Das Jugendheim Schönbühl hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Während die Häuser bei Weinstadt-Beutelsbach aktuell für den Bau eines Solarparks abgerissen werden, erinnert eine Sonderausstellung im Württemberg-Haus an die Entwicklung der Einrichtung in über 130 Jahren.

Dass der Zahn der Zeit an den Ausstellungstafeln genagt hat, ist unübersehbar. Teils sind Ecken und Kanten der Sperrholzplatten abgebrochen, ihre weißen Beschichtungen schwärzlich verfärbt. So dokumentiert die neue Sonderausstellung im Württemberg-Haus in Weinstadt-Beutelsbach nicht nur die Historie des Jugendheims Schönbühl von seiner Gründung 1866 bis zu seiner Schließung 2002, sondern ist selbst auch schon ein Stück Geschichte. „Wir versuchen gar nicht, sie wieder wie neu herzustellen, sondern lassen die Spuren sichtbar“, so der Stadtarchivar Bernd Breyvogel zu den derangierten Tafeln.

 

Erst 2023 konnte Weinstadt das Gelände aufkaufen

Die Spuren an ihnen kommen nicht von ungefähr. Denn beinahe wäre die Tafeln, die zur 120-Jahr-Feier des Heims 1986 konzipiert und erstmals präsentiert wurden, im Zuge der laufenden Abrissarbeiten auf dem Schönbühl – an Stelle des früheren Jugendheims soll ein Solarpark entstehen – entsorgt worden. Schuld sei ein Missverständnis gewesen, erklärt Breyvogel, der die Tafeln gerade noch rechtzeitig vor einem Ende auf der Deponie bewahren konnte, ebenso ein eisernes Wandbild, das einst in den Werkstätten des Heims hing und ebenfalls im Württemberg-Haus gezeigt wird. Übrigens nicht das erste Mal, dass die Ausstellung fast das Zeitliche gesegnet hätte. Nach der Schließung des Heims ließ der Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) die Gebäude komplett leer räumen, um sie zu verkaufen. Auch die Ausstellung landete dabei in einem Abfallcontainer. Doch Hans Ruff, der als Verwalter für den KVJS tätig war und Gründer und Vorsitzender des Schebbes-Vereins zum Erhalt des historischen Andenkens des Jugendheims ist, holte sie wieder heraus.

2016 zeigte der Verein anlässlich des 150. Jahrestags der Heimgründung die Schautafeln in der früheren Schreinerei der Einrichtung. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Schönbühl bereits den Besitzer gewechselt, nachdem Thomas Barth ihn der Stadt gewissermaßen vor der Nase weggeschnappt hatte. In den folgenden Jahren verfolgte der Kaisersbacher Unternehmer verschiedenste Nutzungsideen für das Gelände, bis er nach ebenso vielen Querelen mit der Stadt es im Frühjahr 2023 an sie weiterverkaufte. Doch so bewegt die jüngere Vergangenheit auch ist, sie ist nicht Teil der Ausstellung.

Seinen Ursprung nahm alles in Bad Herrenalb

Diese konzentriert sich auf den Schönbühl als „Rettungsanstalt für besonders entartete und verbrecherische Knaben evangelischer Confession“, wie das Heim in seinen Anfangsjahren geheißen hatte. In „Gottes freier Natur fernab von allem Bösen“ sollten diese wieder auf den rechten Weg geführt werden, erklärt der Kurator der Ausstellung, Wolfgang Rube, den Gedanken, den Pfarrer August Lämmert bei der Gründung der Einrichtung 1859 an ihrem ursprünglichen Standort auf Gut Thalwiesen in Bad Herrenalb im Schwarzwald im Zuge der damaligen Rettungshausbewegung verfolgte.

