Unerkannt hing ein Werk des florentinischen Meisters Cimabue in einem Haus in der Nähe von Paris. Beim Entrümpeln wurde das auf sechs Millionen Euro geschätzte Gemälde entdeckt. Cimabue hat der Malerei der Neuzeit den Weg bereitet.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Alles Wertlose sollte auf den Müll. Aus Altersgründen hatte sich eine Dame entschlossen, ihr Haus in Compiègne nördlich von Paris zu verkaufen. Eine Firma wurde beauftragt, den Haushalt aufzulösen. Für Philomène Wolf schien es ein Job wie viele zuvor. Doch wie von einer Ahnung getrieben, streifte die Auktionatorin noch einmal durch die verwaisten Räume. In einem Durchgang zwischen offener Küche und Wohnzimmer fiel ihr Blick auf ein Bild in DIN-A4-Größe, das unscheinbar über der Bar hing. Die Qualität des goldenen Hintergrundes auf dem Holztableau erstaunte die junge Frau.

 

„Ich dachte, das könnte womöglich das Werk eines primitiven Malers aus Italien sein“, beschreibt sie ihre ersten Gedanken, „aber ich habe nicht geglaubt, dass das aus der Hand von Cimabue stammt.“ Ihrer Intuition folgend, brachte Philomène Wolf das Werk zu Eric Turquin, einem renommierten Kunstgutachter in Paris. Hätte sie mit ihrer ersten Vermutung richtiggelegen, wäre die Holztafel rund 300 000 Euro wert gewesen. Doch nach dem Urteil des Fachmanns wurde ihr klar, dass sie eine kunsthistorische Sensation in Händen hielt.

Der Holzwurm weist den Weg

Bei ihrem Fund handelt es sich um das Bild „Der verspottete Christus“ des florentinischen Meister Cimabue aus dem 13. Jahrhundert. Schätzwert: bis zu sechs Millionen Euro. Zwei weitere Szenen aus derselben Cimabue-Serie zur Passion und Kreuzigung Christi sind in der Londoner National Gallery und in der New Yorker Frick Collectionzu sehen. Das Bild ist auf Pappelholz mit goldfarbenem Hintergrund gemalt. Bei Infrarotlicht-Untersuchungen sei die Urheberschaft auch dank dieses Holzes zweifelsfrei festgestellt worden, sagte der Kunstexperte Turquin. „Sie können den von den Würmern gebauten Tunneln folgen“, erklärte er. Spuren von holzfressenden Larven in der Tafel ähnelten denen, die in anderen Teilen der Cimabue-Serie zu finden sind. „Es ist die gleiche Pappelplatte“, so der Experte.

Cimabues Werk ist stark von byzantinischer Kunst geprägt. „Selbst wenn das Gemälde düster wirkt, zeigt es eine Vielzahl von Emotionen in den Gesichtern und den Gesten“, betonte Turquin. Auf dem Gemälde ist Christus inmitten einer Menschenmenge zu sehen. Cimabue (1272– 1302) ist einer der bekanntesten Maler Italiens vorm Beginn der Renaissance.

Niemand in der Familie der Seniorin kann sich erinnern, woher das einzigartige Werk stammt oder wer es gekauft hat. Über Jahre sind alle achtlos an dem Millionenvermögen vorbeigegangen und hielten es für eine einfache russische Ikone. „Die neunzigjährige Besitzerin ist sehr glücklich“, sagt Philomène Wolf, „ihre Verwandten können das Ganze noch immer nicht fassen.“ Sie selbst fasst ihren Gemütszustand in einem kurzen Satz zusammen: „Das ist ein magischer Moment.“ Inzwischen steht auch fest, dass das Werk am 27. Oktober in Compiègne versteigert werden wird. Im Moment lagert es bei Eric Turquin in einem Tresor. Experten gehen davon aus, dass das Bild angesichts seiner Einzigartigkeit auch mehr einbringen könnte als die geschätzten sechs Millionen Euro. Vor der Versteigerung wird das Gemälde noch einen Tag lang im Rathaus von Compiègne ausgestellt werden.

Das Haus der alten Dame ist inzwischen geräumt. Rund einhundert Objekte wurden für rund 6000 Euro verkauft. Die meisten Möbel landeten auf dem Müll.