Der Psychologe Fred Christmann hat im Westen die Stiftung Psyche gegründet. Dort möchte er alltagsnah grundlegende Kenntnisse der Psychologie vermitteln. Sein Hauptanliegen ist es aber, den Menschen die Angst vor der Angst zu nehmen.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

S-West - Spinnen, Prüfungssituationen oder Krankheiten – viele Menschen leiden an übersteigerten Ängsten. Neben Depressionen sind Angststörungen in Deutschland die häufigste psychische Erkrankung. Manche leiden so unter ihren Ängsten, dass sie gar nicht mehr ihr Haus verlassen. Die Auslöser für Ängste sind vielfältig, sagt der Psychologe Fred Christmann, der im Westen die Stiftung Psyche gegründet hat. Häufig leiden Erkrankte sogar mehr an der Angst vor der Angst. Die möchte Christmann ihnen nehmen. Der 68-jährige ist promovierter Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut. Sein therapeutischer Schwerpunkt waren Ängste. Er hat Bücher verfasst und ein Verhaltenstherapiezentrum in der Stuttgarter Innenstadt gegründet.

 

Angsterkrankungen sind die häufigste psychische Erkrankung neben Depressionen

Warum sind wir heute so von irrationalen Ängsten geplagt? „Das fängt schon in der Erziehung an“, sagt Christmann. Eltern seien oft zu überbehütend, das manifestiert in Kindern ein übervorsichtiges, ängstliches Verhalten. Er rät das Gegenteil: „Ermutigt eure Kinder. Wenn es sich mal den Arm bricht, ist das nicht schlimm.“

Angst ist oft erlernt. Und Christmann spricht davon, dass Menschen ein altes und ein neues Gehirn haben. Das alte Gehirn leite sich aus der Evolution ab. Alles Neue erscheint uns oft zunächst gefährlich. Das neue Gehirn denke bewusst. Es sei dafür da, um zu planen. So habe sich Reinhold Messner ein Jahr auf die Besteigung des Mount Everest vorbereitet. Je erfahrener man in einer Sache sei, je mehr Wissen man habe, desto mehr könne man vor einer Angst machenden Situation darauf zurückgreifen. „So bleibt die Angst auf mittleren Niveau.“

Angst ist eine „Ressource“, die uns zu Höchstleistungen antreibt

Angst ist ein nützliches Gefühl, nicht nur eine lästige Emotion, die man schnell loswerden möchte. Dies sei bei Angstpatienten der Fall. Sie glauben, gesunde Menschen verspüren keine Ängste. Tatsache sei: Sie gehen anders damit um. Die Botschaft, die der Psychologe hat: „Angst ist eine Ressource.“ Sie hilft, maximale Leistung zu bringen und kreativ zu sind. Sie bewahrt uns vor tatsächlichen Gefahren.

Ein Trugschluss sei, dass man kompetent werde, wenn man alle Ängste los geworden ist. „Das stimmt einfach nicht.“ Jeder verspüre Angst – außer Menschen mit psychopathischen Zügen. Was uns ängstigt, hat viel damit zu tun, wie wir eine Sache bewerten. So starben im Jahr 2017 etwa 2700 Menschen in Deutschland an Verkehrsunfällen. Wovor haben die Deutschen aber am meisten Angst gehabt im letzten Jahr? Laut der Ängste-Studie 2017 der R+V Versicherung führten die Liste nicht Verkehrsunfälle an, sondern Terrorismus, politischer Extremismus und die Zuwanderung an. Letztlich haben Panikpatienten laut Christmann in erster Linie vor einem Angst: „Vor ihrer eigenen Fantasie.“

Vor den Horrorszenarien im Kopf. Die muss man auflösen, in dem man sich mit den angstmachenden Situationen konfrontiert. Denn genauso wie Angst erlernbar ist, sie wieder verlernbar. Wer Angst vor dem Autobahn fahren hat, der muss es trotzdem tun. Das ist mühsam. Festgesetzte Ängste halten sich zäh. Sich einmal der Situation zu stellen, heilt die Angst keineswegs. Ein Jahr, schätzt Christmann grob. Denn die Angst komme wieder – trotz erster Erfolge. Wie bei der Besteigung des Mount Everest müsse man sich daher vorbereiten.

Was scheitert: „Auf den Berg zu gehen ohne sich vorzubereiten.“ Denn „in der Panik dominiert ja unser altes Gehirn.“ In der Konfrontation erlernt man die neuen Kompetenzen. Gut zu wissen ist: „Die Angst nimmt nach einer Zeit wieder ab. Die Erregung geht runter.“ Wer die Anwesenheit der Angst akzeptiert, tut sich leichter, dagegen anzukämpfen steigert die Panik hingegen. Allgemein helfe es vorbeugend, auch bei leichten Ängsten und Stresssituationen, täglich 4o Minuten zügig im Wald zu spazieren und etwa 20 Minuten zu meditieren. „Das entspannt den ganzen Körper.“

Tägliches spazieren gehen und meditieren beugt Ängsten vor