Wohntraum in Stuttgart Architektenpreis für Kupferdach
Großzügiger Wohnraum entsteht auch über den Dächern der Stadt – ein Dachausbau in Stuttgart wurde jetzt mit dem Preis „Wohnbauten des Jahres 2022“ ausgezeichnet.
Großzügiger Wohnraum entsteht auch über den Dächern der Stadt – ein Dachausbau in Stuttgart wurde jetzt mit dem Preis „Wohnbauten des Jahres 2022“ ausgezeichnet.
Stuttgart - Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße, so hat der Dichter Kurt Tucholsky das Wohnwunschdenken seiner Zeitgenossen auf den Punkt gebracht. Das ist eine Weile her, stimmt aber immer noch. Die Ostsee vor dem Haus, daraus ist bei diesem Projekt in Stuttgart nichts geworden, aber immerhin vorn die Aussicht auf die Stadt und hinten idyllisches Gartengrün.
Ein 170-Quadratmeter-Wohntraum mit zwei Terrassen ist unterm Dach eines Gründerzeithauses von 1894 entstanden, konzipiert vom jungen Stuttgarter Architekturbüro Studio Cross Scale. Der Architekt Sascha Bauer (36) wurde vom Eigentümer des Wohn- und Geschäftshauses zur Umsetzung angefragt und leistet so einen Betrag dazu, knappen Wohnraum in der Stadt nicht nur zu erhalten, sondern auszubauen und energetisch fit zu machen.
Jahrzehnte der kleinteiligen Anpassung hatten zu heterogenen Heizungsanlagen geführt. „In dem Haus gab es schon Kohle-, Öl-, Elektro- und Gasheizungen“, sagt Sascha Bauer. Die Anbringung von Solarpaneelen war aus hangästhetischen Gesichtspunkten nicht wünschenswert. Geothermie kam wegen des darunterliegenden Wagenburgtunnels nicht in Frage. Es musste ein Gesamtkonzept gefunden werden, um die baurechtlichen Vorgaben zu erfüllen, ohne die historische Sandsteinfassade dämmen zu müssen.
Am Ende wurde es ein mit Biogas betriebenes Blockheizkraftwerk (BHKW) im Untergeschoss. Sascha Bauer: „Die Abwärme nutzen wir für die Heizung. Der eigens produzierte Strom steht für das gesamte Haus und die E-Ladestationen für Fahrrad und Pkw zur Verfügung. Überschüssigen Strom speisen wir in das Stromnetz für andere Stadtbewohner ein.“
Der neue Putz außen orientiert sich farblich am Sandstein des Hauses und an den Nachbargebäuden. Für das Dach hat der Architekt Kupfer gewählt, weil es sich mit den Jahren farblich an die Farbe der Hangbebauung anpassen wird und nachhaltig ist: „Die Kupferpaneele am Dach sind handwerklich gefälzt ohne adhäsive Verbindungsmittel und nehmen Bewegungen in sich verändernden klimatischen Verhältnissen gut auf.“
Durch die Ausführung als sogenanntes Kaltdach mit Hinterlüftungsebene zur Ableitung von Stauwärme und Kondenswasser kann das Kupfer mehrere Hundert Jahre überdauern. Falls es doch entsorgt werden muss, „kann das Dach inklusive der Holzkonstruktion und der Zellulosedämmung sortenrein auseinandergenommen und rezykliert werden.“
Der Dachaufbau, so Sasche Bauer, sei das Ergebnis einer Formensuche, die den historischen Kontext unter Abstimmung mit dem Stadtplanungsamt und den Grenzen der heutigen Bauvorschriften auslotet.
Die Geschäftsräume im Erdgeschoss und ersten Stock wurden saniert. Der zweite Stock wurde von Geschäftsräumen zu jeweils zwei Wohnungen umgebaut, und die beiden Wohnungen im dritten Stock auf einen modernen Stand gebracht. Das in den 1950er Jahren provisorisch wiederaufgebaute Satteldach hat jetzt Platz für neuen Wohnraum.
Zudem wurde ein Aufzug über sieben Etagen eingebaut, es gibt einen barrierefreien Zugang ins Haus. Für Menschen, die nicht mehr gut zu Fuß sind, aber dennoch in der Stadt wohnen bleiben wollen, ein Segen, denn Wohnraum mit Aufzug ist auch in Stuttgart rar.
Im Treppenhaus konnten der Linoleumboden, Eisen-Treppengeländer und die Fenster aus früherer Sanierung erhalten bleiben. Bauer: „Wir wollten respektvoll mit den uns noch zur Verfügung stehenden Ressourcen umgehen.“ Beim Thema energiesparendes Bauen, sagt Sascha Bauer, müsse man auch die graue Masse beachten. Also die Frage, was passiert mit der abgerissenen Bausubstanz, deren Entsorgung und Neuerrichtung ja auch immense Energie verbraucht und zusätzlichen Müll produziert.
Auch was die vom Staat geförderte Dämmung von Häusern betrifft, kann man sich fragen, wie nachhaltig es ist, all diese Wärmedämmverbundsysteme später auf der Sondermülldeponie entsorgen zu müssen. Und ob das für ein Stadtbild von Vorteil ist, die wenigen noch vorhandenen Stadtsteinfassaden verschwinden zu lassen.
