Es ist eine Horror-Vorstellung: Ein Geisterfahrer fährt auf der falschen Seite der Autobahn und gefährdet sich und andere Verkehrsteilnehmer. Wie konnte das passieren? Eine aktuelle Studie gibt Antworten.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Falschfahrten auf Autobahnen werden nach einer Studie in vielen Fällen bewusst begonnen. Bei einem Drittel der dabei rund 220 untersuchten Fälle haben die Fahrer im fließenden Verkehr gewendet.

 

Bei über 40 Prozent der in der Studie beleuchteten Falschfahrten sind die Geisterfahrer älter als 75 Jahre, wie der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV) in Münster, Siegfried Brockmann, erklärt. Die Beteiligung der Älteren macht Brockmann besonders Sorge. „Das sollte einem zu denken geben. Wir müssen über Senioren und Hochbetagte nochmals nachdenken.“

Was sind die wichtigsten Ergebnisse der Studie?

• Nach zwei Kilometern ist rund die Hälfte der Falschfahrten beendet.

• Geisterfahrer sind fast ausschließlich in Autos unterwegs.

• Oft sitzen ältere Autofahrer am Steuer

• Bei über der Hälfte fahren die Geisterfahrer falsch an Anschlussstellen (41 Prozent) oder Raststätten (11) auf.

• Zwei Drittel der Geisterfahrer fahren auf der linken Spur aus Sicht des Verkehrs, der richtig unterwegs ist.

• Der Anteil der alkoholisierten Falschfahrer ist bei den jüngeren (42,1 Prozent) höher als bei den Senioren (6).

Wie kommt es zu Geisterfahrten?

Ein Geisterfahrer (links) fährt am 4. Februar 2023 auf der A8 kurz hinter dem Voralpenkreuz. Foto: Imago/Frank Sorge
Folgen einer Geisterfahrt: Eine 35-jährige Frau wird am 30. Januar 2023) bei einem Verkehrsunfall auf der Autobahn A 620 nahe Saarlouis schwer verletzt. Der Unfall wurde durch einen Falschfahrer verursacht. Foto: Imago/BeckerBredel

Bei den Senioren spielt nach seiner Schilderung oft Verwirrtheit und Demenz eine Rolle, während bei den jungen Geisterfahrern Selbsttötungsgedanken eine Rolle spielen oder die Flucht vor der Polizei.

Brockmann und sein Team haben für die Studie die Schadensakten der Versicherer, Unfallinformationen der Polizei und Medienberichte ausgewertet. Zu 80 Prozent stammen die rund 220 Fälle auf deutschen Autobahnen, die nun untersucht wurden, aus dem Zeitraum ab 2015.

Gibt es mehr Geisterfahrten?

Mit einem lauten Knall prallen die beiden Autos aufeinander, das Glas der Frontscheiben verteilt sich in Tausenden von Teilen an der Unfallstelle, Lack splittert. Wer hier auf dem Fahrersitz gesessen hat, der hatte keine Chance. So kann ein Unfall ausgehen, der passiert, wenn ein Geisterfahrer auf der Autobahn mit seinem Fahrzeug gegen ein entgegenkommendes Fahrzeug prallt. Foto: dpa/Guido Kirchner
„Diese extreme Belastung für den Körper ist ganz sicher lebensbedrohlich, wenn nicht sogar tödlich“, sagt der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV) Siegfried Brockmann. Foto: dpa/Guido Kirchner
Bei der Vorstellung der Studie hat Brockmann bei einem Crashtest mit Tempo 100 zwei Autos aufeinanderprallen lassen. Das Ergebnis ist erschreckend. Ähnlich erschreckend findet Brockmann sein Studienergebnis. Foto: dpa/Guido Kirchner

Die Datenlage, darauf weisen auch die Unfallforscher hin, ist dünn. International gebe es mit Ausnahme zur Psychologie keine Studien zu Falschfahrern. Brockmann und sein Team haben für die Studie die Schadensakten der Versicherer, Unfallinformationen der Polizei und Medienberichte ausgewertet. Zu 80 Prozent stammen die rund 220 Fälle auf deutschen Autobahnen, die nun untersucht wurden, aus dem Zeitraum ab 2015.

