Aber nicht nur Hans-Dieter Künne, der Bürgermeister, sondern auch andere ließen sich in den Hochzeiten des Stadtbahnbaus allerhand einfallen. Da war beispielsweise der legendäre Verkehrsdirektor Peer-Uli Faerber: Als man unter dem Bahnhofsvorplatz drei Stockwerke tief die S-Bahn, die Stadtbahn und auch noch die Klettpassage anlegte, kam Faerber auf eine kühne Idee: Er ließ von den findigen Bauleuten ein regelrechtes kleines U-Boot zusammenschweißen. Wer den Mumm besaß, sich hineinzuzwängen und auch noch fünf Mark zu bezahlen, der wurde ein Stück weit ins Grundwasser hinabgelassen. Alles staunte und lachte, Peer-Uli Faerber war wieder einmal der Größte.

Bei den Bauarbeiten gab es Todesopfer zu beklagen


Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Stadtbahnbau durchaus seine dunklen Stunden hatte: Vor dem Tagblattturm an der Eberhardstraße stürzte im März 1971 ein 28-jähriger Baggerfahrer mit seinem Baugerät in die Tiefe und wurde tödlich verletzt. Am 3. September 1985 raste im neuen S-Bahntunnel zwischen Schwabstraße und Vaihingen ein Testfahrzeug in einen Gleisbautrupp: Ein Arbeiter wurde getötet, ein zweiter lebensgefährlich verletzt. Bedenkt man, dass da über mehr als zwei Jahrzehnte viele Tausend Arbeiter beschäftigt wurden, dann blieben die Unglücksfälle selten - aber jeder Unfall, gar jeder Todesfall ist eine Tragödie.

Wer versucht, sich einen Überblick über den Ausbau des Nahverkehrs zu verschaffen, der stößt rasch an die Grenzen. Kaum fassbar ist die Vielzahl der Strecken und der einzelnen Abschnitte, die Eröffnung neuer Haltestellen und die Einführung neuer Wagen. An Kuriositäten mangelt es nicht, wie etwa 1972, als die erste Frau als Stadtbahnfahrerin eingestellt wurde. Oder 1969, als die ersten Überlegungen für den Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) angestellt wurden, der längst nicht mehr wegzudenken ist. Im Dezember 2007 ist die letzte Straßenbahn auf der Schmalspur aus dem Stadtbild verschwunden.

Der Stadtbahnbau in der Landeshaupstadt, in den sechziger Jahren begonnen, ist immer noch im Gange. Gegenwärtig wird von Möhringen aus eine Strecke in das Gewerbegebiet Fasanenhof Ost gebaut, von dort soll es eines Tages weitergehen zum Flughafen. Auf der anderen Stadtseite entsteht die Strecke von Zuffenhausen nach Stammheim, wo die Anwohner allerhand auszuhalten haben. Vor wenigen Wochen hat der Gemeinderat beschlossen, den nächsten Ast der Stadtbahn zu bauen - von Vaihingen in den Stadtteil Dürrlewang. Dagegen wurden Proteste laut - die politische Mehrheit aber zeigte sich unbeeindruckt. Die Zahl der Menschen, die täglich den öffentlichen Nahverkehr nutzen, geht in die Hunderttausende.

Wer heute vehement gegen Stuttgart21 protestiert, der wird sich von der Tatsache, dass der Bau des modernen Nahverkehrs die Bürger weitaus stärker belastet hat, nicht abhalten lassen. Dieses Kapitel gilt als Geschichte, als eine Vergangenheit, die bestenfalls nostalgische Gefühle weckt. Das alles ist schon so lange her. Und dass die Bürger damals so geduldig, so einsichtig und sogar leidensfähig waren - mancher Protestierer von heute mag bei sich denken, schade, dass die Menschen in den siebziger und achtziger Jahren noch nicht so politisiert waren wie jetzt. Doch andersherum wird ein Schuh daraus. Hätte man Stuttgart21 so offen vorbereitet wie seinerzeit den Bau von Stadtbahn und S-Bahn - vieles würde anders verlaufen.