Ein lange verschollenes Erinnerungsdenkmal für die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkriegs aus dem Schloss Rosenstein ist in Rotenberg im Alten Schulhaus wiederentdeckt worden. Es soll jetzt im Haus der Geschichte einen Platz bekommen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Wie kommt ein Ehrendenkmal, das 1933 geschaffen worden ist und Mittelpunkt des Foyers im Schloss Rosenstein war, in den Keller einer Kindertagesstätte in Rotenberg? Das ist ein Rätsel, das die Stuttgarter Historiker noch nicht gelüftet haben. Aber viele andere offene Fragen um die lange verloren geglaubte Statue sind beantwortet – eine entscheidende Rolle spielt dabei Markus Speidel vom Stadtmuseum Stuttgart, der klug zwei Elemente, die scheinbar nichts miteinander zu tun hatten, zusammenbrachte.

 

Aber der Reihe nach. Die Bibliothek für Zeitgeschichte feiert gerade ihr 100-Jahr-Jubiläum mit einer Ausstellung in der Landesbibliothek, zu der sie mittlerweile gehört. Die Bibliothek, 1916 von dem Ludwigsburger Unternehmer Heinrich Franck gegründet, sollte alle Materialien über den Ersten Weltkrieg sammeln, damit man später genügend Quellen für eine solide historische Aufarbeitung besaß; diese vermisste man schmerzlich zum deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Seit 1921 war diese Weltkriegsbibliothek im Schloss Rosenstein untergebracht, und im Mai 1933 wurde dort eine große Dauerausstellung zum Ersten Weltkrieg eröffnet, deren Besuch für viele Schulklassen in Stuttgart Pflicht war. Die Schau war noch von den Demokraten der Weimarer Republik geplant worden, wurde aber von den Nationalsozialisten umgebaut und dazu benutzt, die Dolchstoßlegende zu befördern und ihre eigene Parteibewegung zu verherrlichen.

Auf jeden Fall hatte der junge Stuttgarter Künstler Peter Hartmann, von dem man sonst nicht viel weiß, für diese Ausstellung ein Ehrenmal aus Kunststein entworfen, das im Vestibül des Schlosses stand – oder vielmehr lag: Es zeigt einen toten Soldaten, und an seinen eingefallenen Wangen und an den tiefen Augenhöhlen lässt sich ablesen, dass dieser Soldat vor seinem Tod viel gelitten hat. Heroisch war der Ausdruck jedenfalls nicht. Hartmann zeigte den Soldaten als Opfer.

Den Nazis war die Statue vermutlich zu unheroisch

Und nun beginnt die Spekulation. Irina Renz von der Bibliothek für Zeitgeschichte könnte sich vorstellen, dass den Nazis die Statue tatsächlich zu unheroisch war, so wie ihnen die ganze Ausstellung zu pazifistisch war. Sie wollten Soldatentum und Krieg glorifizieren – und vielleicht haben sie das Kunstwerk deshalb schon 1934 oder 1935 entfernt. Eine andere Theorie, so der Bibliotheksleiter Christian Westerhoff, könnte sein, dass das Ehrenmal nach einem verheerenden Angriff auf Stuttgart im September 1944 abtransportiert worden ist; das Schloss Rosenstein brannte damals bis auf die Grundmauern ab. Wahrscheinlich ist diese Theorie aber nicht, sagt Westerhoff selbst; denn es finden sich keinerlei Brandspuren an dem Kunstwerk.

Vor fünf Jahren ist das Ehrenmal wiederentdeckt worden, ohne dass jemand sagen konnte, wohin es gehörte. Es lagerte im Keller einer Kita, die im Alten Schulhaus von Rotenberg untergebracht ist. Die Statue war jahrzehntelang in einem winzigen Raum – ungewollt oder mit Absicht – durch ein Regal zugestellt gewesen. Erst als dort eine Toilette eingebaut werden sollte, stieß man auf den toten Krieger. Die Leiterin der Kindertagesstätte habe einen gehörigen Schreck bekommen, als sie plötzlich in die leeren Augen des Soldaten geschaut habe, erzählt Klaus Enslin, der Vorsitzende des Bürgervereins, dessen Ortsmuseum im gleichen Haus untergebracht ist. Alle glaubten, das Objekt gehöre dorthin – aber Enslin versicherte, dass dem nicht so ist.

Erst ein Zufall führt zur Identifizierung des Denkmals

Mehrere Aufrufe wurden gestartet, um Personen zu finden, die etwas über die Herkunft der Statue sagen konnten. Auch Markus Speidel vom Stadtmuseum war eingeschaltet. Doch niemand meldete sich, und die Sache verlief im Sande. Bis Markus Speidel vor kurzem die Jubiläumsausstellung der Bibliothek für Zeitgeschichte besuchte und den Katalog durchblätterte. An einem Bild vom Foyer des Schlosses Rosenstein blieb er hängen – und obwohl die Bibliothek bis dahin noch gar nicht mit der entdeckten Statue in Verbindung gebracht worden war, kombinierte er scharf. Der liegende Soldat im Foyer konnte nur identisch sein mit dem Kunstwerk in Rotenberg: „Vor allem die stark herausragende Helmkante fiel mir sofort auf“, so Speidel. Als er Westerhoff angerufen habe, sei der fast vom Stuhl gefallen vor Überraschung.

So hat sich die Geschichte zugetragen. Nach einigen Gesprächen ist nun klar, dass das Haus der Geschichte das Kunstwerk in der Dauerausstellung zeigen wird. „Die Statue ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Nazis auf allen Ebenen einen Gesinnungswandel einleiten wollten“, sagt Sebastian Dörfner vom Museum. Das Kunstwerk ist so gut erhalten, dass es nicht einmal groß renoviert werden muss. Nur abgestaubt.