Die Spülmaschine sieht aus, wie Kraut und Rüben, weil ausnahmsweise der Mann fürs Einräumen zuständig war? Strategische Inkompetenz nennt sich ein Phänomen, bei dem sich Menschen dumm anstellen, um unliebsamen Aufgaben aus dem Weg zu gehen.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

In einem Tiktok-Video erstellt eine Frau eine Einkaufsliste für ihren Mann. Fein säuberlich schneidet sie Bilder von den gewünschten Waren aus und klebt sie auf ein großes Blatt Papier – damit bei dem Einkauf auch wirklich nichts schief gehen kann. Andere Frauen schreiben, wie sie einem Mann einen Eisbergsalat auf den Einkaufszettel gemalt haben und er trotzdem einen Kohlkopf gebracht hat. Manche Frauen sagen, sie schreiben den Einkaufszettel extra in der Reihenfolge, in der ihr Mann auch den Supermarkt ablaufen wird. Die Videos mit dem Hashtag #strategischeinkompetenz gingen im vergangenen Jahr in sozialen Netzwerken viral.

 

Strategische Inkompetenz: Faulheit oder Doofheit?

Der Begriff „Strategische Inkompetenz“ entstammt der Populärpsychologie und bezeichnet Menschen, die sich dumm stellen, um unliebsamen Aufgaben aus dem Weg zu gehen. Es erinnert an den alten Kalenderspruch: „Fünf Minuten dumm stellen, erspart manchmal eine Stunde Arbeit.“ Zurück geht die Bezeichnung eigentlich auf die US-Amerikanerin Jared Sandberg, die im Jahr 2007 im Wallstreet Journal einen Typus an Arbeitnehmern beschrieb, die sich vor ungeliebten Aufgaben drücken oder diese schlecht machen, damit sie diese künftig nicht mehr erledigen müssen. Sie nannte diese Strategie „weaponized incompetence“.

Bekannt ist das Klischee aber vor allem bei Familien- und Haushaltsaufgaben. Meistens geht es um alltägliche To-Do’s wie eine Glühbirne auszutauschen oder das Abendessen zu kochen. Oft sind es Aufgaben, die einst einem bestimmten Geschlecht zugeschrieben wurden. Dabei wird alles, was mit Haushalt und Kindererziehung zu tun hat, gerne der Frau untergeschoben, jegliche Reparaturtätigkeiten oder technische Aufgaben werden auf den Mann abgeladen. Oft werden die ungeliebten Aufgaben süffisant mit dem Kommentar abgelehnt: „Du kannst das doch viel besser als ich.“

Assoziiert wird diese strategische Inkompetenz daher oft mit Paarbeziehungen, weil dort oft erlernte Rollenmuster zum Tragen kommen. Häufig werden diese (un)bewussten Manipulationsversuche Männern untergeschoben, die sich nicht mit „Frauenarbeit“ beschäftigen wollen – aus Faulheit.

Laut dem Gleichstellungsbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend leisten auch nach wie vor Frauen in heterosexuellen Ehen immer noch am meisten Care-Arbeit. Berechnet wurde dies anhand des Gender Care Gaps, nachdem der Unterschied beim täglichen Zeitaufwand für unbezahlte Sorgearbeit von Frauen und Männern zum täglichen Zeitaufwand für unbezahlte Sorgearbeit der Männer ins Verhältnis gesetzt wird. Der Gender Care Cap beträgt derzeit 52,4 Prozent. Frauen leisten demnach täglich 52,4 Prozent mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Dies entspricht einem Zeitaufwand von täglich einer Stunde und 27 Minuten mehr.

Manipulation? Oft steckt eine erlernte Inkompetenz hinter dem Verhalten

Teilweise wird es als bewusste und daher manipulative Strategie beschrieben, die von Menschen angewandt wird, um sich zukünftig Arbeit zu ersparen, auf die sie keine Lust haben. Die meisten Psychologen gehen aber davon aus, dass es sich meistens um eine unbewusste, erlernte Strategie handelt. Studien dazu gibt es bisher nicht, weshalb das Phänomen auch wissenschaftlich nicht untersucht ist.

Vielmehr existiert in der wissenschaftlichen Psychologie nämlich das Konzept der erlernten Hilflosigkeit. Dies bedeutet, dass Betroffene verlernt haben, ihrem eigenen Handlungsvermögen zu vertrauen. Das passiert beispielsweise dann, wenn man nach einer Aufgabe völlig willkürlich eine Belohnung oder eine Bestrafung erhält – oder sogar immer bestraft wird. Diese Dynamik endet in Passivität.

Häufig haben zum Beispiel die Eltern schwierige Aufgaben abgenommen und dem Kind vermittelt, dass es diese ohnehin nicht kann. Dinge zu vermeiden, wurde daher als eine positive Erfahrung abgespeichert. Viele tendieren dann auch im Erwachsenenalter weiter dazu, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen.

Dahinter können aber gerade in Paarbeziehungen oft auch sehr konservative Rollenbilder stecken. So ist es eben selten so, dass Frauen als geborene Mutter oder Köchin auf die Welt kommen. Auch sie müssen erst lernen, wie man ein Kind großzieht oder die Waschmaschine bedient. In vielen Beziehungen führt es daher zu immer wiederkehrenden Diskussionen, wenn eine Partei sich weigert, bestimmte Aufgaben zu übernehmen oder zu erlernen. Allerdings hat es auch negative Konsequenzen für den Vermeidenden: Neue Dinge zu lernen, gibt uns Selbstvertrauen.

Aber wie kann man jemand unterstützen, der bisher sehr gut von seiner strategischen Inkompetenz profitiert?

  • Der erste Schritt ist offene Kommunikation darüber, dass man sich auf Dauer ausgenutzt fühlt – und dass man die Strategie durchschaut.
  • Eine Liste, wer welche Dinge im Haushalt macht, kann hilfreich sein, um Transparenz für beide zu vermitteln. Wer macht was und wie viel?
  • Die Zuständigkeiten kann man auch immer wieder neu aufteilen, so dass jeder auch mal unliebsame Dinge erledigen muss und lernt, diese alleine zu bewältigen.

Denn, wer unliebsame Aufgaben nie ausprobiert und daher auch alleine nicht bewältigt, ist letztlich auch immer abhängig und hat wenig Kontrolle über das eigene Leben. Und im Supermarkt einzukaufen oder eine Glühbirne zu tauschen, ist nun wahrlich keine Raketenwissenschaft.