Erst musste der der Club Zollamt wegen Beschwerden der Nachbarn schließen, jetzt stehen auch die Nachtveranstaltungen der Kulturinsel in der Kritik. Dabei sind sie nur Mittel zum Zweck. Am 7. Dezember wird sich entscheiden, wie es mit dem Zollamt-Areal weiter geht.

Stuttgart - Martin Lenk liegt am Wochenende oft wach. Dann steht er am Fenster seines Schlafzimmers und blickt auf das nur 40 Meter entfernte Alte Zollamt in Bad Cannstatt, das die Kulturinsel beherbergt und Grund für Lenks Schlaflosigkeit ist. Die Musik sei zu laut, der Bass dröhne und die Besucher machten Lärm. Deshalb hat sich der 59-Jährige mehrfach bei der Stadt Stuttgart beschwert, eine Antwort hat er eigenen Angaben zufolge nie erhalten.

 

Auf Anfrage unserer Zeitung teilte Ann-Katrin Gehrung, Sprecherin der Stadt Stuttgart, schriftlich mit, dass sowohl Ordnungs- als auch Stadtplanungsamt die Beschwerden der Bürger ernst nehmen. Dazu stehe die Stadt mit Kulturinsel-Betreiber Joachim Petzold in Kontakt. „Der Fortbestand der Kulturinsel ist von der Stadt gewollt“, sagt Petzold. Sei das zukünftig nicht der Fall, höre er auf – mit allem. Dann würde beispielsweise auch das Künstlercafé ins Wasser fallen, dass regelmäßig in der Lounge des ehemaligen Clubs Zollamt stattfindet und Interaktionsort für Künstler und Besucher ist.

Der Club Zollamt musste schon vor zwei Jahren schließen

Petzold sagt, es gehe darum, dass Alte Zollamt und die dort stattfindende Kultur zu erhalten. Dafür brauche er Geld, das er durch Nachtveranstaltungen einnehme. Schließlich zahlten soziale Projekte für die Nutzung des Areals keine Miete, die Mitarbeiter müssten bezahlt werden. „Bis vor zwei Jahren hat der Club Zollamt das nötige Geld eingebracht“, sagt Petzold. Zum Jahresende 2016 musste der Club allerdings schließen – wegen der Anwohner. Zwar bringe der Kulturinsel-Biergarten jetzt schon Geld ein, „momentan haben wir aber noch kaum Laufkundschaft und decken nicht mal die Fixkosten“. Das soll sich nach der bevorstehenden Sanierung mit einem erweiterten gastronomischen Angebot ändern. Außerdem seien weitere kreative Konzepte geplant.

Petzold selbst ist ehrenamtlich tätig, als Geschäftsführer steckt er sich keinen Cent in die Tasche. „Wer das nicht glaubt, kann gerne einen Blick in unsere Bücher werfen“, sagt er. Gerade deshalb macht es ihn besonders traurig, dass es immer Menschen geben wird, die sich beschweren. Dabei kümmere sich kein anderer Betreiber einer Kulturlocation so sehr um seine Nachbarn wie die Kulturinsel. Vor allem Martin Lenk sei aber ein besonders „nachhaltiger Beschwerdeführer“.

„Da ist schon eine richtige Gegenbewegung entstanden“

Unterdessen weiß Regine Herdecker, Sprecherin der Bürgerinitiative am Veielbrunnen, dass sich auch andere Anwohner von den Abendveranstaltungen der Kulturinsel belästigt fühlen. „Diejenigen, die weiter weg wohnen, stören sich an den Besuchern, die durch das Wohngebiet laufen und sich dabei lautstark unterhalten und Musik hören. Die direkten Anwohner fühlen sich von der Musik, dem Bass und den Besuchern vor der Kulturinsel gestört“, sagt sie. Das sei vor allem bei den Bewohnern des neuen Gebäudekomplexes der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) an der Morlockstraße, in dem auch Lenk wohnt, der Fall. „Da ist schon eine richtige Gegenbewegung entstanden.“

Die Bürgerinitiative am Veielbrunnen sei zwar mit der Stadt Stuttgart im Austausch, „es gibt da aber einen Konflikt, weil man Kulturveranstaltungen natürlich erhalten will“. Bei den Veranstaltungen, die zu Beschwerden führen, geht es aus Herdeckers Sicht aber nicht um Kultur, sondern schlicht um Partys. Laut der Stadtsprecherin Gehrung muss die Kulturinsel Lärmwerte für die Umgebung einhalten. „Am Tag gelten Lärmwerte von maximal 60 Dezibel und nachts 45 Dezibel. Musik im Außenbereich ist nicht erlaubt“, schreibt sie. Relevant sei dabei, wie viel Lärm an schutzbedürftigen Räumen wie Büroräumen, Schlaf-, Wohn-, und Kinderzimmern ankommt. Küchen, Badezimmer, Toiletten und Abstellräume zählten nicht dazu. Gemäß der sechsten allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz muss die Lautstärke 0,5 Meter vor dem geöffneten Fenster des schutzbedürftigen Raumes gemessen werden, das dem größten Lärm ausgesetzt ist.

0,5 Meter vor dem Fenster wird gemessen

Zur Verbesserung des Anwohnerschutzes habe Petzold Laufwege der Gäste veränderte und einen Durchgang geschlossen. Die Kulturinsel sei auch Thema bei einem Workshop mit Bürgerbeteiligung, der am 7. Dezember im Alten Zollamt stattfinden wird. Dabei gehe es zwar vor allem um das Nutzungskonzept für das gesamte Zollamt-Areal, für Petzold ist aber klar: „Wenn es keine Lösung mit den Nachbarn gibt, muss ich die Kulturinsel schließen. Würden wir aber alle gemeinsam an einem Strang ziehen, könnten wir für alle so viel Gutes erreichen.“