Täglich sterben in Syrien Menschen. Doch mitjedem Tag des Krieges wächst auch die Sorge, dass die kulturellen Schätze des Landes vernichtet werden.Denn die Weltkulturerbe-Stadt Aleppo ist umkämpft.Wer sie hält, beherrscht das Land.

Aleppo - Jagdbomber donnern über die Dächer, Kampfhubschrauber feuern auf Wohnhäuser. Über 200 000 Menschen sind bereits aus der Stadt geflohen, seit über vier Wochen wird in Aleppo erbittert gekämpft. Häufig würden Unbeteiligte zur Zielscheibe von Luft- und Artillerieangriffen durch die syrischen Streitkräfte, sagte UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Rovera. Sie war für zehn Tage in die umkämpfte Handelsmetropole gereist, um sich ein Bild von der Lage dort zu machen.

 

Für den Tod der japanischen Journalistin Mika Yamamoto am Montag in Aleppo macht die syrische Regierung die Aufständischen verantwortlich. Sie sei von „bewaffneten Gruppen“ getötet worden, um die syrischen Streitkräfte in ein schlechtes Licht zu rücken, sagte der stellvertretende Außenminister Fajsal Mekdad gestern. Zuvor hatten die Rebellen erklärt, Yamamoto sei von Regierungstruppen getötet worden.

Auch eindrucksvolle Zeugnisse der Zivilisation in Gefahr

Beobachter von Amnesty International stellten nach einem zehntägigen Aufenthalt in Aleppo fest, das die Auseinandersetzung zwischen Regierungstruppen und Rebellen auf dem Rücken der Zivilsten ausgetragen werde. Tod und Zerstörung sind mittlerweile an der Tagesordnung in der zweitgrößten syrischen Stadt.

Am vergangenen Wochenende beschossen die Rebellen erstmals auch den Flughafen, die Stadt ist nun praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. Immer spärlicher werden die Nachrichten und immer größer die Sorgen, mit der 5000 Jahre alten Handelsmetropole könnte am Ende auch eines der eindrucksvollsten Zeugnisse menschlicher Zivilisation im Nahen Osten in Schutt und Asche versinken.

Schützen feuern durch die mittelalterlichen Schießscharten

Auf Videos sind ausgebombte Wohnhäuser zu sehen, toben erbitterte Kämpfe in den Straßen und rattern Panzer durch den berühmten historischen Stadtkern. Bilder, die bei der Besetzung der historischen Zitadelle durch Assads Soldaten gedreht wurden, zeigen schwere Zerstörungen an dem Wahrzeichen von Aleppo. Mauerteile liegen herum. Unter dem Torturm am Ende der Zugangsbrücke klafft ein metergroßer Krater, den eine Rakete geschlagen hat, die vermutlich von Rebellen der islamistischen Tawhid-Brigade abgefeuert wurde. Herausgebrochen liegen die massiven ayyubischen Eisentore auf dem Boden, die aus der Epoche Saladins stammen. Und wie Augenzeugen berichten, feuern Scharfschützen seitdem durch die mittelalterlichen Schießscharten auf die Rebellen. Tawhid-Kommandeur Abdel Qader al-Saleh kündigte gegenüber Al Jazeera an, man wolle die Zitadelle stürmen. „Das ist der höchste Punkt der Stadt, wenn wir ihn kontrollieren, können wir Assads Armee schlagen.“

Noch nie wurde Aleppo aus der Luft bombardiert

Und so fürchten Archäologen und Historiker weltweit, dass der syrische Bürgerkrieg auch an den historischen Bauten der Stadt irreparable Wunden schlagen wird. Noch nie in seiner Geschichte war Aleppo – wie jetzt durch das Assad-Regime – aus der Luft bombardiert worden. 16 Monate lang blieben seine drei Millionen Einwohner von den Kämpfen verschont, jetzt trifft die Gewalt einen der ältesten Siedlungsplätze der Menschheit mit umso größerer Wucht.

Denn die Rebellen wollen mit der Eroberung die Basis für einen Sieg über Damaskus legen. Und das Assad-Regime weiß, wenn es Aleppo nicht halten kann, ist sein Kampf um die Macht verloren. Allen voran deutsche Archäologen, Architekten und Städteplaner haben in den letzten 15 Jahren das historische Zentrum von Aleppo behutsam restauriert, was 1986 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt worden war. 120 000 Menschen leben in der Altstadt, die von Anfang an in die Rehabilitierung ihrer Häuser miteinbezogen wurden – ein Unterfangen, was die „New York Times“ vor zwei Jahren als „das weitsichtigste Instandhaltungsprojekt des Nahen Ostens“ lobte. Zwölf Kilometer lang ist der Souk, der Hunderte mittelalterlicher Häuser und Koranschulen, Handelshöfe und Paläste sowie eine Moschee aus der Ommayyadenzeit in sich birgt. Eingestreut finden sich auch feine Touristenhotels mit malerischen Innenhöfen, Beispiele für Glanz und Eleganz orientalischer Baukunst, die jetzt von Gewalt und Zerstörung bedroht sind.

Ein geplantes Museum konnte nicht mehr realisiert werden

Das Gleiche gilt für den Tempel des Sturmgottes Adda, der nach Angaben des „World Monuments Fund“ zu den ältesten Bauwerken der Menschheit überhaupt gehört. Er wurde 1996 von Berliner Archäologen unter der Leitung von Kay Kohlmeyer im Herzen der Zitadelle entdeckt und ausgegraben. Bislang war der Tempel, dessen erste Bauphase bis in die Bronzezeit zurückreicht, Besuchern nicht zugänglich. Ein geplantes Museum zum Schutz der Ausgrabungsstätte wurde wegen der Turbulenzen in Syrien nicht mehr begonnen.

Und so sind die einzigartigen Basaltreliefs mit Gottheiten und mythischen Figuren, die teilweise noch älter sind, als die in Berlin rekonstruierten berühmten Figuren von Tell Halaf, momentan lediglich durch Sandsäcke vor den Kugeln geschützt. Der Ausgrabungsplatz selbst ist notdürftig mit einem Wellblechdach abgedeckt. „Wir befürchten auch, dass es jetzt und nach einem möglichen Fall des Regimes zu Plünderungen kommt, wie es sie auch im syrischen Bürgerkrieg zu Beginn der achtziger Jahre oder später im Irak gab“, sagte Kohlmeyer gegenüber unserer Zeitung. Zudem kursierten Gerüchte, dass inzwischen Plünderer und Händler – teilweise gezielt mit Listen – unterwegs seien, um Ausgrabungsorte sowie Provinzmuseen heimzusuchen. „Wer Städte und Dörfer mit Düsenjägern bombardiert, nimmt alles in Kauf“, erklärte der Archäologe. „Was sich in Syrien abspielt, ist ein gigantisches Guernica.“