Auf seiner ersten Klausursitzung seit 2019 will der Gemeinderat Weichen für die Stadtentwicklung stellen. Darüber hinaus dient das Treffen aber auch der Verbesserung des Binnenklimas im Gremium.

„Villa Toskana“ – das klingt nach Chianti und italienischer Lebensart. Doch wenn der Gemeinderat und die Verwaltungsspitze am Freitagmittag zur Busfahrt ins gleichnamige Tagungshotel ins badische Leimen aufbrechen, handelt es sich keineswegs um eine Lustreise. Bei der Klausurtagung in der Geburtsstadt des Ex-Tennisstars Boris Becker wollen die Kommunalpolitiker einen ersten Aufschlag in Sachen Fortschreibung des Stadtentwicklungskonzepts (Stek) machen. Das Stek wurde 2004 bis 2006 erstellt und soll einen Orientierungsrahmen für die Stadtentwicklung in den kommenden Jahrzehnten bilden. Im Frühjahr 2022 wurde das Konzept überprüft und soll nun den aktuellen Entwicklungen angepasst werden.

 

Die Klausurtagung ist die erste seit 2019. Neben den aktuellen Fragestellungen wie der Klimapolitik, Mobilität und Digitalisierung, dem Wohnungsbau und der sozialen und ökonomischen Gestaltung der Transformation dürfte bei dem Arbeitstreffen auch Atmosphärisches im Mittelpunkt stehen. Zuletzt hatte sich das Binnenklima im Gemeinderat, vor allem aber das Verhältnis der ökosozialen Mehrheit zu Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) abgekühlt. Noppers Facebook-Post zum Thema Hygieneprodukte für Transmenschen in den Rathaustoiletten oder seine Einlassungen zum Thema Sexismus hatten große Teile des Kommunalparlaments vor den Kopf gestoßen.

Warten auf Noppers programmatische Schwerpunkte

Zudem vermissen nicht nur die Mehrheitsfraktionen (Grüne, SPD, Linksbündnis und Puls-Fraktionsgemeinschaft) knapp zwei Jahre nach Noppers Amtsantritt noch immer jene programmatischen Schwerpunkte, die der OB in seiner Antrittsrede in Schlagworten umrissen hatte: Was bedeutet der von ihm angekündigte „Mobilitätsfrieden“, wie stellt sich Nopper den Weg zur städtischen Klimaneutralität bis 2035 vor, wie kann der gesellschaftliche Zusammenhalt angesichts der multiplen Krisen gestärkt und aufrechterhalten werden? Ein jährlich wiederkehrendes Riesenrad als „Symbol der Zuversicht“ oder das Etikett „leuchtender Stern des deutschen Südens“, das Nopper noch als OB-Kandidat der Landeshauptstadt verpassen wollte, genüge da halt nicht, heißt es selbst unter Parteifreunden des Rathauschefs.

Grüne erwarten einen „konkreten Input“

Mit großer Spannung wird daher die Begrüßungsrede erwartet. „Ich bin sehr gespannt, welchen Input Herr Nopper gibt und ob er bei den drängenden Zukunftsthemen der Stadt endlich konkret wird“, so der Fraktionschef des Linksbündnisses, Hannes Rockenbauch. Auch die Grünen erwarten einen „konkreten Input“ vom OB, sagt deren Co-Fraktionsvorsitzende Petra Rühle: „Bisher hat Nopper seine Themen ja eher außerhalb des Gemeinderats entwickelt.“

Aber auch von den Fraktionen verlangt die Tagesordnung Input. Neben diversen externen Vortragsrednern sollen am Freitagabend die Fraktionen ihre Schwerpunkte für die Stadtentwicklung der Zukunft definieren. Während CDU-Fraktionschef Alexander Kotz gern die von seiner Partei schon vor Jahren angeregte Diskussion über die Visionen für Stuttgart 2030 vertiefen und nicht durch die konkrete Befassung mit einzelnen Themenbereichen „den zweiten Schritt vor dem ersten“ machen will, drängen Grüne, SPD und Linksbündnis eher auf konkrete Zielsetzungen. Für das SPD-Fraktionsspitzenduo Stefan Conzelmann und Jasmin Meergans etwa gehören die Themen gerechte Wohnungsversorgung, sozial-integrative Stadtplanung sowie Klimaschutz ganz oben auf die Agenda. Conzelmann sieht die Klausurtagung auch als Chance, abseits des Korsetts von Gremiensitzungen zwischen den Fraktionen Gemeinsamkeiten zu finden. So lagen SPD und Linksbündnis zuletzt etwa beim Thema Wohnungsbau im Clinch. Grüne und Linksbündnis pochen ebenfalls auf Strategien für die Klimaneutralität bis 2035, wollen aber auch über die sozialen Herausforderungen der Transformation reden.

60 000 Euro kostet der Trip ins Badische

Um offene Debatten jenseits der klassischen Gremienstruktur zu ermöglichen, wurden externe Moderatoren engagiert. Am Samstagnachmittag fährt der Tross dann zurück nach Stuttgart. Insgesamt 60 000 Euro lässt sich die Stadt den Trip ins Badische kosten – Speisen und Getränke während der Tagung inklusive. Auf Sparsamkeit wird dennoch geachtet. Wer von den Teilnehmern den Freitagabend an der hoteleigenen Bar etwa bei einem Glas badischem Weißwein ausklingen lassen will, ist vorgewarnt. „Was Sie an der Hotelbar konsumieren, ist auf eigene Rechnung zu bezahlen“, heißt es im Anhang zum Einladungsschreiben des OB.