Der Science-Fiction-Autor Dirk van den Boom beschäftigt sich damit, wie die Menschen mit der Informationsflut umgehen.

Stuttgart - Computertechnik und künstliche Intelligenz machen rasend schnelle Fortschritte. Wie werden sie unser Leben bestimmen? Wie beeinflussen sie die Arbeit eines Science-Fiction-Autors? Solchen Fragen geht der Politologe und Schriftsteller Dirk van den Boom – seine Antworten fließen auch in seine neuen Romane ein. Für gute Sci-Fi es aber mehr als fiktive Wissenschaft: Ohne starke Geschichten und Emotionen geht es nicht.

 
Herr van den Boom, Sie haben an der Universität Stuttgart vor Informatikern über die zunehmende Verbreitung von Falschmeldungen im Internet gesprochen: Wie hängt das mit Ihrer Rolle als Science-Fiction-Autor zusammen?
Als Science-Fiction-Autor befasse ich mich mit der Auswirkung von Technik auf das Leben der Menschen. Das ist ja zentrales Thema des Genres. Wie nutzen wir Technologie, und wie nutzt sie uns? Welche Auswirkungen hat sie auf Kommunikation? Gerade wenn es um den Austausch und das Speichern von Daten geht: Inwieweit sind wir noch die Herrscher von Information, und inwieweit beherrschen Informationen uns? Denken Sie beispielsweise an den Film „Matrix“, da ist dies ein ganz großes Thema.
Faszinierend und gruselig! Sehen Sie die Entwicklung der künstlichen Intelligenz denn optimistisch oder pessimistisch?
Ich bin persönlich ja grundsätzlich eher ein Optimist. Ich glaube auch, dass es etwas Positives ist, dass wir auf immer mehr Informationen zugreifen können. Aber wenn man viele Informationen bekommt, muss man lernen, kritisch damit umzugehen. Diese Techniken werden nirgendwo gelehrt. Unsere Leichtfertigkeit im Umgang mit Informationen, das ist ein Problem.
Wer rettet uns?
Wir selbst! Gerade wenn wir das Thema Fake-News anschauen, dann sehen wir, dass sich selbst organisierende Gegenbewegungen gegen diese Flut von Dummheit bilden, ohne dass jemand von oben eingreift. Das wird immer lebendiger und immer kraftvoller. Die Rettung kommt aus der Tatsache heraus, dass nicht nur die Idioten wissen, wie das Internet funktioniert.
Ihnen als Science-Fiction-Autor hätte ich zugetraut, dass Sie auf künstliche Superintelligenz als den großen Retter setzen.
Künstliche Intelligenz mit Ich-Bewusstsein, das ist ein Lieblingsthema von uns Science-Fiction-Autoren! Und ein Schreckensszenario für die meisten anderen.
Wenn Sie als Science-Fiction-Autor sprechen: Gibt es auch eine positive Vision, wenn Sie an Singularität denken, also die künstliche Intelligenz mit Bewusstsein, die den Menschen übertrumpft?
Ich glaube nicht, dass die alleinige Entwicklung von künstlicher Intelligenz automatisch in einer Katastrophe endet. Ich habe auch prinzipiell keine Angst vor Wesen, die ein Bewusstsein haben. Dann wäre ich ein Psychopath und müsste vor allen Menschen Angst haben. Die Frage ist, wie diese KI mit dieser Macht umgeht.
Ob sie nett ist zu uns Menschen?
Es gibt ein paar wunderbare Science-Fiction-Romane, die davon ausgehen, dass in der fernen Zukunft eine interstellare Regierung nur über KI möglich ist. Menschen sind dann Bürger und haben gewisse Rechte, aber sie haben keine Macht. Wenn die KI gut ist und für alle das Beste will, dann ist das überhaupt kein Problem. Im Gegenteil: Es kann dazu führen, dass wir viele komplexe Probleme leichter lösen können.
Sie sind als Autor extrem produktiv: Sie haben an die 30 Science-Fiction-Bücher geschrieben. Wie kommen Sie auf Ihre Ideen?
