Die Stadt unter der Achalm will den Landkreis Reutlingen verlassen und Stadtkreis werden. Seit drei Jahren wartet sie auf eine Entscheidung des Landtags. Nun spitzt sich der Streit zu.

Reutlingen - Neulich erhielten die Reutlinger nochmals mächtig Rückenwind. Da meldeten sich – parteiübergreifend – die Oberbürgermeister jener neun Städte im Land zu Wort, die einen eigenen Stadtkreis bilden. „Wir wissen aus Erfahrung, dass Großstädte eine andere Verwaltungsstruktur haben müssen als kleinere Städte und Gemeinden, um ihre vielfältigen Aufgaben angemessen erfüllen zu können“, erklärten die Stadtoberhäupter von Baden-Baden, Freiburg, Heidelberg, Heilbronn, Karlsruhe, Mannheim, Pforzheim, Stuttgart und Ulm.

 

Reutlingen wäre gerne die zehnte Stadt in diesem Bund. Bereits im Jahr 2015 hatte die Stadt einen Antrag auf Erhebung zum Stadtkreis eingereicht. Die Entscheidung obliegt dem Landtag, dem das Innenministerium beratend zur Seite steht. Die Reutlinger mit ihrer Oberbürgermeisterin Barbara Bosch an der Spitze warten noch immer – und drohen nun mit Klage wegen Untätigkeit. „Die Stadt Reutlingen ist bereit, vor den Verfassungsgerichtshof zu ziehen“, sagt Bosch. Reutlingen sei „nicht gewillt, weitere Verschiebungen hinzunehmen“. Lange, jedenfalls bis zu einer Anhörung im Landtag im Sommer, hatte Bosch den Eindruck: „Man will uns am langen Arm verhungern lassen.“ Die Stadt ist nach Ansicht ihrer Oberbürgermeisterin und des Gemeinderats dem Landkreis Reutlingen schon lange entwachsen, muss aber – um im Bild zu bleiben – noch immer die alten, viel zu kleinen Kinderkleider tragen. In den Worten Boschs: „Wir erfüllen die Aufgaben eines Stadtkreises, nur haben wir die Souveränität nicht.“

Grüne und CDU wollen keine Koalitionskrach

Der Landkreis Reutlingen ist reich an Fläche. Er erstreckt sich von den Gestaden des Neckars hinauf auf die Alb und dann von der Hochebene wieder hinunter ins Tal, wo er die Donau-Auen küsst: viele Dörfer, viele Felder, wenig Menschen. 286 000 Einwohner zählt der Kreis, davon entfallen 115 000 auf die Stadt Reutlingen. Im nächstgrößeren Ort Metzingen leben 22 000 Menschen. Die Probleme der Stadt Reutlingen, das erleben deren Vertreter im Kreistag nicht selten, sind nicht die Probleme des Landkreises. Bosch beklagt Doppelstrukturen, in denen Reutlingen für den Kreis bezahlen müsse, ohne selbst etwas davon zu haben. Im Rathaus gebe es zahlreiche Mitarbeiter, die sich mit Aufgaben befassten, die eigentlich der Landkreis zu erledigen hätte.

Doch die Reutlinger Stadtkreis-Enthusiasten haben mächtige Gegenspieler: Landrat Thomas Reumann findet, die Reutlinger machten es sich – zum Beispiel mit Blick auf die Kliniken und die beruflichen Schulen – ein bisschen einfach. Wichtiger aber noch: Die CDU tut sich als Partei des ländlichen Raums (und der Landräte) mit dem Anliegen der Stadt Reutligen schwer. Thomas Blenke, der innenpolitische Sprecher der Landtagsfraktion, sagt: „Die Klageandrohung wegen angeblicher Untätigkeit wundert uns.“ Er verweist auf die Anhörung im Landtag. „Dort hatten wir vereinbart, dass eine abschließende Landtagsbefassung noch in diesem Jahr angestrebt wird.“

Bei den Grünen gibt es mehr Sympathien für einen Stadtkreis Reutlingen. Aber werden sie deswegen einen Koalitionskrach riskieren? Uli Sckerl, der parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion, stellt den Reutlingern in Aussicht: „Klar ist aus unserer Sicht jetzt schon, dass sich in der Zusammenarbeit zwischen der Stadt Reutlingen und dem Landkreis im Interesse der Menschen etwas ändern muss. Der Istzustand kann in keinem Fall aufrechterhalten werden.“ Ob das reicht? Sollte ihnen der Stadtkreis verwehrt werden, wollen die Reutlinger erst recht klagen. Auch das haben sie bereits angekündigt.