Der Rutesheimer Gemeinderat wollte wissen, wie die Abwässer aus dem neuen Wohngebiet auf dem Bosch-Areal hochwertig entsorgt und wiederverwertet werden können. Das Fazit ist ernüchternd. Und trotzdem ist die Arbeit nicht sinnlos gewesen.

Wenn sogar der für Neues äußerst aufgeschlossene Rutesheimer Gemeinderat arg ins Grübeln kommt und die Rathausspitze die Reißleine zieht, dann hat die Angelegenheit mehr als nur einen Haken. Als Stadt mit gesunden Finanzen kann man hier öfters einen „Rutesheimer Weg“ beschreiten, der etwas mehr kostet, wenn es der Sache dienlich ist – was aber nicht heißt, dass mit Steuergeldern unverantwortlich umgegangen würde. Doch nun musste man sich mit der für alle enttäuschenden kleinsten Lösung zufriedengeben.

 

Um was geht es? Als Stadt ist Rutesheim im wahrsten Sinne des Wortes im Untergrund steinreich und wasserarm, weil sie keine einzige eigene Wasserquelle hat. Ihr gesamtes Trinkwasser bezieht sie über den Zweckverband Renninger Wasserversorgungsgruppe. Der wurde im Jahr 1907 von den Gemeinden Renningen und Malmsheim gegründet. 1922 ist Rutesheim dem Verband beigetreten. Um selbst an das wertvolle Gut zu kommen, beschloss der Gemeinderat auf seiner Klausurtagung im vergangenen November, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben, wie die Abwässer der zukünftigen neuen Siedlung auf dem Bosch-Areal hochwertig entsorgt und wiederverwertet werden können.

Wenn das hochwertige Trinkwasser seinen Dienst am Menschen geleistet hat und in die Kanalisation und die Kläranlage fließt, dann kategorisieren es die Fachleute in Schwarz-, Gelb- und Grauwasser. Als Schwarzwasser wird häusliches Abwasser mit Fäkalien bezeichnet, Gelbwasser besteht hauptsächlich aus Urin, und Grauwasser bezeichnet gering verschmutztes Abwasser aus Bädern, Duschen, Wasch- und Geschirrspülmaschine sowie Küchenspülen. Die Machbarkeitsstudie hat unter anderem die getrennte Erfassung und Verwertung von Schwarz-, Gelb- und Grauwasser untersucht.

Wie lautet das Ergebnis? Ernüchtert haben Gemeinderat und Verwaltung beschlossen, dass auf dem Bosch-Areal weder die Nutzung von Schwarz- und Gelbwasser noch die von Grauwasser weiterverfolgt wird. Lediglich das Regenwasser soll hier gesammelt werden, um die privaten und öffentlichen Grünflächen in dem Gebiet zu bewässern. Mit diesem Beschluss ist das Gremium in die Sommerferien gegangen. Dem voraus sind eine Untersuchung, Debatten und sogar Nachfragen bis Berlin gegangen. Zunächst wurde ein fast revolutionäres System vorgestellt: Susanne Veser vom Ingenieurbüro Synercityanne Veser hatte zunächst eine Fassadenbegrünung vorgestellt, die mithilfe von Pflanzenkohle Grauwasser an Hausfassaden reinigen kann. Doch schon hier sagten Räte und Verwaltung eindeutig Nein. Das Forschungsprojekt braucht noch mehrere Jahre bis zur Marktreife. „Obwohl die Technologie durchaus interessant klingt, brauchen wir ein System, das gut funktioniert, erprobt ist und für das Firmen für die Wartung zur Verfügung stehen“, sagt Bürgermeisterin Susanne Widmaier. Ansonsten könne man sich nur schwer vorstellen, dass die Bauträger und spätere Bewohner dies akzeptierten. Die Kosten mit geschätzten 4000 Euro pro Bewohner seien sehr hoch. Allerdings sei man nicht abgeneigt, die Technologie bei späteren Wohngebieten einzusetzen – wenn sie sich bewährt, so der Gemeinderat.

   

Wie funktioniert das System? Die Studie geht von einer getrennten Erfassung von Schwarz- und Gelbwasser aus, was den Vorteil hat, dass beide Abwässer auf diese Weise besser verwertet werden könnten. Dazu ist eine spezielle Toilette erforderlich, die dann in allen Sanitärbereichen im gesamten Boschareal verbaut werden muss – und die gibt es nur in der Schweiz.

