Kunst ist nicht nur das, was in einer Galerie hängt und Eintritt kostet, finden die Vertreter der Straßenkunst – und stellen ihre Werke im öffentlichen Raum zur Schau. Die einen freut’s, die anderen erstatten Anzeige, so zum Beispiel die Stadt Waiblingen.

Waiblingen - Er heißt Oquai und sein Kopf ist beinahe ein Quadratschädel. Er trägt mal einen rosa Irokesenschnitt zur Pfadfinderuniform, kreuzt als Pirat auf der Rems, flattert als feister Engel am Beinsteiner Torturm oder kämpft als Torero gegen einen wild schnaubenden Stier. Er ist schon quer durch Europa und um die ganze Welt gereist: nach Sydney und Lissabon, nach Schottland und Dubai. Am Berliner Alexanderplatz ist er als Erich-Honecker-Double aufgekreuzt. Und für seine Reise nach Äthiopien hat er sich als Kaiser Haile Selassie verkleidet. In Waiblingen aber ist jetzt die Staatsmacht hinter ihm her.

 

Dabei ist Waiblingen Oquais Geburtsstadt. Und es gibt viele, die froh sind, dass er ein bisschen Farbe und Humor in den grauen Alltag bringt. Denn er pflanzt sich am liebsten auf öffentliche Bauten, die ihm gar zu trist und öde erscheinen. Wer ihm begegnen möchte, muss mit erhobenem Blick durch die Gassen gehen – Oquai fühlt sich in luftiger Höhe am wohlsten. Was ein bisschen mit Selbstschutz zu tun hat. Es gibt nämlich auch Menschen, denen ist Oquai und die vergleichsweise junge Kunstform „Streetart“ ein Dorn im Auge.

Mehrere Anzeigen wegen Sachbeschädigung

Dazu gehört zum Beispiel die Waiblinger Stadtverwaltung, die mit dem Spruch „Junge Stadt in alten Mauern“ für sich wirbt. Sie hat inzwischen mehrere Anzeigen wegen Sachbeschädigung erstattet. Oquais Nachname muss deshalb geheim bleiben. Eine Geldstrafe ist seinem Schöpfer sicher, schlimmstenfalls könnte er sogar zu einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren verknackt werden.

Letzteres halte er zwar für übertrieben, sagt der Waiblinger Oberbürgermeister Andreas Hesky. Er bleibt aber dabei, dass die Stadtverwaltung das Bekleben öffentlicher Gebäude nicht tolerieren könne, der Schutz des öffentlichen Eigentums gehe nun mal vor. Und ob Oquai „künstlerisch wertvoll“ sei, das sei Geschmackssache. Am meisten ärgere ihn, dass der oder die Künstlerin anonym agiere: „Mein Wunsch wäre schon, die Person kennen zu lernen.“ Oquais Schöpfer wiederum findet, dass Kunst doch nicht nur das ist, was in einer Galerie hängt und Eintritt kostet. Okay – dass ihm der eine oder andere mit einem Besenstiel zu Leibe rückt, das kann Oquai irgendwie verstehen. Aber frustrierend ist es schon, wenn er gerade mal einen halben Tag hängen darf, bevor ihn das Hochbauamt von der Wand klauben lässt. Oquais Besuch richtet nicht annähernd so viel Schaden an wie ein Graffiti. Denn er besteht aus bemaltem, mit heißem Draht geschnittenem Styropor, das an die Wand geklebt wird. Doppelseitiges Klebeband funktioniert nicht, daher muss ein spezieller Baukleber ran. Und der hinterlässt manchmal Spuren, die abgeknubbelt werden müssen. Da haben wir sie, die Sachbeschädigung.

Wenn Oquai auf Tour geht, herrscht Nachtruhe

Seit dem Jahr 2007 treibt sich Oquai in Waiblingen herum. Während dieser knapp sieben Jahre hat er sich in etwa 200 verschiedenen Outfits präsentiert, die oft einen Bezug zu dem Bauwerk haben, an dem sie hängen: ein Schwan am Kulturhaus Schwanen, ein schräges Wassertier am Fischaufstieg, eine Pirateninsel am Gästehaus Insel. Mal ist Oquai zehn Zentimeter klein, mal knapp zwei Meter groß. Eines ist aber immer gleich: Wenn er auf Tour geht, herrscht in Waiblingen Nachtruhe. Zumindest das sei ein Vorteil der Heimatstadt, sagt Oquais Schöpfer: „Hier muss man nicht erst um Mitternacht raus, sondern es geht schon nachts um zehn.“ Auch hochgeklappte Gehsteige hätten halt ihr Gutes.

Insgesamt 25 Mal hat sich Oquai in diesem Jahr bereits an Dachrinnen und Laternenmasten in die Höhe geschmuggelt, übrig geblieben sind davon nur 15 Exemplare. Es gibt durchaus einige Orte in Waiblingen, denen Oquai gerne ein bisschen mehr Farbe verpassen würde. Zum Beispiel dem Postplatz, doch der ist „in Perfektion kameraüberwacht – von oben, unten, rechts und links“. Ein paar Oquais will der Künstler seiner Heimatstadt trotzdem noch spendieren. Und dann? „Dann war’s das und ich gehe nach Stuttgart.“