Man muss sich von der Idee lösen, dass ständig neue Geschichten erfunden werden. Es gibt sogar einige zynische Romanautoren, die sagen: Jede Geschichte ist bereits geschrieben worden. So ganz falsch ist das nicht. Wenn Sie Science-Fiction schreiben und verkaufen wollen, dann müssen Sie den Erwartungen der Leser entsprechen. Die wollen im Grunde das, was ihnen im Genre lieb und teuer ist – in Variationen. Die Versatzstücke, die in den 1950er und 60er Jahren vor allem im angloamerikanischen Raum entwickelt wurden, finden Sie heute noch.
Raumschiffe und Aliens?
Roboter, Raumschiffe und Aliens, interstellare Reisen. Dazu kommen technische Gimmicks wie überlichtschnelle Reisen, weil sich manche Dinge sonst endlos in die Länge ziehen würden. Manche Romane enthalten technische Erklärungen und manche nur Handwedelei nach dem Motto: Das funktioniert jetzt einfach. Bei Sci-Fi ist das Zentrale schon lange nicht mehr die Beschreibung von Science, also Wissenschaft, sondern eine gute Geschichte, die in einem gewissen Kontext stattfindet. Ich will vor allem die Leser mitnehmen. Ich bin zwar Wissenschaftler, aber ich muss zugeben, ich will manchmal auch einfach nur mit der Hand wedeln.
Was macht eine gute Geschichte aus ?
Wichtig sind Emotionen. Es geht um die handelnden Personen und deren Geschichte, das Leid, das sie erleben, das Leid, aus dem sie erlöst werden, das Leid, an dem sie möglicherweise scheitern. Diese emotionalen Momente sind zentral für eine mitreißende Geschichte. Schicke Raumschiffe reichen da nicht.
Bringen Gespräche mit Forschern wie in Stuttgart Sie auch auf neue Romanideen?
Auf jeden Fall. Ich habe als Geek ja keine Berührungsängste mit Nerds – wir sind da von einer sehr ähnlichen DNA. Was mich allerdings auf solchen Konferenzen oft erschreckt, ist, dass sich die Menschen über die sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen ihrer Technologien völlig unklar sind. Es interessiert sie nicht, weil sie so fasziniert sind von den vielen Spielzeugen, die sie da programmieren. In Stuttgart gab es einen Vortrag dazu, wie man Hirnwellen am Arbeitsplatz aufzeichnen kann, um herauszufinden, ob jemand an einer Arbeit gerade viel Freude hat oder nicht. Aber was heißt das, wenn ein Chef solche Technologien einsetzt? Solche Fragen spielen bei den Forschern überhaupt keine Rolle. Das betrachte ich eher mit Sorge.
Glauben Sie, dass Ihr Beruf als Romanautor irgendwann von einer künstlichen Intelligenz übernommen wird?
Ich würde so gerne sagen: Nein. Aber den ersten Schritt sehen wir schon jetzt: Ich bin nebenbei noch Übersetzer, und ich beobachte sehr interessiert, wie die Qualität der Übersetzungssoftware immer besser wird. In zehn Jahren werden Sie für einfach gestrickte Unterhaltungsliteratur keinen menschlichen Übersetzer mehr brauchen. Das ist der erste Schritt.
Und dann lernt die KI, welche Muster spannende Romane aufweisen . . .
Wir haben bei den Tausenden Romanen sehr viele, die extrem mechanistisch aufgebaut sind, nach Schema F. Was soll ein solches Computerprogramm aufhalten, aus all den Millionen Versatzstücken von Romanen neue zu stricken. Zu behaupten, dass ich als Autor nicht ersetzbar bin, das halte ich für anmaßend.
Zur Person

Multitalent
Dirk van den Boom (50) ist Politologe, Schriftsteller und Übersetzer. Seit 1996 veröffentlicht er politikwissenschaftliche Sachbücher und Science-Fiction-Romane.

Preis
Der erste Teil seiner Reihe „Die Welten der Skiir“ wurde 2017 mit dem DeutschenScience-Fiction-Preis ausgezeichnet.