Die Rottenburger stimmen per Bürgerentscheid über den Erhalt ihres Schlachthofs ab. Das könnte Auswirkungen auf den Umbau des Gärtringer Schlachthofs haben. Eine Verzögerung ist zumindest sicher.

Dieses Jahr, nächstes Jahr oder doch erst 2024? Seit das Landratsamt den Schlachthof in Gärtringen wegen schwerer Verstöße gegen das Tierwohl im September 2020 dichtgemacht hat, fehlt es nicht an Prognosen, wann die völlig neu konzipierte Einrichtung den Betrieb wieder aufnehmen wird. Fest steht: Niemand weiß es genau. Lange Zeit gab es zu viele Fragezeichen hinter der Finanzierung, der Konzeption und der Planung. Nun kommt eine Unwägbarkeit hinzu, die einen Neustart für immer platzen lassen könnte: In Rottenburg hat eine Initiative zum Erhalt des dortigen Schlachthofs einen Bürgerentscheid erwirkt. Dessen Ergebnis könnte weitreichende Auswirkungen auf die Zukunft des Gärtringer Schlachthofs haben.

 

Der Bürgerentscheid findet im Januar statt

Wie mehrfach berichtet, soll der nach höchsten Tierwohl-Kriterien neu geplante Gärtringer Schlachthof auch den Landkreis Tübingen bedienen. Voraussetzung hierfür ist, dass der in die Jahre gekommene Schlachthof in Rottenburg geschlossen wird. Dieser entspricht den Ansprüchen einer modernen tiergerechten Schlachtung längst nicht mehr.

Die Gärtringer Einrichtung soll in Zukunft daher die Kapazitäten von Rottenburg übernehmen. So würde Gärtringen die Funktion eines regionale Schlachthofs für die Landkreise Tübingen und Böblingen einnehmen. Damit wäre diese Region versorgt und ein wirtschaftlicher Betrieb im Gärtringer Schlachthof gewährleistet. Der Landkreis Tübingen und die Stadt Rottenburg haben daher beschlossen, sich gemeinsam mit einer Million Euro an den Umbaukosten in Gärtringen zu beteiligen. Falls der Bürgerentscheid diese geplante Kooperation kippt, wären sowohl die Finanzierung wie auch die Auslastung des 10,5 Millionen Euro teuren Umbaus in Gärtringen infrage gestellt.

Bleiben Rottenburg und Tübingen im Boot?

Im Böblinger Landratsamt schaut man deshalb mit Sorge darauf, wie die Rottenburger Bürgerschaft am 22. Januar entscheidet. „Das treibt mich um“, räumt der Böblinger Landrat Roland Bernhard ein. Würde Rottenburg aussteigen und die Million aus dem Landkreis Tübingen nicht nach Gärtringen fließen, ist für Roland Bernhard die Schmerzgrenze des Projektes erreicht. Das Aus für die geplante Wiedereröffnung des Schlachthofs im Kreis Böblingen schließt der Landrat in diesem Fall nicht mehr aus. „Dann wackelt Gärtringen gehörig“, sagt er. Dass der Kreistag bereit wäre, diese Finanzierungslücke zu schließen, bezweifelt Bernhard. „Dafür fehlt mir die Fantasie“, gesteht er. Roland Bernhard betont, dass, falls es so weit kommt, nicht nur ein wesentlicher Betrag im Finanzierungsplan fehlen würde. „Dann ist auch die Geschäftsgrundlage weg“, erklärt er. Zwei Schlachthöfe auf so engem Raum, ist Bernhard sicher, funktionieren wirtschaftlich nicht. Die Konkurrenz wäre zu groß. Für ihn gibt es daher nur eine Alternative: Gärtringen wie geplant umbauen und Rottenburg schließen. Sein Argument: Der Gärtringer Schlachthof werde nach modernsten Tierwohl-Kriterien umgebaut und liege verkehrsgünstig, in Rottenburg würden im Falle einer Sanierung nur die Mindeststandards beim Tierwohl geschaffen.

