Bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 muss mit Ja stimmen, wer gegen Stuttgart 21 ist und mit Nein, wer für Stuttgart 21 ist. Alles klar?

Stuttgart - Die Volksabstimmung über das Bahnprojekt Stuttgart 21 ist beschlossen, doch in der Landespolitik grassiert ein neues Gefühl der Unsicherheit. Die bange Empfindung speist sich aus einer trüben Quelle. Es ist die Ja-Nein-Frage. Sie richtet sich an die Wähler - beziehungsweise an deren Bereitschaft, sich in das Kleingedruckte der Volksabstimmung einzuarbeiten.

 

Denn anders, als die Logik des Streits um den Tiefbahnhof eigentlich erzwänge, bringt die Jastimme beim Referendum kein Bekenntnis zum Tiefbahnhof zum Ausdruck, sondern das schiere Gegenteil. Wer das Ja ankreuzt, votiert für den Ausstieg aus Stuttgart 21. Wer sich hingegen für das Nein entscheidet, sagt nicht Nein zum Tiefbahnhof, sondern plädiert für den Weiterbau. Im übergeordneten Sinne bedeutet das Nein bei der Volksabstimmung ein Ja zu Stuttgart 21. Alles klar?

Eigentlich schon. Womöglich unterschätzen die Landespolitiker die Intelligenz ihrer Wähler. Auf jeden Fall hat die Politik bis zum 27. November zwei Monate Zeit, die Baden-Württemberger zu instruieren, auf dass niemand nach dem Verlassen der Wahlkabine erkennen muss, falsch abgestimmt zu haben.

S 21 ist ein Bundesprojekt - und das macht die Sache kompliziert

Natürlich wäre es einfacher gewesen, die Bahnhofsgegner mit Nein stimmen zu lassen und die Befürworter mit Ja. Hatte nicht schon der abgewählte Ministerpräsident Stefan Mappus die Grünen - ausgewiesene Stuttgart-21-Kritiker - mit dem Verdikt der "Dagegen-Partei" belegt? Und nun sollen die Grünen, die schon so lange für ein Nein zum Bahnhof kämpfen, plötzlich mit Ja stimmen? Die vermeintlich fügsamen Jasager von der Befürworterfront wiederum müssen damit leben, dass sie Nein sagen sollen, wo doch das Neinsagen höflichen Menschen von Natur aus und aus Neigung so unendlich schwerfällt.

Allein, die ungewohnte Ja-Nein-Konstellation bei der Volksabstimmung dient nicht der Abschreckung von der Wahlkabine und verfolgt auch nicht das Ziel der Volksverwirrung. Sie resultiert schlicht aus der Tatsache, dass Stuttgart 21 ein Bahnprojekt und damit ein Bundesprojekt ist.

Dem Land Baden-Württemberg ist es verfassungsrechtlich verwehrt, eine Volksabstimmung über Stuttgart 21 anzuberaumen. Zur Disposition des Landes steht lediglich der eigene Finanzierungsanteil an dem Projekt, der in einer Finanzierungsvereinbarung der Projektpartner geregelt ist. Entsprechend ist auch das sogenannte Kündigungsgesetz arrangiert, das der Landtag am Mittwoch mit den Stimmen der SPD und der Opposition zum Scheitern brachte. Die Ablehnung des Gesetzentwurfs ebnete den Weg für die Volksabstimmung nach Artikel 60 der Landesverfassung.

CDU-Mann: Das muss klarer formuliert werden

Lässt man einmal die juristisch umstrittene Frage beiseite, ob dieser Vertrag überhaupt noch kündbar ist, so ergibt sich jedenfalls aus dieser Sachlage die auf dem Stimmzettel formulierte Fragestellung: "Stimmen Sie der Gesetzesvorlage, Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S-21-Kündigungsgesetz)' zu?"

Die Fragestellung ist korrekt, nach Ansicht von CDU-Fraktionsvize Winfried Mack jedoch völlig unverständlich. "Das muss klarer formuliert werden", verlangt der CDU-Mann und schlägt vor: "Sind Sie für die Kündigung der Verträge zu Stuttgart 21 durch die Landesregierung?"

In den Kampagnenzentralen wird schon über geeignete volkspädagogische Handreichungen nachgedacht. Auch die Landesregierung wird eine Broschüre erstellen, die neutral informieren soll. In Ulm planen die Befürworter eine Plakatierung, die prominente Stuttgart-21-Protagonisten zeigt - verbunden mit einem Nein-Schriftzug. Das gebe den Wählern eine klare Orientierung. Oder auch nicht. Wenn der Stuttgart-21-Befürworter Ivo Gönner, Oberbürgermeister von Ulm, mit einem dicken Nein plakatiert wird, führt auch dies womöglich zu missverständlichen Interpretationen.

Die Sache ist heikel, aber zu bewältigen. Schließlich liegt der Südwesten in praktisch allen Bildungsstatistiken weit oben, wenn nicht sogar an der Spitze. Außerdem ist die Wahl geheim, es bleibt alles unter der Decke. Wer also für Stuttgart 21 ist und deshalb mit Ja stimmt, wird im Nachhinein kaum mehr mitbekommen, dass er besser sein Kreuz beim Nein gesetzt hätte. Und damit ist dann hoffentlich alles geklärt.