1866 zog der erste Hausvater Wilhelm Ramsauer mit den jugendlichen Bewohnern auf den Schönbühl. Rube hat von ihm für die Schau ebenso wie von vielen der auf ihn folgenden Heimleiter anhand alter Fotografien ein Portraitgemälde gefertigt. Zudem sind die Tafeln mit zahlreichen historischen Aufnahmen bestück worden, die Rube aus Archiven ausgegraben sowie von Angehörigen ehemaliger Heimleiter zur Verfügung gestellt bekommen hat. Ein über die 27 Tafeln hinweglaufender Zeitstrahl in Bildern ordnet die Historie des Schönbühls außerdem in die jeweilige Zeitgeschichte ein.

Die Prügelstrafe gehörte bis 1930 zur Tagesordnung

Rube kennt das Jugendheim Schönbühl wie wohl kein anderer: zum einen, weil er eine Doktorarbeit über dessen Entwicklung geschrieben hat; zum andern, da er selbst sieben Jahre lang die Berufsschule des Heims geleitet hat. „Ich habe gelernt, was das Lehrer-Dasein heißt – ohne Netz und doppelten Boden“, sagt Rube, dessen Vorgänger in der Schulleitung seinen Dienst quittierte, nachdem er von Schülern zusammengeschlagen wurde. Er sei indes immer gut mit den Jugendlichen ausgekommen, fügt Rube hinzu, um im nächsten Satz voll Stolz von den erfolgreichen Ausbildungsabschlüssen der Schönbühl-Schüler zu berichten: „Wir hatten mehrere Kreissieger im Handwerk.“ So weiß er auch manch Anekdote zu erzählen, etwa wie Lothar Späth am 17. Juni 1986 zur Einweihung von Neubauten und zur Feier des 120-jährigen Bestehens des Heims per Hubschrauber auf dem Schönbühl einflog. „Das war das erste und letzte Mal, dass ein Landesvater den Schönbühl besucht hat“, erinnert sich Rube. „Er hatte eine besondere Art, Leute zu begeistern“ – und das sei ihm auch mit der Rede gelungen, die er völlig frei vor den Jugendlichen gehalten habe: „Lothar Späth war der Star an diesem Tag.“

Doch es gibt auch sehr dunkle Kapitel in der Geschichte des Schönbühls. So gehörten bis zu den reichsweiten Heimrevolten 1930 Prügelstrafen zur Tagesordnung. Nach ihrer Machtergreifung sorgten die Nationalsozialisten dafür, dass mit Albert Nestele ein Parteigetreuer die Leitung des Jugendheims übernahm. „Er führte 1934 Zwangssterilisationen ein.“ Zudem war der Reichsarbeitsdienst auf dem Schönbühl aktiv und es gab Pläne ein HJ-Heim zu errichten, wie die begleitende Vitrinenausstellung zeigt.

Die Sonderausstellung „Das Jugendheim Schönbühl“

Eröffnung
Die Sonderausstellung „Das Jugendheim Schönbühl 1866 – 2002“ im Württemberg-Haus, Stiftstraße 11 in Weinstadt-Beutelsbach, wird am Sonntag, 25. Februar, eröffnet. Dazu spricht um 11.15 Uhr der Stadtarchivar Bernd Breyvogel.

Öffnungszeiten
Bis zum 23. Juni ist die Ausstellung samstags von 14 bis 18 Uhr und sonntags von 13 bis 17 Uhr zu sehen, sowie auf Anfrage unter der Nummer 0 71 51 / 9 85 47 98 oder per E-Mail an wuerttemberg-haus@weinstadt.de. Darüber hinaus ist sie auch im Rahmen der Interkommunalen Museumsnacht am Samstag, 22. Juni, von 18 bis 24 Uhr geöffnet.

Vortrag
Kurator Wolfgang Rube erläutert am Freitag, 19. April, anhand der Entwicklung des Jugendheims Schönbühl exemplarisch, wie sich der Umgang mit „schwer erziehbaren“ Jugendlichen pädagogisch über die Jahre gewandelt hat, und wie sich an ihr Landesgeschichte zeigt. Der Vortrag beginnt um 19 Uhr.

Führungen
An den Donnerstagen, 21. März und 16. Mai, können Besucher sich je ab 19 Uhr von Rube durch die Sonderausstellung führen lassen.