Schauspiel Stuttgart Premiere von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ in Stuttgart

Szene aus Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ im Schauspielhaus Stuttgart mit Michael Stiller, Gabriele Hintermaier, Peer Oscar Musinowski, Paula Skorupa und Evgenia Dodina. Foto: David Baltzer / bildbuehne.de

Tina Lanik leuchtet mit ihrer Inszenierung von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ im Schauspielhaus Stuttgart Abgründe aus. Schaut die Heldin mit allzu rosaroter Brille auf die Welt?

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Grau mein Freund ist alle Theorie. Und grün des Lebens goldner Baum. Diese Sätze stammen zwar aus einem anderen deutschen Klassiker, Goethes „Faust“, mögen aber dem Regieteam der jüngsten Produktion des Schauspiel Stuttgart durch den Kopf gegangen sein, als es über einen anderen Theaterhit nachgedacht hat: Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“.

 

Die Welt in der Parabel von 1943, mit der Generationen von Schülern die Malaisen des Kapitalismus – Geld regiert die Welt – erklärt wurden, ist am Samstag auf der Bühne des Schauspielhauses pink, gelb, rot, blau und ja, auch grün. Regisseurin Tina Lanik und Stefan Hageneier, der Bühne und Kostüme verantwortet, haben sich dabei von der Grundverfasstheit der Heldin leiten lassen.

Die Prostituierte Shen Te (Paula Skorupa), die von den drei Hauptgöttern als ein guter Mensch auf der vorwiegend von Schurken bewohnten Erde ausgemacht wird, schaut durch die sprichwörtlich rosa Herzchenbrille auf ihre Mitmenschen. Besonders auf den arbeitslosen Flieger Yang Sun (Peer Oscar Musinowski). Der ist zwar in Grün gewandet, aber leider kein „Lebens goldner Baum“, sondern ein Kerl, der sich vor allem für Shen Tes Geld interessiert.

Was die Menschen umtreibt: Geld und Schulden

Die grundgute Sichtweise hat Shen Te also exklusiv. Und so mahnt die ganzen drei Stunden lang an der Wand des asiatisch anmutenden Pavillons die hingemalte Zahl 100 an das, was die Menschen umtreibt: Geld. Und Schulden, die wie Blei an ihnen ziehen. Mit der Geldforderung beginnt auch Shen Tes Doppelleben als guter und schlechter Mensch.

Von dem Geld, das die Götter ihr geschenkt hatten, kauft sich die Prostituierte einen Tabakladen, um dort Gutes zu tun. Sie lässt unter anderem die ehemalige Besitzerin, die Witwe Shin weiter dort wohnen – Evgenia Dodina spielt sie als herrlich kratzbürstige und gelenkige Pragmatikerin, die es sich immer wieder auf einem der Regalbretter einer Stellage bequem macht.

Genau für diese Stellage verlangt der Schreiner (Michael Stiller, der auch in der Rolle des reichen Barbiers überzeugt) 100 Silberdollar. Und die biestige Hausbesitzerin (Gabriele Hintermeier presst ihre spitzen Bemerkungen mit kieksenden Tönen hervor) verlangt die Halbjahresmiete im voraus. 200 Silberdollar. Geld, das Shen Te nicht hat.

Spielfreudiges Ensemble im Schauspielhaus

So nimmt sie doch den Rat der Witwe Shin an. Die hatte ihr erklärt, sie müsse auch mal eine Bitte abschlagen, weil sie sonst bald pleite sei. Dazu könne sie einen strengen Vetter erfinden: „Das könnte man, wenn man sich nicht immer als Wohltäterin aufspielen müsste.“ Diesen Zweifel an der puren Selbstlosigkeit Shen Tes hegen Regie und Schauspielerin nicht. Wenngleich sie gegen Ende selbst sagt, wie wohl ihr das Gutsein tue, sie gehe dann „wie auf Wolken“, ist davon im Spiel wenig zu merken. Paula Skorupa interpretiert Shen Te als freundlich moralisches, integres Wesen, das ihre Wutrede über Feigheit und Schlechtheit der Menschen frontal in Richtung Publikum richtet.

Sie muss sich also ganz schön verbiegen, sie reckt und streckt sich ausgiebig, bevor sie als Vetter Shui Ta auftaucht und ganz kapitalistisch die Dinge zurechtrückt, Forderungen abschmettert. Im unauflösbaren Hin und Her zwischen Gefühl (Shen Te) und Verstand (Shui Ta) wird dann auch ein Freund verraten, der Wasserverkäufer Wang, den Valentin Richter mit schalkhafter Quirligkeit ausstattet.

Rosarot getünchte Moralkritik

In Szenen wie diesen überzeugt die Inszenierung mit einem spielfreudigen Ensemble. Die wenigen Zuschauer, die nach der Pause nicht zurückkehrten, verpassten die gelungensten Momente. Etwa die Verlobungsszene. Shen Te, der Flieger Yang Sun, dessen Mutter und Witwe Shin sitzen dicht gedrängt, einander schubsend. Die geldgierige Mutter Yang hofft, Vetter Shui Ta möge noch auftauchen, was wiederum Witwe Shin, die um die Doppelrolle Shen Te/Shui Ta weiß, süffisant lächelnd quittiert.

Mit der Zeit droht der böse Shui Ta die liebe Shen Te endgültig zu verdrängen. Er führt die Geschäfte, wirft den Freunden Shui Tas rosafarbene Arbeitsanzüge zu, in denen sie in der Tabakfabrik schuften müssen. Hier scheint die in Rosarot getünchte Moralkritik am Kapitalismus umso bitterer durch; die Welt zu kalt, der Mensch zu schwach.

Alle Fragen offen

Körperliche Verrenkungen, die die gedanklichen Schieflagen und Brechts schwarzen Humor ausstellen, sind zu erleben, wenn sich die Götter (Marietta Meguid, Noah Baraa Meskina und Reinhard Mahlberg) gemeinsam winden und schlängeln. Sie haben keine Lust, ihren Glauben an die Güte von Shen Te zu verlieren, auch wenn die zugibt, dass sie schlecht ist und jammert: „Ich brauche den Vetter!“ Die lapidare Antwort: „Nicht zu oft“, „jeden Monat, das genügt“.

Die Musik zu Liedern wie dem „Von der Wehrlosigkeit der Götter und Guten“ von Paul Dessau in einer Bearbeitung von Cornelius Borgolte und der Sezuan Electric Band wird ausgiebig beklatscht. Zwar ist öfter ein Blick auf die Übertitelungsleiste oben an der Bühne nötig, da die Liedtexte angesichts der musikalischen Lautstärke schwer zu verstehen sind. Doch es ist ein starker Abend, der die berühmten Worte des Epilogs, „Vorhang zu und alle Fragen offen“ ernst nimmt. Das Publikum geht gedankenreich nach Hause.

Info

Weitere Termine
Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ ist am 16., 24., 28. Oktober, 1., 6., 28. November, 16. und 21. Dezember im Schauspielhaus Stuttgart zu sehen.

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