Warum ist die Sprache im Netz so oft gewalttätig? Dass man über einen einzigen Facebook-Eintrag stürzen kann, zeigt die Affäre um Daniel Rousta.
Stuttgart - Verändert das Internet die Sprache? Diese Frage stellen sich nicht nur Linguisten schon seit mehr als zehn Jahren. Die Antwort lautet kurz gefasst: nicht die Sprache hat sich verändert, sondern in erster Linie das Verhältnis von Sprache und Schrift und dass man sogar über einen unbedachten, kurzen Facebook-Eintrag stürzen kann, ist in diesen Tagen deutlich geworden: Daniel Roustas politische Karriere ist vorerst beendet.
Bei der Kommunikation im Internet hat sich, wie es Fachleute formulieren, die Mündlichkeit verschriftlicht. Was früher in einem Telefonat gesagt worden wäre, wird nun schriftlich festgehalten, obwohl es den bisherigen Anforderungen an einen geschriebenen Text nicht gerecht wird. Zudem werden online Dinge geschrieben, die man im persönlichen Gespräch kaum sagen würde, weil sie zu brutal, beleidigend, sarkastisch oder vulgär sind. Es schreiben auch viel mehr Menschen aus bildungsfernen Schichten, die früher hauptsächlich mündlich kommuniziert haben. Dies wiederum führt dazu, dass viele mit Fehlern behaftete Texte in Umlauf geraten.
Hinzu kommt, dass es sich unter dem Schutzmantel der Anonymität leicht pöbeln lässt. Das scheint auch für Nachrichtenseiten im Internet zu gelten. Eine Gruppe von Studenten der Universität Heidelberg hat diesen Eindruck bestätigt. Bei ihrer Untersuchung, die unter der Leitung des Germanisten Friedemann Vogel durchgeführt wurde, fanden sie heraus, dass unter den fünf analysierten Medien auf Bild.de und Web.de die meiste sprachliche Gewalt und das höchste Maß an Brutalität herrschen. Allerdings findet sich auf Spiegel.de und Handelsblatt.de ebenfalls sprachliche Gewalt. Auf diesen Seiten sei meist Zorn die Motivation. Es wurden aber weniger vulgäre Ausdrücke verwendet. Ein Großteil aller Kommentare auf Nachrichtenseiten ließe sich der Kategorie „Zorn und Ekel“ zuordnen.
Die Mehrheit der Kommentare drückt Gefühle aus
Die Studenten haben Kommentare analysiert, die sich auf Artikel zu Themen wie „Schuldenschnitt für Griechenland“ und „Chinesische Investitionen in Europa“ beziehen. Auf Zeit.de wird vulgäre Sprache gänzlich vermieden; sprachliche Gewalt tritt nur selten auf. Definiert wird diese sprachliche Gewalt in der Untersuchung als „jeder gesichtsverletzende verbale Angriff“. Wobei sich die Emotionen mal auf einzelne Politiker, mal auf ganze Völker (die Griechen, die Chinesen) oder auf den jeweiligen Berichterstatter beziehen.
Online liest man häufiger Kommentare wie diese: „Diese drecks Politiker kotzen mich total an. Wir müssen jeden € sparen und die Penner schmeißen die Milliarden zum Fenster raus.“ Die Studenten haben bei ihrer Untersuchung festgestellt, dass die Mehrheit der Kommentare primär dem Ausdruck von Gefühlen dient. Zwar würden durchaus auch Sachverhalte diskutiert, doch auch dann diene der Kommentar dazu, die persönliche Haltung darzustellen. Auffällig sei, dass immer wieder die gleichen Emotionen zum Ausdruck kämen: Wut und Verachtung gegenüber Politikern oder gegenüber anderen Nutzern, die das Thema ebenfalls kommentiert haben.
Wirft man einen Blick in die Kommentare, die zu Artikeln der Stuttgarter Zeitung online verfasst werden, so wird auch hier deutlich: es herrscht teilweise ein Ton, wie er weder bei einem Leserbrief noch im persönlichen Gespräch auftreten würde. Die meisten diskutieren im Internet nämlich anonym. Bei Kommentaren zu dem noch immer emotionsgeladenen Thema Stuttgart 21 stellt man fest, dass die immer gleichen Nutzer im fast immer gleichen Tonfall entweder andere Kommentatoren beschimpfen oder wiederholt ihre Meinung in leichten Variationen kundtun. Die Online-Redaktion der StZ stellt fest, dass sie bei Einträgen, die unter dem Klarnamen verfasst werden, hingegen wesentlich seltener moderierend eingreifen muss.
