Die Stadt Überlingen will dem verstorbenen Martin Walser einen Platz widmen. Die Familie wurde nicht gefragt, sie hält den vorgesehenen Ort in einem Neubaugebiet für ungeeignet.

Eigentlich haben es die Stadtväter von Überlingen gut mit ihrem Prominenten gemeint. Sie wollen dem verstorbenen Schriftsteller und Bürger Martin Walser (1927 bis 2023) einen Platz widmen, so dachten sie. Eine Fläche in einem Neubaugebiet der Stadt, die bisher anonym daherkommt, soll in Zukunft den Namen des streitbaren Autors tragen. Doch scheint die Rechnung nicht aufzugehen: Die Witwe Käthe Walser erhebt Einspruch. Sie findet den Standort für die Walser-Referenz schlicht unpassend. Denn das bisher gesichtslose Baugebiet am städtischen Krankenhaus liegt weit ab von der stolzen Innenstadt – und nur dort, zwischen See und Münster, hätte eine Widmung an Martin Walser jene Wirkung entfalten können, die seine Anhänger und Leser als würdig empfinden.

 

Walser sah sich als Nussdorfer

Käthe Walser hat einen besseren Vorschlag parat. Sie will an ihren Mann an dem gemütlichen Ort am Bodensee erinnern, wo er mit der Familie viele Jahre gemeinsam lebte. Das ist Nussdorf, 1759 Einwohner. Kommunal gehört es zu Überlingen, es hat sich aber einen gesunden Eigensinn bewahrt. Viele Nussdorfer meldeten sich mit Leserbriefen in der lokalen Zeitung zu Wort. Auch sie wollen „ihren Martin“ nicht hergeben. Man möge einen schönen Weg oder doch gleich die Hauptstraße nach dem langjährigen Mitbürger benennen, heißt es in den einschlägigen Schreiben. Käthe Walser unterstreicht, ihr Mann habe sich immer als Nussdorfer empfunden, nicht als Überlinger – ein Bekenntnis, das nicht nur typisch für Walser ist, sondern auch von einer seiner provinzliebenden Figuren stammen könnte.

Der Ausgang der Namensdebatte ist offen. Der einschlägige Kulturausschuss will seinen Martin Walser im Viertel der Häuslebauer platzieren. Auch Oberbürgermeister Jan Zeitler (SPD), bekannt für seine zupackende Art, steht hinter der Entscheidung. Was formal seine Richtigkeit haben mag, hat mindestens einen Schönheitsfehler: Die Familie Walser, also Witwe sowie die vier Töchter, wurden nach eigenen Angaben nicht in die Entscheidung einbezogen. Sie wussten von der Ehre nichts.

Satirisches Werk von Peter Lenk: Martin Walser auf einem Maultier in der Überlinger Innenstadt Foto: dpa/ Patrick Seeger

In der Innenstadt ist bereits ein Erinnerungsort für Martin Walser eingerichtet. Er findet sich an der Schiffslände. Im Sommer streifen Hunderte von Touristen an einem Brunnen vorbei, der bei genauem Hinsehen ungewöhnlich gestaltet ist: Zwei faltige Nixen liegen auf dem Rücken, ihre langen Flossen strecken sie in die Höhe und tragen ein müdes Maultier. Darauf sitzt, unverkennbar, Martin Walser. Der traurig wirkende Schreiber triumphiert aber nicht, vielmehr tappt er auf seinem Maultier über das dünne Eis des Bodensees. Das satirische Werk stammt von Peter Lenk aus Bodman, der den politischen Zeitgenossen Walser und seine Reden stets kritisch sah. Walser selbst soll sich über die Darstellung kräftig geärgert haben, stellt es ihn doch als griesgrämigen Wicht dar und nicht als tiefsinniges Sprachgenie. Er soll, so geht eine Anekdote in Überlingen, sogar seinen Friseur an der Schiffslände gewechselt haben, damit er beim Haareschneiden nicht die Karikatur seiner selbst sehen muss.