Städtepartnerschaften leben von Kommunikation, Austausch, Begegnungen und gemeinsamen Festen. Das ist herausfordernd in einer Pandemie, aber nicht unmöglich, erzählt Stuttgarts Städtepartnerschaftsbeauftragter Frédéric Stephan.

Stuttgart - Ohne internationale Beziehungen geht es nicht in einer globalisierten Welt. Diese müssen auch während einer Pandemie gepflegt werden, gezwungenermaßen digital. Das gilt auch für die Stadt Stuttgart. Dafür haben sich der Städtepartnerschaftsbeauftragte Frédéric Stephan und seine Mitstreiter seit Beginn der Coronapandemie eingesetzt. Echte Bürgerbegegnungen stehen für 2022 ganz oben auf der Wunschliste.

 

Herr Stephan, Städtepartnerschaften werden von Menschen getragen, die ihre Herzen und Häuser öffnen, so schreiben Sie es auf der Internetseite der Stadt. Hat das in den vergangenen zwei Jahren funktioniert?

Unsere zehn Partnerschaften mit Städten auf vier Kontinenten fußen auf einem Netzwerk aus zahlreichen engagierten Organisationen und Menschen, die die Partnerschaften aufrechterhalten und auch unter den aktuellen Bedingungen nicht lockerlassen. Also ja, Herzen werden weiterhin geöffnet, aber der Punkt mit den Haustüren ist natürlich schwieriger.

Der Austausch und das Interesse konnten also aufrechterhalten werden?

Unsere neuen digitalen Beteiligungsformate konnten unsere Freundschaften konservieren. Die digitalen Treffen sind auf viel Resonanz gestoßen und haben auch einiges Gutes: An ihnen können nun Interessierte aus der ganzen Welt teilnehmen. Früher hatten Veranstaltungen vor Ort auf regionaler Ebene eine hohe Wirkkraft, jetzt können Menschen verschiedener Partnerstädte online teilnehmen. Wir haben sozusagen nun trilaterale bis hin zu multilateralen Treffen und Partnerschaften.

In Ihrem Büro steht bereits eine Ehrenplakette, die die Landeshauptstadt 2021 erhalten hat, richtig?

Das stimmt. Für unser städtepartnerschaftliches, europäisches und internationales Engagement, insbesondere im ersten Jahr der Pandemie, wurden wir mit der Ehrenplakette des Europarates ausgezeichnet. Gemeinsam mit unserer Partnerstadt Straßburg haben wir eine Online-Europawoche organisiert, mit dem Deutsch-Amerikanischen Zentrum virtuelle Diskussionsreihen zu Themen wie struktureller Rassismus und Diversität mit Hochschullehrern der Universität of Missouri St. Louis veranstaltet, mit dem Stadtjugendring die Jugendpolitik in Menzel Bourguiba unterstützt oder mit der Universität Stuttgart die Stadt Kairo mit Gesichtsvisieren für vulnerable Gruppen unterstützt.

Sind denn der Austausch und das Voneinanderlernen von gleicher Qualität?

Der fachliche Austausch funktioniert hervorragend, zum Beispiel zwischen Ämtern oder Organisationen. Doch besonders der interkulturelle Austausch und das Zwischenmenschliche kommen etwas zu kurz; und das ist eigentlich ein essenzieller Kern von Städtepartnerschaften. Wenn Menschen in eine Partnerstadt reisen, erinnern sie sich meist noch lange an das dortige Lebensgefühl. Mein erster Austausch als Jugendlicher ging nach St. Helens in England, daran erinnere ich mich noch heute. Ich hoffe, dass besonders die Schulen bald wieder in unsere Partnerstädte reisen können. Junge Menschen wollen wissen, wie Jugendliche in Mumbai, Brünn oder Cardiff leben und sich mit ihnen austauschen. Auch der praktische Austausch bleibt je nach Infektionsgeschehen auf der Strecke. Winzer aus dem Elsass kooperieren seit vergangenem Herbst mit Winzern des Stuttgarter Weingutes und möchten natürlich auch gemeinsam in die Weinberge gehen. Per Videokonferenz funktioniert das nicht so gut. Normalerweise gastieren auch regelmäßig Künstler aus den Partnerstädten in Stuttgarter Galerien oder auf Bühnen. Es wurden zwar virtuelle Konzerte und Ausstellungen organisiert, und in einer Pandemie ist das natürlich besser als nichts, aber nicht gleichzusetzen mit der physischen Begegnung.

Ist 2022 auch ein Jahr der digitalen Städtefreundschaft?

In diesem Jahr feiern wir gleich zwei Jubiläen. 30 Jahre mit Samara in Russland und 60 Jahre mit Straßburg. Wir hoffen sehr, mit einer kleinen Gruppe in die Städte reisen zu können und auch Gäste in Stuttgart empfangen zu können. Zusätzlich werden wir und unser Partnerschaftsnetzwerk das gesamte Jahr über digitale und hoffentlich auch reale Bürgerbegegnungen organisieren. Es wird Foto- und Postkartenaktionen geben, und Videoprojekte sollen umgesetzt werden. Viele weitere Reisen sowie Projekte mit unseren anderen Partnerstädten mussten aufgeschoben werden, ob wir diese schon in diesem Jahr nachholen können, ist unklar.

Warum ist internationaler Austausch wichtig?

Stuttgart braucht Europa und die Welt, und die Welt braucht das lokale Engagement. Viele Ziele lassen sich nur erreichen, wenn man lokal agiert und zugleich international kooperiert, ein gutes Beispiel für eine Herausforderung, die sich nicht alleine lösen lässt, ist der Klimawandel. Erst wenn Menschen ihre eigene Rolle in der global vernetzten Welt erkennen und sich für eine klimafreundliche Zukunft einsetzen, lassen sich zum Beispiel die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen erreichen. Internationale Partnerschaften sind im Übrigen meist losgelöst von politischen Konflikten und können zur Verständigung beitragen. Die Trump-Ära hat viele internationale Abkommen und Beziehungen infrage gestellt und Misstrauen entstehen lassen. Auch die derzeitige Krise in der Ukraine trägt nicht zu gegenseitigem Vertrauen bei. In solchen Zeiten sind Treffen unter Bürgern und Politikern verschiedener Länder daher umso wichtiger. Nur wer sich kennt, gewinnt Vertrauen und kann Vorurteilen entgegenstehen.