Im Stuttgarter Gemeinderat ist es erneut zu einer heftigen Debatte zum Wohnungsbau gekommen. OB Fritz Kuhn (Grüne) sah sich wegen des Wohnungsmangels in der Stadt starker Kritik ausgesetzt. Doch der OB konterte: Der Rat selbst sei für manchen Stillstand in der Stadt verantwortlich.

Stuttgart - Eine Mehrheit im Stuttgarter Gemeinderat will nicht länger nur auf bereits versiegelten Flächen Wohnungsbau betreiben, sondern auch am grünen Stadtrand Gebiete zur Besiedelung ausweisen. Auf genauere Ortsangaben wurde vorerst verzichtet, das Thema ist brisant, und 2019 finden Kommunalwahlen statt. Die Grünen sind mit Verweis auf Klimaschutzziele dagegen, Christoph Ozasek (SÖS/Linke-plus) zeigte sich entsetzt, die Idee der europäischen Stadt der Zukunft mit dem Aufbau „dörflicher Strukturen“ an der Peripherie umsetzen zu wollen.

 

Die meisten Fraktionen und Gruppen nutzten die Debatte zur Abrechnung mit OB Fritz Kuhn (Grüne) und übten Kritik an einer ihnen zu behäbigen Verwaltung mit scheinbar unwilligem Personal. Der OB hatte in seinem Eingangsstatement deutlich gemacht, die Attraktivität von Stuttgart nicht durch die Bebauung von Feldern, Wiesen, Wäldern und Weinbergen zu gefährden. „Bauen nach Stuttgarter Maß“ lautet seine Devise. „Ich wehre mich aber nicht gegen mehr Wohnungen.“

OB warnt vor Illusionen

Er warnte vor der Illusion, in Stuttgart könnten jährlich sehr viel mehr als die von ihm als Ziel ausgegebenen 1800 Wohnungen gebaut werden. Erneut stellte er auch die Sinnhaftigkeit übermäßiger Neubautätigkeit infrage: Stuttgart sei eine Schwarmstadt; von außen drängten so viele Wohnungssuchende nach, dass der Bedarf auch bei größten Anstrengungen nicht geringer würde. Als Schwerpunkte sieht er den Wohnungsbau für Arme und die untere Mittelschicht. Dafür will er etwa die Verpflichtung von Investoren zum Bau von geförderten Wohnungen um 50 Prozent erhöhen und das Bündnis für Wohnen stärken.

Im Video: Sehen Sie, wie die Debatte im Gemeinderat gestört wurde und was bei der Hausbesetzung in Bad Cannstatt passierte.

Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) sah sich als Schlussredner gezwungen, die Maßstäbe zurechtzurücken. Stuttgart habe die Trendumkehr im sozialen Wohnungsbau geschafft. Er stellte sich auch vor das Personal. Der Eindruck, die Wohnungsnot sei schon gelöst, wenn in den Amtsstuben etwas schneller gearbeitet würde, sei falsch. Manche Extrarunde in der Verwaltung werde nur gedreht, „weil uns der Gemeinderat hineingeschickt hat“, so Föll nach den Angriffen von Alexander Kotz (CDU) und Martin Körner (SPD).

Kritik an schlechter Bilanz

Kotz warf Kuhn vor, nach fünf Jahren im Amt habe er in Sachen Wohnungsbau „nichts vorzuweisen“. Er verschleppe Projekte wie die Arrondierung am Mühlhausener Ortsrand und erschüttere damit das Vertrauen der Bürger in die Verwaltung, die nun Hilfe von außen benötige, etwa um Bebauungsplanverfahren zu beschleunigen. Kotz erneuerte seine Forderung nach einer Bebauung des EnBW-Geländes an der B 10 zur „Stadt am Fluss“. Er will 150 Millionen Euro aus Überschüssen des abgelaufenen Jahres für Käufe im Rahmen einer Wohnungsbauoffensive verwenden. Kotz wurden aber auch Versäumnisse seiner Fraktion unterstellt. Sie habe die Nachverdichtung im Fasanenhof blockiert und auf dem Eiermann-Gelände in Vaihingen den Wohnungsbauanteil von 1500 auf 500 reduziert. Im Neckarpark, wo nun 850 Einheiten entstünden, wollte die Union einst ganz auf Wohnungsbau verzichten.

SPD-Chef Martin Körner, wie die Grünen auch ein Fan der „Stadt am Fluss“, warf Kuhn vor, gegen Neubauten „zu polemisieren“. Das sei „brandgefährlich“. Er sage „Ja zur Innenentwicklung“, das allein reiche aber nicht, weshalb er etwa in Mühlhausen das Gebiet Schafhaus bebauen würde.

„Religiöse Marktgläubigkeit“

Silvia Fischer (Grüne) sieht den Wohnungsbau im Spannungsfeld von sozialer Verantwortung und Klimaschutz. „Finger weg“ von den grünen Rändern, forderte sie. Von einer Wende zum Guten, wie sie Föll beschrieb, will Thomas Adler (SÖS/Linke-plus) nichts gemerkt haben. „Die Mieten steigen exorbitant.“ In Stuttgart hätten 100 000 Einwohner einen Anspruch auf eine Sozialwohnung, es gebe aber nur 14 000. Verantwortlich sei die „religiöse Marktgläubigkeit“, zu der sich etwa Michael Conz von der FDP bekannte. Adler forderte die Stadt erneut auf, Grundstücke zu kaufen und nicht zu verkaufen und verstärkt in Sozialwohnungen zu investieren.