Vor einigen Jahren ist sie mit einem Unternehmen, das eine Niederlassung in der Türkei gegründet hat, nach Istanbul gegangen – und war begeistert vom Leben am Bosporus. Nun ist Derya T. doch zurückgekehrt, wegen der politischen Lage dort und „schweren Herzens“.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Begonnen hatte alles als kleines berufliches Abenteuer. Ende 2011 arbeitete Derya T. in Stuttgart bei einer britischen IT-Beratungsfirma. Und die gründete eine Niederlassung in Istanbul. „Ich konnte nicht mal richtig gut Türkisch“, erinnert sie sich. Die heute 35-Jährige hat türkische Wurzeln, ihre Eltern waren schon als Kinder nach Deutschland gekommen. Derya T. hatte nicht nur eine solide kaufmännische Ausbildung, sprach gut Englisch und war mit beiden Kulturen vertraut. Sie hatte auch Lust, sich beruflich zu verändern. Die Eltern waren trotzdem überrascht, dass gerade sie, die sonst so wenig mit dem Türkischen am Hut hatte, an den Bosporus ging.

 

Derya T. geriet in ein Wechselbad der Gefühle. Istanbul hatte sie schon immer fasziniert. Die junge Frau wurde nicht enttäuscht. „Prickelnd“ sei dort das Leben, beschreibt sie ihre Erfahrungen „in dieser wunderschönen Stadt“ auf der Grenze zwischen Europa und Asien. Sie hatte sogar eine Wohnung mit Blick auf den Bosporus. „Einfach zum Verlieben“, sagt die 35-Jährige.

Ihr Arbeitgeber gab nach einem Jahr auf

Ihr Arbeitgeber gab allerdings schon nach einem Jahr auf, das Unternehmen kam nicht klar mit der Kultur. Derya T. wechselte in die Niederlassung eines deutschen Sportartikelherstellers, die letzen beiden Jahre war sie bei einer holländischen Bank tätig.

Noch immer ist sie begeistert, wenn sie von Istanbul erzählt, trotz der auch schwierigen Seiten dieser Stadt der Gegensätze, wo Tradition und Moderne, Menschlichkeit und Rücksichtslosigkeit mitunter schroff aufeinandertreffen. Manchmal, sagt sie, hatte sie das Gefühl, dort gelte der Grundsatz: fressen oder gefressen werden. Erst in Istanbul, erzählt Derya T., habe sie begriffen, wie gerecht es doch in Deutschland zugehe.

Trotzdem fehlt ihr heute der „Nervenkitzel“ des Molochs Istanbuls, der so anstrengend und oft durchaus gefährlich sei. Das Dasein sei dort nicht so perfekt wie hier, aber gerade deshalb doch irgendwie eine bessere „Widerspiegelung des Lebens“.

In die Politik „hineingezogen“

Nach Deutschland zurückgekommen ist Derya T. dennoch. Angefangen hat es mit den Gezi-Park-Protesten im Sommer 2013. „Ich hatte mit Politik vorher nichts zu tun“, versichert sie. „Aber dort wirst du automatisch in die Politik hineingezogen.“ Sie beteiligte sich an den Protesten. Und erlebte sich selbst dabei, wie sie aus Sorge um ihre Sicherheit kritische Positionen aus ihrem Facebookprofil löschte. Dann kamen Terroranschläge. Im Juli 2016 der gescheiterte Putsch, die Schüsse in ihrem Viertel, die Militärjets über der Stadt. „Zwei Straßen weiter wurden 15 Menschen erschossen“, erzählt sie. Die Leute zogen sich in der Krise in ihre Familien zurück. Derya T. stellte plötzlich fest, wie alleine und schutzlos sie in dieser gefährlichen Lage war. „Ich habe nur noch schwarz gesehen.“ Den Ausschlag für die Rückkehr gab ein Gespräch mit der Mutter. „Schweren Herzens“ sei sie gegangen, sagt Derya T., die heute als Assistentin der Geschäftsleitung einer Managementgesellschaft arbeitet. „Ich vermisse Istanbul sehr.“