merz schon jetzt als Kanzlerkandidaten unanfechtbar machen. Wenn die progressiven Kräfte in der Partei bei Trost sind, stellen sie sich dem Versuch, einer vorschnellen Festlegung entschlossen in den Weg.