Eine Lösung, die weiterhin auf Rottenburg setzt, hält Roland Bernhard für „unvernünftig“. Bernhards Appell an die Rottenburger ist daher deutlich: „Schenken Sie Gärtringen das Vertrauen, und schaffen Sie keine Konkurrenz.“

Die Konkurrenz wäre zu groß

Damit ist sich der Landrat einig mit den politisch Verantwortlichen in Rottenburg und im Tübinger Kreistag. Dort gibt es eine breite Mehrheit für die Schließung des Rottenburger Schlachthofs und eine Kooperation mit Gärtringen. Die entsprechenden Beschlüsse sind bereits gefasst. Eine Sanierung in Rottenburg würde rund 5,7 Millionen Euro kosten.

Rottenburg und Tübingen wollen eine Million beisteuern

Auch wenn sich die Rottenburger im Januar, wie in Böblingen erhofft, gegen einen Erhalt ihres Schlachthofs aussprechen, bedeutet der Bürgerentscheid zunächst einmal eine weitere Verzögerung des Gärtringer Projekts, da die Finanzierungsvereinbarung zwischen den Partnern nun bis nach dem Bürgerentscheid vertagt werden muss. Diese gilt jedoch als Grundlage für die Umsetzung des Projekts. Geplant ist nach derzeitigem Stand, dass sich das Land (3,5 Millionen), der Landkreis Böblingen (6 Millionen, davon 3 Millionen als Darlehen) und Rottenburg/Tübingen (1 Million) die Kosten teilen.

Eile ist geboten

Auch wenn Tübingen und Rottenburg im Boot bleiben, müssen sich die Projektpartner wohl mit Kostensteigerungen anfreunden. Denn die veranschlagten 10,5 Millionen Euro Umbaukosten für den Gärtringer Schlachthof dürften bei den derzeitigen Baukostensteigerungen nicht zu halten sein. Derzeit gibt es keine aktuelle Kostenschätzung. Die 10,5-Millionen-Schätzung ist bereits ein Jahr alt.

Und wenn sich die Rottenburger von ihrem Schlachthof verabschieden sollten und der Schlachthof in Gärtringen umgebaut werden kann – im Böblinger Landratsamt will niemand eine Prognose abgeben, wann der Neustart stattfinden könnte. Eile ist indes geboten: Jeder Monat Verzögerung bedeutet für die Tiere längere Transportwege in benachbarte Schlachthöfe und birgt die Gefahr, dass sich die betroffenen Landwirte langfristig an andere Partner binden.

Der lange Weg von der Schließung zur Wiedereröffnung

Tierquälereien
 Ende August 2020 veröffentlicht die Tierschutzorganisation Soko Tierschutz Videomaterial, das Gewalt gegenüber den Schlachttieren und mangelhafte Betäubungen im Schlachthof Gärtringen dokumentiert.

Schließung
 Unter dem Druck dieser Veröffentlichungen schließt der Böblinger Landrat Roland Bernhard den Schlachthof Anfang September 2020.

Neustart
 Der Landkreis beschließt 2021 einen Neustart des Schlachthofs. Dieser soll zu einem Vorzeigebetrieb in Sachen Tierwohl ausgebaut werden. Als Betreiber geht eine Genossenschaft aus Landwirten und Metzgern an den Start. Die derzeitigen Kosten für den Umbau des Schlachthofs betragen 10,5 Millionen Euro.

Kooperation
Um den Schlachthof wirtschaftlich rentabel zu machen, sichtet der Landkreis Kooperationspartner. Fündig wird er 2022 im Landkreis Tübingen. Der dortige Schlachthof in Rottenburg soll geschlossen werden, Gärtringen soll dessen Funktion mit übernehmen.

Protest
In Rottenburg formiert sich eine Initiative für den Erhalt des dortigen Schlachthofs. Am 22. Januar gibt es hierüber einen Bürgerentscheid.