Mit einem Staatsakt haben die Repräsentanten des Staates und politische Weggefährten Abschied vom früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble genommen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hielt eine bewegende Rede.

Korrespondenten: Tobias Peter (pet)

Es ist eine Verneigung. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hält große Teile seiner Rede beim Staatsakt für den verstorbenen Wolfgang Schäuble auf Deutsch. „Liebe Frau Schäuble, Madame“, sagt er im Bundestag. Und fügt bald den entscheidenden Satz an: „Frankreich hat einen Freund verloren.“

 

Macron ist auf Französisch ein begnadeter, temporeicher Redner. Durch die deutschen Sätze muss er sich langsamer hindurchtasten. Das macht er allein als Zeichen des Respekts für Schäuble, der Ende des Jahres im Alter von 81 Jahren gestorben ist. Macron würdigt Schäuble als „großen Europäer“. Schäuble habe danach gehandelt, dass die deutsche Einheit und die europäische Vereinigung zwei Seiten einer Medaille seien.

Einen besseren Ort als den Bundestag kann es nicht geben, um sich von Schäuble zu verabschieden. Er war Chef des Bundeskanzleramts, Innen- und Finanzminister, CDU-Parteichef und Unions-Fraktionschef. Vor allem aber war er 51 Jahre Abgeordneter – so lang wie kein anderer. Hier hatte er als Bundestagspräsident sein protokollarisch höchstes Staatsamt inne.

Ein streitbarer Demokrat

Dass Berlin im wiedervereinigten Deutschland Hauptstadt wurde und der Bundestag heute dort tagt, ist nicht zuletzt einer großen Rede Schäubles zu verdanken – mit der er in der entscheidenden Debatte in Bonn viele Abgeordnete überzeugte. Hier – im Bundestag – hat Schäuble als Präsident Sitzungen geleitet und Abgeordnete schon mal auf seine ihm eigene Art und Weise abgekanzelt. Schäuble, ein echter, ein streitbarer Demokrat.

Es ist eine große deutsche und europäische Trauerstunde im Bundestag – mit etwa 1500 Gästen. Die frühere Kanzlerin Angela Merkel (CDU) reicht der Fußballlegende Günter Netzer die Hand, bevor sie sich auf ihren Platz neben Altpräsident Joachim Gauck setzt. Es gibt manchen Kuss zur Begrüßung, es wird geplaudert. Als der Staatsakt beginnt, ist es still im Bundestag. Das ist der Moment, als Schäubles Witwe Ingeborg am Arm von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Saal betritt.

Bas lobt den „vollendeten Staatsdiener“

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) ist die erste Rednerin. Sie – Schäubles Nachfolgerin in diesem Amt – lobt ihn als den „vollendeten Staatsdiener“. Die Sozialdemokratin betont: „Immer galt für ihn: erst das Amt, dann die Person“. Sie verweist darauf, dass er politische Rückschläge und persönliche Schicksalsschläge bewältigt habe. Schäuble – das ist klar– wäre gern Kanzler geworden. Aber er trat nicht beleidigt ab, sondern machte immer weiter, als sich nicht alle seine Träume erfüllten. Und: Auch das Attentat, das ihn in den Rollstuhl brachte, konnte ihn nicht von seinem Lebensweg abhalten. Er war nicht verbittert. Bas hebt hervor, Schäuble habe einen „hintergründigen Humor“ gehabt.

Unions-Fraktionschef Friedrich Merz, der als Freund spricht, gibt die Anekdote wieder, wie Schäuble als Kind 1954 beim Finale der Fußball-WM mit der Familie vorm Radio gesessen habe. Und wie er eine Ohrfeige vom Vater bekommen habe, als die deutsche Mannschaft in Rückstand geriet – weil er, Wolfgang, doch gesagt habe, Deutschland werde gewinnen. Und der Junge habe gesagt: Jetzt werde es erst recht einen Sieg geben. „Da war schon mit elf Jahren jemand, der nicht aufgibt – auch nicht nach einem Rückstand“, sagt Merz.

Jahrestag des Élysée-Vertrags

Schäuble war Merz‘ erster Fraktionschef, als dieser 1994 ins Parlament kam. „Politik hat einen Führungsauftrag“, zitiert Merz Schäuble. Dabei sei Schäuble klar gewesen, dass Politik eine Vision entwickeln müsse – auch wenn anfänglich Mehrheiten in der Gesellschaft fehlten. „Danke, Wolfgang Schäuble“, sagt Merz.

So, wie es keinen besseren Ort als den Bundestag für den Trauerstaatsakt hätte geben können, so hätte es auch keinen besseren Tag geben können als den Jahrestag des Élysée-Vertrags, des Grundsteins für die deutsch-französische Freundschaft. Als er geschlossen wurde, war Schäuble Anfang 20 und Student. Später tat er viel, was im Geiste des Vertrags war. „Nehmen wir dieses Erbe an und seien wir auf der Höhe dieser Aufgabe“, sagt Macron – erneut auf Deutsch. Vor allem das Wort Höhe fällt ihm nicht leicht. Es wäre aber auch dem immer ehrgeizigen Schäuble wichtig gewesen.