Adrienne Braun, Kolumnistin unserer Zeitung und Kunst- und Theaterkritikerin, führt künftig unter dem Titel „Kultour mit der Kolumnistin“ Interessierte durch Stuttgart. Wie war es bei der Premiere?

Stuttgart - Eine Stadtführung als Kulturdebatte – funktioniert das? Ja, das funktioniert. Adrienne Braun, Kolumnistin unserer Zeitung und Kunst- und Theaterkritikerin, führt künftig unter dem Titel „Kultour mit der Kolumnistin“ Interessierte durch das kulturelle Stuttgart und regt dabei auch zu kritischen Diskussionen an. Am Freitagabend war Premiere des neuartigen Stadtrundgangs im Programm von Stuttgart Marketing.

 

Start war vor dem Großen Haus. Und Adrienne Braun lässt die neun Teilnehmer gleich zu Anfang wissen, um was es ihr geht bei „Kultour mit der Kolumnistin“: nämlich an einigen Beispielen zu zeigen, dass sich in den letzten zwanzig Jahren viel entwickelt hat im Stuttgarter Kulturbetrieb – und nach Brauns Ansicht im Großen und Ganzen eben nicht zum Schlechten.

„Noch unter Ministerpräsident Späth hatte Kulturpolitik viel mit Prestige und Standortförderung zu tun“, erzählt die Kunstkritikerin ihren Zuhörern und verweist dabei auf die nahe Neue Staatsgalerie. „Kulturpolitik stand immer in Verbindung mit Werbung für die Stadt.“ Das sei heute anders: „Von Standortfaktor spricht bei neuen Kulturprojekten niemand mehr.“ Der Kulturbetrieb sei heute sozial durchmischter, popkultureller, internationaler. Die Entwicklung des Theaterhauses sei hierfür geradezu typisch. Doch aus den Reihen der Teilnehmer am Rundgang kommt auch Widerspruch: Einer verweist darauf, dass Späths Idee vom Sammlermuseum im Neuen Schloss verglichen mit der heutigen Nutzung des Bauwerks kein Rückschritt gewesen wäre.

Winziges Loch im Gehweg – das ist Kunst

An der Ecke Stauffenbergstraße/Bolzstraße, zwischen Kunstgebäude und „Carls Brauhaus“, dann eine kleine Überraschung. Braun versammelt ihre Zuhörer auf einem Stück unscheinbarem, geplätteltem Bürgersteig und fragt in die Runde: „Was fällt Ihnen hier auf?“ Man schaut sich um, hierin, dorthin, Vermutungen werden geäußert, bis einer ein winzig kleines, abgerundetes Loch in einer der steinernen Gehwegplatten am Boden entdeckt. „Das ist Kunst“, sagt Braun ihren verdutzenden Zuhörern. Und weil es kürzlich geregnet hat, ist etwas Wasser in der winzigen Mulde: „Es ist ein Werk des israelischen Künstlers und ehemaligen Professors der Kunstakademie Stuttgart, Micha Ullman“, erzählt Braun. In dieser kleinen Mulde, genannt „Abendstern“, spiegeln sich, so wollte es wohl der Künstler zum Ausdruck bringen, der Himmel, die Sterne, das Universum. Eine im Wortsinn kleine Entdeckung am Wegrand.

Stadtpalais – ein gelungenes Beispiel

Am Beispiel des Kunstmuseums am Schlossplatz stellt Braun dann „eine neue Ideologie“ im Kulturbetrieb fest. Führten sonst meist Freitreppen die Besucher in tempelartige Museumsbauwerke, habe das Kunstmuseum einen ebenerdigen Eingang, der jeden zum Eintritt einlade. Überhaupt: Die Demokratisierung des Kunstbetriebs scheint ein Thema, dass der Kulturkritikerin am Herzen liegt. „Kunst ist eine Möglichkeit Streitkultur einzuüben“, sagt sie, weshalb Kunst nicht allein dem bürgerlichen Publikum vorbehalten sein sollte. Einige Teilnehmer des Stadtspaziergangs sehen hier vor allem bei angelsächsischen Museen einen deutlichen Vorsprung. „Dort werden Museumsbesucher wirklich abgeholt“, so ein Kommentar. Für Braun ist insbesondere das Stadtpalais ein gelungenes Beispiel für ein „offeneres, toleranteres Denken“ im Kulturleben der Stadt. Nach rund eineinhalb anregenden Stunden endet die „Kultour“ im Café Königx im Bohnenviertel bei einem gemeinsamen Glas.