Für Außenstehende völlig überraschend hat Frank Henkel vom Stuttgarter Büro Ernst2 in einer öffentlichen Gemeinderatssitzung ungewöhnlich deutliche Worte gefunden für das, was aus seiner Sicht bei der Sanierung und Erweiterung des Plochinger Gymnasiums offenbar schon länger schiefläuft.
Als Projektsteuerer vertritt er die Stadt in ihrer Rolle als Bauherrin in dem Bauvorhaben und kontrolliert dabei unter anderem die Einhaltung der Zeitpläne. Als ein „großes Hemmnis im Projekt“ hat Henkel das deutschlandweit agierende Architekturbüro Baurconsult mit Sitz im bayerischen Haßfurt und insbesondere dessen Plochinger Bauleitung ausgemacht. Wobei Stadtbaumeister Wolfgang Kissling die Fachplaner und Baufirmen ausdrücklich in die Schelte miteinbezogen sehen will, wie er am Tag danach betont hat. Die schonungslose Kritik in der Ratsrunde war umso merkwürdiger, als dass die vermeintlichen Sündenböcke zu der Sitzung nicht eingeladen waren.
„Es gibt große Probleme mit dem Bauvorhaben, die Qualität der Planung und Termineinhaltung stimmen nicht. Die Stimmung auf der Baustelle ist angespannt bis schlecht“, kommentierte Henkel das knapp 50-Millionen-Euro-Vorhaben, das im September 2020 startete und sich bis 2026 ziehen wird. Falls sich dieses Ziel noch halten lässt. Die Arbeiten sind im Verzug, die Kostenpuffer für die ersten beiden Bauabschnitte so weit ausgeschöpft, dass keine Reserven in den Hauptbau mitgenommen werden können. Lange hatte man auf die Fenster für den Neubau warten müssen, zuletzt hatte der Fliesenleger Insolvenz angemeldet.
Das Gymnasium ist mit knapp 1300 Schülerinnen und Schülern eines der größten im Land, die komplexen Bauarbeiten gehen neben dem laufenden Schulbetrieb über die Bühne. Zudem ist das Gesamtprojekt noch nicht durchfinanziert. Die Stadt hofft noch immer auf Hilfe aus der Nachbarschaft, die Zuschüsse fließen nicht im erwarteten Umfang und die von der vormaligen Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) zugesagte Unterstützung des Landes lasse auf sich warten, klagt der Bürgermeister Frank Buß. Projektsteuerer Henkel zufolge begannen die Probleme bereits am Anfang des Projekts. Doch bisher drang nicht nach außen, „dass das Team aus Architekten, Bauherrn, Fachplanern und Baufirmen nicht kooperiert“, wie der Projektsteuerer in der Sitzung bekannte. Nachdem man aber etliche Gespräche mit den Vertretern von Baurconsult geführt habe, die nicht gefruchtet hätten, fand es Stadtbaumeister Kissling an der Zeit, deutlich zu werden. Man wisse um die Schwierigkeiten im Baugewerbe. Alles auf Corona oder den Ukraine-Krieg abzuladen, „wird der Situation aber nicht vollständig gerecht“, so Henkel vor dem Gemeinderat. Die Ratsrunde hatte sich vor Kurzem selbst ein Bild von der Baustelle gemacht. Henkel: „Die Bauleitung hat hier ein Päckchen mitzutragen.“ Sie habe die Planungen bei den Firmen nur zögerlich abgerufen beziehungsweise im Nachgang nicht rechtzeitig freigegeben. Und sie habe nicht ausreichend mit den Firmen kommuniziert. Die „fehlerhafte und zu späte Planung“ wiederhole sich im nächsten Bauabschnitt, dem Hauptbau.
„Bauleitung hat hier ein Päckchen mitzutragen“
Kissling: „Das Projekt stand von Anfang an unter Zeitdruck. Bei uns hat sich immer mehr der Eindruck verfestigt, dass das Büro hier Personal eingesetzt hat, das noch nicht über viel Erfahrungen im Schulbau verfügt.“ Was Baurconsult auf Anfrage dieser Zeitung bestreitet. Man bedauere außerordentlich, nicht zu der Sitzung eingeladen worden zu sein. „In der Sache weisen wir die Kritik zurück“, schreibt der Gesellschafter Sebastian Kuhn. Im Interesse einer konstruktiven Zusammenarbeit wolle man aber keine Einzelheiten über die Zeitung verhandeln. „Versichert sei an der Stelle jedoch, dass ein hochqualifiziertes, erfahrenes Team mit der Verwirklichung des Projektes betraut ist.“ Gerade im Bereich des Schulbaus verfüge man mit 300 Mitarbeitern über eine jahrzehntelange Expertise, mit der man bundesweit auch noch wesentlich größere Projekte erfolgreich realisiere und für die das Büro auch ausgezeichnet worden sei. „Für die weitere Fortführung des Projektes stehen wir auch weiterhin gerne zu Gesprächen bereit.“ Dazu wird es auch kommen. Denn dem Büro zu kündigen wäre mit massiven Kosten, einem weiteren Zeitverlust von mindestens einem Jahr und mit ungewissen Aussichten auf Verbesserung verbunden, wie Henkel dem Gemeinderat erläuterte. Da man immer wieder wichtige Etappenziele erreicht habe, könnte eine Auseinandersetzung vor Gericht schwierig werden, gab Stadtbaumeister Kissling zu bedenken – auch wenn seine Verwaltung das Projekt sehr viel enger habe begleiten müssen als vorgesehen.
Bürgermeister Frank Buß soll jetzt im Auftrag des Gemeinderats mit den Chefs der Haßfurter Zentrale persönlich verhandeln. Mit dem Ziel, dass das Plochinger Gymnasium eine erfahrene Bauleitung bekomme, „die der Komplexität des Bauvorhabens entspricht“.
Kündigung käme teuer
Schule
Das Gymnasium Plochingen ist mit knapp 1300 Schülerinnen und Schülern (Stand 2020/21) eines der größten allgemeinbildenden Gymnasien im Land. Zudem ist es das einzige Gymnasium im Landkreis Esslingen, das im Zuge eines Modellversuchs des Landes sowohl einen achtjährigen als auch einen neunjährigen Bildungsgang zum Abitur anbieten kann. Rund 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler kommen aus den Nachbarkommunen. Das Land erwartet von der Stadt, dass die Schule sechs Eingangsklassen aufnehmen kann.
Sanierung
1966 begann der Bau des Schulgebäudes im heutigen Unteren Schulzentrum, Ende der 1970er Jahre kamen An- und Umbauten sowie 1981 eine Sporthalle und 2002 ein weiterer Bau dazu. Im September 2020 starteten die ersten Arbeiten zur Sanierung des Schulkomplexes, nachdem der Gemeinderat eine erste Kostenschätzung von knapp 60 Millionen Euro um zehn Millionen Euro gedrückt hatte. Die Stadt erwartet sich von den Nachbarkommunen eine Beteiligung an den Sanierungskosten, was diese ablehnen. Der Streitwert vor Gericht läge laut Rathaus bei rund 16 Millionen Euro, Plochingen erhofft sich allerdings eine Lösung auf dem Verhandlungsweg.