Zudem wären zwei autarke Abwassernetze nötig. Das Gelbwasser kann in einer zentralen Sammelstelle aufbereitet, abgefüllt und als Dünger verkauft werden. Man geht von einem Verkaufspreis von 28,42 Euro pro Liter (!) aus. Der gesamte Aufwand, das separate Abwassernetz inklusive Wartung sowie das erforderliche Gebäude – einschließlich erforderlichen Grundstücks – für die Aufbereitung des Gelbwassers erscheinen nicht nur dem Stadtbauamt zu hoch. Denn auch für das Schwarzwasser ist ein eigenes Abwassernetz erforderlich. Das müsste bis zur Heizzentrale gepumpt werden, um es dort in einem sogenannten „Omnivore“ zu Biogas zu vergären. Ein erster Prototyp dieses Omnivore wird aktuell in Stuttgart-Rot aufgebaut. „Ergebnisse aus Praxisversuchen mit diesem Prototyp liegen noch nicht vor und so halten unserer Fachleute diese Technologie noch nicht für ausgereift genug, um im Boschareal eingesetzt werden zu können“, bringt es die Bürgermeisterin auf den Punkt.

Nutzbar für die Toilettenspülung? Wenn das (noch) nichts für Rutesheim ist, dann das: Weil rund ein Viertel des in privaten Haushalten genutzten Trinkwassers für die Toilettenspülung genutzt wird, war auch das Gegenstand der Studie. Dazu würde das Abwasser aus Dusche, Waschbecken und Waschmaschine entweder in den Gebäuden oder an einer zentralen Stelle im Areal gesammelt und wieder aufbereitet, um es danach verwenden zu können, etwa für die Toilettenspülung oder die Waschmaschine.

Diese Technologie wird aktuell in einem Studentenwohnheim in Berlin mit 399 Wohneinheiten genutzt. Hier wird das Grauwasser zentral gesammelt und aufbereitet. Aber es einsteht ein Überschuss an gereinigtem Grauwasser, der im Abwasserkanal landet. Der Grund: Es entsteht viel mehr Grauwasser beim Duschen und Händewaschen, als in der Toilette verwendet werden kann.

Eine Nachfrage des Rutesheimer Stadtbauamts beim Projektmanager dieses Studentenwohnheims ergab, dass die Anlage gut funktioniere, aber auch viel kostet: rund 350 000 Euro plus Kosten für das getrennte Leitungsnetz. Das sei für ein kleines Mehrfamilienhaus wirtschaftlich nicht tragbar. „Es wäre aus Umweltgesichtspunkten eine sinnvolle Sache, aber leider ist es auch eine erhebliche finanzielle Belastung für die Bauträger und die späteren Bewohner, ohne dass diese einen erkennbaren Vorteil daraus hätten“, so das Fazit der Rathauschefin.

   

Ist Regenwasser im Haus nutzbar? Auch die Nutzung von Regenwasser erweist sich nicht so einfach wie gedacht. Im Bebauungsplanentwurf Bosch-Areal war bisher für alle Flachdächer eine intensive Dachbegrünung vorgesehen, um bei Starkregen möglichst viel Wasser auf den Dächern zurückzuhalten. Die Erfahrung zeigt aber, dass dieses meist gelb-bräunliche Regenwasser sich kaum für die Toilettenspülung eignet, da die meisten Bewohner die Braunfärbung des Spülwassers in ihrer Toilette nicht akzeptieren würden – auch nicht mit Erklärung.

Zudem steht in den Sommermonaten zu wenig Wasser zur Verfügung. Bei einer intensiven Dachbegrünung wird bis zu 95 Prozent des Regenwassers auf dem Dach zurückgehalten. Deshalb gelangt nur sehr wenig und dazu noch braunes Regenwasser in die Zisterne, aus welcher die Toiletten mit Wasser versorgt werden. Es sei absehbar, dass ein sehr großer Teil des Toilettenspülwassers aus dem Trinkwassernetz in die Zisterne nachgespeist werden müsse, um dann mit Strom wieder zu den Toiletten gepumpt zu werden, gibt das Bauamt zu bedenken.

So kann der Ratsbeschluss zustande, anstelle einer „intensiven“ eine „extensive“ Dachbegrünung vorzusehen, damit mehr Regenwasser in dezentralen, privaten und öffentlichen Zisternen gesammelt wird, um es für die Bewässerung der privaten und öffentlichen Grünflächen zu nutzen. Eine verpflichtende Nutzung des Regenwassers für die Toilettenspülungen in allen Gebäuden sei nicht sinnvoll. Die Nutzung des Regenwassers in Einzel- oder Reihenhäusern bleibe dem jeweiligen Eigentümer überlassen.

Man sei wohl zu optimistisch gewesen, hieß es letztlich im Gemeinderat. „Aber das Ergebnis und Fazit der umfangreichen Überlegungen und Untersuchungen ist, dass die Zeit leider noch nicht reif ist, um in der Praxis Gelb- und Schwarzwasser aufbereiten zu können“, sagt Susanne Widmaier. Die Regenwasserrückhaltung und -nutzung hingegen sei erprobt. Darum, wolle man sich auf die extensive Dachbegrünung fokussieren.