Einen Jahresvergleich, also eine Aussage dazu, ob Geisterfahrten zunehmen, ist nicht möglich. Die amtlichen Unfallstatistiken sagen zum Thema Geisterfahrer laut Brockmann praktisch nichts aus. Hier werden auch Unfälle innerorts und zum Beispiel mit Radfahrern als Falschfahrer ausgewiesen.

Kann Technik Geisterfahrten vorbeugen?

UDV-Leiter Siegfried Brockmann setzt in der Zukunft auf die Software in den Autos. „Das Fahrzeug müsste selbst einbremsen, wenn die Software merkt, dass der Fahrer falsch auf die Autobahn fährt.“ „Stopp-Hände“ an den Auffahrten wie in Österreich würden zwar nicht schaden. Bei bewussten Falschfahrten oder Demenz seien sie aber unwirksam.

Auch denkbar seien Warnungen, die etwa mittels Autosoftware übers Cockpit ausgespielt werden oder über eine App auf dem Handy. Hier gibt es nach Angaben von Brockmann bereits vereinzelte Lösungen. Er sieht hier nur den Nachteil, dass bei zu häufigen Warnungen vor Falschfahrern die Autofahrer abstumpfen und die Warnungen nicht mehr ernstnehmen.

Wie sinnvoll sind Warnungen über den Verkehrsfunk?

Die ausgesprochenen Warnungen vor Falschfahrern übers Radio hält Brockmann für sinnvoll. Äußerst rechts zu fahren und nicht zu überholen sei der richtige Ratschlag.

Der Wissenschaftler rät noch zusätzlich dazu, das eigene Tempo auf höchsten 80 Stundenkilometer zu drosseln. Das würde auch die anderen Autofahrer warnen sowie verlangsamen und das eigene Risiko bei einem Zusammenstoß etwas verringern.

Welche Daten hat der ADAC?

Die ADAC-Verkehrsexperten selber zählten vor zwei Jahren 1830 Meldungen zu Falschfahrern auf Autobahnen – bundesweit ein Anstieg um 5,7 Prozent bei ebenfalls deutlich angewachsenem Verkehrsaufkommen. Wegen Geisterfahren gab es 2021 auf Autobahnen und autobahnähnlich ausgebauten Straßen 83 Unfälle mit Personenschaden. Dabei verliefen laut ADAC 17 Kollisionen tödlich, bei denen 24 Menschen ums Leben kamen.

Was rät der Automobil-Club Autofahrern?

Nach Angaben des ADAC gab es 2021 insgesamt 1800 Warnmeldungen zu Geisterfahrern im Verkehrsfunk. Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club gibt Autofahrern einige Tipps, wie man sich bei einer Falschfahrer-Meldung am besten verhält:

• Verringern Sie Ihre Geschwindigkeit.

• Schalten Sie die Warnblinkanlage an.

• Fahren Sie auf dem äußeren rechten Fahrstreifen.

• Überholen Sie nicht.

• Halten Sie ausreichend Abstand zum Vordermann.

• Nutzen Sie gegebenenfalls den nächsten Parkplatz oder die nächste Abfahrt.

• Weichen Sie notfalls auf den Seitenstreifen aus.

• Hören Sie aufmerksam den Verkehrsfunk, der meldet, wann die Gefahr vorüber ist.

Wie sollten sich Geisterfahrer verhalten?

Wer sich nach einem Irrtum unvermittelt selbst in der Situation wiederfindet, zu einer Geisterfahrerin oder zu einem Geisterfahrer geworden zu sein, rät der Auto Club Europa (ACE), diese Verhaltenstipps zu befolgen:

• Warnblinkanlage und Licht einschalten, um besser gesehen zu werden.

• Tempo reduzieren.

• Möglichst auf den Standstreifen wechseln und dort anhalten.

• Aussteigen, Warnweste anlegen, hinter der Leitplanke Schutz suchen, dort den Notruf 110 wählen und dort auf das Eintreffen von Polizei und Rettungskräften warten.

• Keinesfalls versuchen, zu wenden oder gar im Rückwärtsgang die Autobahn zu verlassen.