Gesprochene und geschriebene Sprache nähern sich an
Gesprochene und geschriebene Sprache nähern sich an
Je nach Heftigkeit der jeweiligen Emotion schlagen Wut oder Verachtung in sprachliche Gewalt um, wie man sie selbst zu vorgerückter Stunde kaum am Stammtisch antreffen würde. Das Fazit der Heidelberger Studenten: „Nachrichtenkommentare im Internet dienen zuallererst der Entladung von Emotionen. In der Anonymität des virtuellen Raumes entfällt die soziale Kontrolle, treten alltägliche Normen des höflichen Umgangs außer Kraft.“ Doch es kommen noch weitere Faktoren hinzu.
Die ursprüngliche Absicht der Kommentarfunktion, nämlich eine Diskussion unter Lesern über aktuelle Themen zu initiieren, ist aber nur möglich, wenn ein Mindestmaß an höflichem Umgang miteinander gewährleistet wird. Dass dem nicht immer so ist, beschreibt Angelika Storrer, Linguistin an der Technischen Universität Dortmund, in ihrer Arbeit „Schriftverkehr auf der Datenautobahn: Besonderheiten der schriftlichen Kommunikation im Internet“. Darin schreibt sie, dass das, was an schriftlichen Produkten über die Datenautobahn geschickt werde, vielfach in auffälliger Weise von dem abweiche, was man von schriftlichen Texten erwarte.
Storrer zufolge gab es im 20. Jahrhundert die generelle Tendenz, dass sich gesprochene und geschriebene Sprache einander annähern. Sie stellt auch die Frage, ob diese Verschiebung von Sprech- und Schreibsprache tatsächlich durch das neue Medium ausgelöst wurde. Bisher galt Schriftlichkeit als durch raum-zeitliche, soziale und emotionale Distanz geprägt, während Mündlichkeit sich durch raum-zeitliche sowie soziale und emotionale Nähe auszeichnete. Storrer beobachtet im Internet sprechsprachliche Konstruktionen mit wenig durchkomponierten Sätzen und eine für die Mündlichkeit typische assoziative, dialogisch gesteuerte Themenentwicklung. So würden häufig Interjektionen wie „na“, „äh“, „hmm“ oder „ach“ verwendet, die vor allem für die mündliche Gesprächssteuerung typisch seien. Auffällig sei auch die Verwendung von Wortverschmelzungen wie „haste“ oder „willste“.
Das Neue an der Kommunikation ist nicht die Schnelligkeit
Die räumliche Distanz spielt im Internet kaum eine Rolle. Im Chat kann in Echtzeit schriftlich kommuniziert werden. So werde räumliche Distanz durch zeitliche Nähe kompensiert, schreibt Storrer. Dadurch, dass man sich im gleichen Chatraum befinde, werde emotionale und soziale Nähe geschaffen – man gehöre zur gleichen Netzgemeinde. Einander wildfremde Personen duzen sich im Internet, nur weil sie den gleichen Artikel auf einer Nachrichtenseite kommentieren.
Das Neue an der Kommunikation in Internetforen ist also nicht die Schnelligkeit – denn es können auch Tage vergehen, bis jemand auf einen Beitrag reagiert –, sondern vielmehr die soziale Nähe. Man fühlt sich einer virtuellen Gemeinschaft zugehörig. Dies mag erklären, weshalb es vielen Kommentatoren – und nicht zuletzt Daniel Rousta – so leichtfällt, ihren Emotionen schriftlich freien Lauf zu lassen.
Tipps für den Umgang im Netz
Drei Tipps für den Umgang im Netz
1. Man hat es mit Menschen zu tun.
Oft hat man das Gefühl, da sitzt einer vor seinem Computer und lässt mal so richtig „Dampf“ ab, vergreift sich im Ton, ist beleidigend und unverschämt. Als Faust-regel gilt daher: Formulieren Sie so, als ob Sie einer Person gegenübersäßen. Für soziale Netzwerke gilt: Formulieren Sie so, als ob Ihr Chef Ihnen beim Schreiben über die Schulter schauen würde.
2. Texte sollte man vor dem Absenden noch einmal lesen.
Die Gefahr von Missverständnissen ist bei schnell geschriebenen und am Bildschirm gelesenen Texten besonders hoch. Meist eilt das Absenden eines Kommentars nicht. Es bleibt also Zeit, alles in Ruhe noch einmal zu prüfen. Vergewissern Sie sich, dass der Autor des Artikels, auf den Sie antworten wollen, auch das gemeint hat, was Sie denken.
3. Zu Kommentaren sollte man namentlich stehen.
Im Internet ist es nicht unüblich, seine wahre Identität hinter einem Pseudonym zu verbergen. Pseudonyme verführen dazu, Dinge zu schreiben, die man sich sonst nicht erlauben würde. Versehen Sie Ihre Texte mit dem Klarnamen. rst
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