Bei der Gestaltung des Wohnraums unterm Dach war dem Architekten wichtig, dass er so flexibel gestaltet ist, dass auch eine Wohngemeinschaft einziehen könnte. Neben einem WC, das noch Platz für eine Dusche bietet, verfügt die Wohnung über ein großes Bad mit bodengleicher Dusche und einer Badewanne. Badezimmer und Küche sind mit schlichten, schnörkellosen Einbaumöbeln von der Schreiner Kopf.
Der Architekt: „Wir finden das nachhaltiger, da doch die Menschen heute öfter umziehen als früher und so nicht jedes Mal eine neue Küche kaufen müssen, weil die Küche aus der alten Wohnung nicht in den Raum passt.“
3,20 bis 4,5 Meter hohe Räume schaffen ein luftiges Wohngefühl, die dreifach verglasten Dachfenster mit Kupfereinrahmung integrieren sich bestens ins Kupferdach. Und wenn es mal richtig heiß wird im Sommer, gibt’s noch eine klimatisierte Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, welche im oberen Bereich die Hausanlage in allen Jahreszeiten spezifisch unterstützt.
Besonders beeindruckt im Wohnbereich das drei Meter breite Schwing-Fenster samt Sitzbank – ein schöner Rahmen für das bewegte Bild: die Innenstadt, Schlossplatz, Oper, Uni Stuttgart, Bahnhof und die Cranko-Schule. Auf die schaut man auch, wenn man die kleine mit WPC (einem rezyklierten Kunststoff mit Holzanteil) Terrasse zur Straßenseite betritt. Nach hinten hinaus bietet eine 20 Quadratmeter große Terrasse Aussicht auf den Hanggarten des Hauses.
Beide Terrassen haben eine Brüstung aus Ganzglasscheiben im jeweiligen Winkel der Dachneigung und einen schmalen Handlauf aus Kupfer. „So bleiben die imposanten Ausblicke auch im Loungesessel nicht verborgen“, so Sascha Bauer.
Der Umbau ist der Nachhaltigkeit wegen im Gespräch für einen wichtigen Architekturpreis, und Bauers Büro wurde zu Deutschlands „glorreichen Fünf“ vom Baumeister Magazin, New Monday und NXT A – das Netzwerk für junge Architektinnen und Architekten ausgezeichnet.
Ein Wohntraum mit gutem Gewissen also – erst recht seit das Einfamilienhaus auf der grünen Wiese in politischen Debatten auch wegen der Flächenversiegelung in die Kritik geraten ist.
Und das gelang auch hier: bei einer Villa mit Garten, gebaut über den Dächern der Stadt mitten im Stadtzentrum. Ausgezeichnet wurde das kühne Projekt als eines der drei besten Häuser des Jahres 2020 vom Deutschen Architektur Museum und dem Callwey-Verlag. Konzipiert hat es der Architekt Gernot Hertl für den Besitzer eines Wohn- und Geschäftshauses im österreichischen Linz.
Im Erdgeschoss waren hier schon immer Geschäftsräume, doch die oberen Etagen wurden umgestaltet, dazu im fünften Stock zwei Geschosse aufgesetzt und eine neue Aufzugsanlage eingebaut. Das Denkmalschutzamt gab grünes Licht. Denn an der Stirnseite des Hauses aus dem 19. Jahrhundert wurde nichts geändert, man sieht die Villa mit ihren über 200 Quadratmeter Wohnfläche von der Straße aus nicht.
Die Idee zum schlichten, zweistöckigen Flachdachbau hat weniger mit einem Kontrast zur Zuckerbäckerfassade zu tun als damit, Bautraditionen fortzuführen. „Wir greifen die Architektur des alten Gebäudes mit Mansardendach und großen Fensterflächen auf, wie man sie auch aus Paris kennt“, sagt der Architekt. „Unser Vorschlag war, Ziegelbau mit Kalkzementputz zu verwenden, denn wir wollten bei dem Hausaufbau mit Baustoffen weiterarbeiten, die es ursprünglich schon gab.“
In der Straße, in der auch eine Straßenbahnlinie fährt, wollte man so wenige Kräne wie möglich aufstellen. „Wir haben bei der Bauweise auf viele kleine Einzelteile gesetzt und mit Holz und Ziegel gearbeitet, um schweren Stahlbeton zu vermeiden, wo es geht. So kamen wir mit kleinem Gerüst an der Fassade aus.“
Vom Eingang geht es an einem grünen Atrium entlang zu den Rückzugsräumen. Steigt man die Treppe hinauf, kommt man über eine Wohnetage dann weiter auf den Dachgarten mitsamt Loggia für eine Sommerküche.
Im Inneren des Hauses wird die Idee im Sinne des Weiterbauens mit alten Materialien weiterverfolgt, aber, wie Hertl sagt, „im Heute zeitgemäß verankert durch Reduktion und Präzision in der Ausführung“. Also kein Stuck und Ornament, der Rekurs aufs Alte erschöpft sich in der Materialwahl. Aber dann wieder Ausblicke aufs Alte: Von der Küche schaut man durch ein querformatiges Fensterband auf Türme und Dächer der Linzer Innenstadt bis zum Pöstlingberg.
Und auch wenn mit solchen Projekten die Wohnungsmisere allenfalls gelindert wird, sind dies gute Aussichten für die Bewohner der Gebäude und Anregungen für das Bauen der Zukunft.
Dieser Text erschien in einer ersten Version am 21.05.2021.