Schwerkranke können in Belgien selbstbestimmt aus dem Leben scheiden. Vor zwei Jahrzehnten eingeführt, befürwortet eine Mehrheit der Gesellschaft die aktive Sterbehilfe.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

In Belgien nehmen immer mehr Menschen Sterbehilfe in Anspruch. Die Zahl der Fälle ist nach Angaben von Behörden im vergangenen Jahr um 15 Prozent auf 3423 gestiegen. Belgien hat 2002 eines der liberalsten Gesetze zur aktiven Sterbehilfe weltweit eingeführt. Seitdem können Schwerstkranke einen Arzt um Unterstützung bitten, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Geknüpft ist dieser Schritt jedoch an genaue Bedingungen. Die Person muss ihren Wunsch bei vollem Bewusstsein äußern, er muss überlegt und wiederholt bekundet werden und der Sterbewillige muss auf nicht zu lindernde Weise körperlich oder psychisch leiden.

 

Diskussion über Sterbehilfe für Minderjährige

In der belgischen Bevölkerung wird die Sterbehilfe längst nicht mehr kontrovers diskutiert. Dennoch schaffen es immer wieder besonders spektakuläre Einzelfälle in die Schlagzeilen, wie jener von Geneviève Lhermitte, die 2007 ihre fünf Kinder getötet hat. In den Jahren nach der grausamen Tat beging sie mehrere Suizidversuche. Nach zahlreichen Gutachten von Psychiatern und Medizinern wurde ihrem Antrag auf Sterbehilfe schließlich Anfang vergangenen Jahres wegen einem „unerträglichen psychischen Leiden“ stattgegeben.

Für sehr große Diskussionen sorgte noch einmal, als 2014 das Recht auf Sterbehilfe auf Minderjährige ausgeweitet wurde – ohne Altersgrenze. In den sehr wenigen danach dokumentierten Fällen, waren alle Kinder unheilbar krank und litten unter großen Schmerzen. Für Aufmerksamkeit sorgte im vergangenen Jahr der Fall eines 16-jährigen Mädchens, das an einem Gehirntumor litt. Sie machte ihre Entscheidung publik und erzählte, dass sie sich nach ihrem Tod für eine Organspende entschieden habe. „Uns sind fünf Fälle bekannt“, seit das Gesetz in Kraft getreten ist, erklärt Jacqueline Herremans, Anwältin und Co-Vorsitzende der Kommission zur Kontrolle und Bewertung der Sterbehilfe. In den Niederlanden ist aktive Sterbehilfe ab zwölf Jahren erlaubt, in Luxemburg nur bei Volljährigen.

Die Patienten sind unheilbar krank

Nach den Angaben der Behörden entscheiden sich vor allem alte Menschen zu diesem letzten Schritt. Fast dreiviertel der Menschen, die um Sterbehilfe bitten sind älter als 70 Jahre und 42 Prozent älter als 80. Personen unter 40 Jahren machten nur 1,1 Prozent aus. Bei rund 80 Prozent aller dokumentierten Fälle wäre nach Angaben der Ärzte der Tod in sehr naher Zeit eingetreten. Über die Hälfte der Patienten litt demnach an unheilbaren Krebsarten.

Doch nicht immer sind die Entscheidungen der Ärzte so eindeutig zu fällen. Etwa wenn bei Demenz-Patienten aufgrund einer früheren Verfügungen Sterbehilfe geleistet werden soll. 2018 war ein Fall vor die Sterbehilfe-Kommission gekommen, in dem ein Arzt sogar ohne Patientenverfügung gehandelt hatte, angeblich auf Wunsch der Familie. Carine Brochier vom Europäischen Institut für Bioethik in Brüssel warnt immer wieder davor, dass in manchen Fällen Grenzen unzulässig überschritten würden. Und die Wissenschaftlerin ruft ins Gedächtnis, dass die Sterbehilfe zwar ein Recht sei, „aber nur als Möglichkeit, eine Ausnahmeregelung“. Erst wenn alle anderen medizinischen und psychischen Hilfen tatsächlich ausgeschöpft seien, dürfe dieser letzte Schritt gegangen werden.

Sie haben suizidale Gedanken? Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 und unter https://ts-im-internet.de/ erreichbar. Ein Online-Beratungsangebot (Chat und Mail) für Kinder, Jugendliche und Heranwachsende gibt unter www.krisenchat.de sowie unter www.u25.de. Eine Liste mit Hilfsangeboten findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: https://www.suizidprophylaxe.de/