Ein Konzept für die Tonne? Nein, der Ministerpräsident will beim Abitur keine Denkverbote gelten lassen. Ein Arbeitskreis des Kultusministeriums hatte Empfehlungen zur Zukunft des Gymnasiums vorgelegt. Daran entzündete sich Kritik.

Stuttgart - Mit Arbeitspapieren aus dem Schoß diverser Arbeitskreise hat die grün-rote Landesregierung ihre liebe Not. Schon die Vorarbeiten zum Bildungsplan, Unterkapitel sexuelle Vielfalt, hatte zu heftiger Kritik an der grün-roten Bildungspolitik geführt.

 

Nun geht es um ein Reformpapier für das Gymnasium, betitelt „Gymnasium 2020“, das aber nicht nur die Opposition auf den Plan ruft, sondern auch in den Regierungsfraktionen für Unruhe sorgt. Das Gymnasium mit seiner langen Tradition zählt zum Kern der bildungsbürgerlichen Gemütslandschaft, niemand weiß das besser als der Bildungsbürger Winfried Kretschmann. Weshalb der Ministerpräsident schon in der Debatte um die Gemeinschaftsschule – in der Lesart der Opposition: Einheitsschule – dem allgemeinbildenden Gymnasium eine Bestandsgarantie gegeben hatte.

Die Zielmarke der grün-roten Koalition ist das Zwei-Säulen-System, in der das Gymnasium nach den Bekundungen des Regierungschefs neben der Gemeinschaftsschule und ihren vielfältigen Nebenformen unangetastet bleiben soll.

Die Zeiten ändern sich, die Schule auch

Doch Kretschmann sagt: „Alle Dinge müssen reformiert werden.“ Das gelte auch für das Gymnasium. Zu seiner Schulzeit hätten zehn Prozent eines Jahrgangs das Gymnasium besucht, sagte er am Dienstag in Stuttgart nach der Kabinettssitzung. Heute seien es 40 Prozent. Darauf müsse die Padagogik Antworten geben, und gerade in der Pädagogik gebe es an den Gymnasien schon noch manches zu verbessern. Deshalb will Kretschmann die Empfehlungen eines Arbeitspapiers aus dem Dunstkreis des Kultusministeriums unbefangen bewerten – und sie nicht nach dem Aufkeimen von Kritik gleich wieder in die Tonne treten.

Die noch von der früheren Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer eingesetzte Arbeitsgruppe, besetzt mit Schuldirektoren, Eltern und Schülern, schlägt unter anderem ein Coachingsystem vor: Lernentwicklungsberater sollen die Schüler bei der Definition ihrer Lernziele und Lernschritte unterstützen. Kritik finden indes vor allem die Vorschläge für eine bessere Verzahnung von Mittel- und Oberstufe. Die Klasse 10 soll der Oberstufe als OS 1 zugeschlagen werden. Demnach soll das vierte vierstündige Kernfach nicht mehr zwingend eine Naturwissenschaft oder eine weitere Fremdsprache sein. Kernkompetenzfächer bleiben Deutsch, Mathematik und eine Fremdsprache. Real- und Gemeinschaftsschüler ohne zweite Fremdsprache beginnen in der OS 1 eine zweite Fremdsprache und führen sie weiter bis zum Abitur. Schüler des allgemeinbildenden Gymnasiums mit zweiter Fremdsprache können diese nach Klasse neun abwählen und in OS 1 eine neue Fremdsprache beginnen. Bei der Abiturprüfung wird auf das vierte schriftliche Prüfungsfach verzichtet. Statt dessen gibt es nach den Vorstellungen des Arbeitskreises zwei mündliche Prüfungen. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) beteuerte , die Landesregierung werde keine Leistungsanforderungen reduzieren. Zugeständnisse bei den Fremdsprachen betrachte er „sehr reserviert“. Allerdings halte er eine bessere pädagogische Betreuung angesichts der bei einer nennenswerten Zahl von G-8-Schülern erkennbaren Überlastungssymptomatik für sinnvoll.

Der Chef der FDP-Fraktion, Hans-Ulrich Rülke, sieht angesichts dieser Pläne hingegen „die Zukunft der erfolgreichen Schulart auf dem Spiel“. Der CDU-Fraktionschef Guido Wolf nannte die Überlegungen „brandgefährlich“.