„Laufende Kunstwerke“ – so nennt Alwin Maigler die Stars des Stuttgarter Balletts, die sein spannendes Fotoprojekt in der Leica-Galerie bestaunen. Was eine Hightechkamera einfängt, wird dank uraltem Edeldruck noch schöner. Die Ballettfamilie feiert begeistert.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

In Argentinien ist Ciro Ernesto Mansilla in einem von Bandenkriminalität und Drogenhandel gequälten Stadtviertel aufgewachsen. Heute ist der 28-Jährige ein preisgekrönter Solist des Stuttgarter Balletts. In der Leica-Galerie amüsiert er sich über das Foto von ihm, das eingerahmt an der Wand hängt. Man sieht darauf sein nur knapp bekleidetes Hinterteil. „Mein Gesicht ist nicht schön genug, um es zu zeigen“, scherzt er, „da muss eben mein Po herhalten.“

 

Wie er dabei lächelt, wird sofort klar, was der Fotokünstler Alwin Maigler, der mit erst 26 Jahren raketenartig in der Modefotografie hochgeschossen ist, gemeint hat, als er in seiner Begrüßung die „charismatischen“ und „schönen“ Tänzerinnen und Tänzer rühmt, die „laufende Kunstwerke“ seien.

Ja, wo laufen sie denn? Sie laufen immer ein bisschen graziler, ja anmutiger. Wer sich bei Leica an der Calwer Straße umschaut, ob im Erdgeschoss oder bei der Galerie im Keller, erkennt bereits am Gang und am Schreiten, welche Gäste der Vernissage auf der Ballettbühne zu Hause sind und welche nicht.

Intendant Detrich lobt „die besondere Sicht“ auf den Tanz

Nicht immer leicht ist es, die Gesichter den Bildern zuzuordnen. Denn der in Riedlingen an der Donau geborene Maigler – bekannt ist er für Werbefotografie, die inszeniert ist, aber authentisch wirkt – beschränkt sich meist auf Teile des Körpers. Die fängt der Autodidakt so ästhetisch ein oder in deren Dynamik ist er so detailverliebt, dass es auf den Kopf gar nicht ankommt. Manche Tänzer sind wie Skulpturen erfasst, die eine Harmonie aus Licht und Schatten mit sinnlicher Körpersprache vermitteln – alles in Schwarz-Weiß! Im Mittelpunkt steht dabei eine Ästhetik, der man sich kaum entziehen kann.

Ballettintendant Tamas Detrich hat in seiner lange Karriere viele Tanzfotografinnen oder Tanzfotografen kommen und gehen gesehen, etliche Meister ihres Fachs waren darunter. Bei Alwin Maigler rühmt er dessen „außergewöhnlichen Blick auf Details, die in der Bewegung verborgen bleiben“. Auf diese Weise entstehe eine „neuartige Sicht“ auf den Tanz. Die Perfektion eint die vor und den hinter der Kamera.

Alwin Maigler sieht eine Parallele seiner Arbeit zum Ballett. „Was beim Tanz zwischen den Takten, zwischen den Noten geschieht“, sagt er, seien Nuancen, die ihn auch als Fotograf interessieren. Seine Nuancen – so heißt die Ausstellung – lebt er zwischen Schwarz und Weiß mit viel Liebe aus. Mit der knapp 10 000 Euro teuren Leica M11 Monochrom arbeitet er, die in eine neue Dimension der Schwarz-Weiß-Fotografie vorstößt. Das Schwarz hat mit dieser Hightechkamera quasi unendlich viele Farbtöne.

Bei der Vernissage sind die Gäste baff

Die Kunstwerke, die entstehen, die von der Selfie-Fotografie noch weiter entfernt sind als der Mond von der Erde, werden noch weiter veredelt, weil sie dank eines uralten und sehr komplizierten Druckverfahrens auf Papier kommen. Der zweite Künstler, der an diesem Abend gefeiert ist, heißt Mario P. Rodrigues. Der pensionierte Fototechniker wendet das sogenannte Carbon-Doppel-Transfer-Verfahren aus dem 19. Jahrhundert an. Das digitale Foto verwandelt er zunächst in ein analoges Negativ, das äußerst aufwendig über Zwischenträger, mit UV-Licht und am Ende unter Wasser zu einem handgemachten Unikat wird, zu einem betörenden Pigmentdruck, wie man dies heute nur ganz selten sieht.

Bei der Vernissage sind die Gäste baff (dabei: viele aus dem Ballett, darunter Primaballerina Rocio Aleman, Erster Solist Martí Fernández Prixà, Halbsolistin Alicia Torronteras, aber auch Freunde des Fotografen wie Künstler Tim Bengel und Stelp-Gründer Serkan Eren). Zum besonderen Anlass serviert Marcel Wanek vom Restaurant Banh Mi & Bubbles seine vietnamesischen Sandwiches mit essbarem Goldstaub.

Beim Spielfilm über Cranko, schwärmt Detrich, „stimmt alles“

Ein wichtiges Thema des Abends ist der Spielfilm über John Cranko, der gerade in Stuttgart gedreht wird. Intendant Detrich hat das Drehbuch gelesen und ist begeistert: „Da stimmt alles.“ Der Autor Joachim A. Lang habe jahrelang sehr gründlich recherchiert. Stuttgarts Ballettfamilie freut sich auf diesen Film. Und könnte Cranko bei der Vernissage die Bilder und die Tänzer sehen – auch er wäre sehr stolz!

Die Ausstellung „Nuancen“ ist in der Leica-Galerie, Calwer Straße 41, montags bis samstags von 10 bis 18 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet.