Studie zu Fachkräfteengpässen Minijobber sollen Fachkräftemangel lindern helfen

Eine Studie zeigt ungenutzte Potenziale von geringfügig Beschäftigten auf und nennt Branchen, in denen die Betroffenen helfen könnten, Fachkräftelücken zu schließen.
Stuttgart - Minijobber könnten dazu beitragen, die Fachkräfteengpässe in einigen Branchen zu lindern. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung des Instituts für Berufsforschung (IAB), die unserer Zeitung vorliegt. „Unter den geringfügig Beschäftigten schlummert ein Fachkräftepotenzial, auf das wir nicht verzichten sollten“, sagt Christian Rauch, der Regionalchef der Bundesagentur für Arbeit (BA) im Südwesten.
In Baden-Württemberg arbeiten derzeit gut 1,2 Millionen Menschen als geringfügige Beschäftigte in sogenannten Minijobs, darunter sind auch Schüler, Studenten und Rentner. Während die Zahlen bis 2015 in jedem Jahr leicht angestiegen sind, stagnieren sie seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. In Folge dieser Reform wurden eine ganze Reihe von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umgewandelt. Der überwiegende Teil der geringfügig entlohnten Beschäftigten, gut 700 000, hat keinen weiteren Job. Doch welches Potenzial steckt hinter den Menschen, die lediglich wenige Stunden pro Woche arbeiten und bis zu 450 Euro abgabenfrei im Monat verdienen? Es handelt sich in der Mehrzahl um gut bis sehr gut qualifizierte Personen, fast jeder zehnte Minijobber hat einen akademischen Abschluss und mehr als sechs von zehn einen anerkannten Berufsabschluss. Ein großer Teil ist unter seinem Qualifikationsniveau eingesetzt, und etwa zwei Drittel davon sind weiblich.
Arbeitgeber unterschätzen die Qualifikation der Minijobber
Trotzdem tun sich die Unternehmen offenbar schwer, in ihren Minijobbern von heute die Fachkräfte von morgen zu sehen. Wenn er mit Arbeitgebern spricht, hört Rauch häufig folgende Argumentation: „Die Menschen sind schon länger raus, da ist vielleicht eine formale Qualifikation vorhanden, die entspricht aber nicht mehr dem, was wir heute brauchen.“ Der BA-Regionalchef entgegnet dieser Meinung, dass die qualifizierten Minijobber immer noch näher an der Arbeitswelt dran seien als beispielsweise Arbeitslose oder Zuwanderer ohne abgeschlossene Berufsausbildung.
Sofern eine Anpassung der beruflichen Kenntnisse nötig sei, biete die Bundesagentur verschiedene Unterstützungsleistungen an, so Rauch: Das reiche von Weiterbildungen in Teilzeit über die Übernahme von Betreuungskosten während Qualifizierungen bis zu E-Learning-Plattformen in unterschiedlichen Berufsfeldern.
Als Berufsgruppen, in denen Minijobber durch Aufstocken ihrer Arbeitszeit „vorhandene Fachkräfteengpässe auf Fachkraftniveau“ wirksam verringern könnten, nennen die Studienmacher medizinische und nichtmedizinische Gesundheitsberufe, Gebäude- und versorgungstechnische Berufe sowie Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufe. Auf diese Felder entfallen landesweit 43 000 geringfügig Beschäftigte. Von den gut 100 000 Minijobbern in Helfertätigkeiten besitzt etwa ein Drittel einen Berufsabschluss. Auch darunter sind Berufe, für die von der Wirtschaft ein Fachkräftemangel reklamiert wird, etwa Metall- und Elektroberufe, Bau-, Erzieher- sowie Gesundheitsberufe. „In allen diesen Bereichen lohnt sich, den Hebel anzusetzen“, ist Rauch überzeugt.
Für manche ist nur ein Minijob steuerlich attraktiv
Oft seien die Arbeitgeber schon heute dazu bereit, die Arbeitszeit über den Minijob hinaus zu erhöhen. Davor müssen allerdings Fragen geklärt werden, etwa die Kinderbetreuung oder die Fahrzeiten. Es müssten dann jeweils individuelle Lösungen gefunden werden. Allerdings sind einer Umwandlung von Minijobs in reguläre Beschäftigungsverhältnisse auch Grenzen gesetzt, etwa dann, wenn eine Ausweitung der Arbeitszeit und des Verdienstes gar nicht im Interesse der Betroffenen ist: „Durch das Ehegattensplitting ist das Überschreiten der Minijobgrenze für Frauen häufig nicht mehr attraktiv“, sagt Rauch.
Aktuelle Zahlen, wie viele Minijobber mit ihrer Situation zufrieden sind, liegen bei der BA nicht vor. Eine Auswertung des sozio-ökologischen Panels für Beschäftigte mit einer Arbeitszeit von unter 20 Stunden wöchentlich mit Daten zwischen 2011 und 2014 ergab: 47,6 Prozent von ihnen würden gerne um mindestens fünf Wochenstunden aufstocken.
Es gebe auch Bereiche, in denen Arbeitgeber gut damit leben könnten, geringfügig Beschäftigte anzustellen, selbst wenn diese dann für eine gewisse Zeit mit ihren Aufgaben unterfordert sind: „Überqualifikation in einem Minijob ist durchaus auch eine Wachstumsreserve für ein Unternehmen.“ Diese brachliegenden Potenziale schadeten den Beschäftigten genauso wie der Wirtschaft im Südwesten. „Deshalb sollten Arbeitgeber und geringfügig Beschäftigte nach kreativen Lösungen suchen, wie diese Potenziale zum Nutzen beider Seiten aktiviert werden können“, sagt der BA-Chef.
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