Das Diakonie-Klinikum feiert das Zehnjährige seiner Palliativstation, sieht sich jedoch in einem steten Kampf um die Finanzierung dieser speziellen Patientenversorgung. Dennoch baut das „Diak“ die Station von zehn auf 16 Betten aus.

Stuttgart - Es ist der Krug, der an jedem vorbeigehen sollte. Es ist der Tag, vor dem sich im Grunde jeder fürchtet. Der Tag, an dem ein Arzt sagt: „Sie haben Krebs. Ihre Lebenszeit ist stark begrenzt.“ Im Fall von Peter S. (Name verändert) war die Sache jedoch noch dramatischer. Seine Diagnose lautet: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Eine Krankheit, die sich besonders leise und heimtückisch anschleicht. Zudem sehr schwer zu therapieren ist. Aber in diesem Fall schlägt das Schicksal besonders gnadenlos zu. Peter S. kann kurz nach der Diagnose nicht therapiert werden. Sehr hohes Fieber verhindert den Start einer Chemotherapie. Also wird er ohne weitere Hinweise und Betreuung nach Hause geschickt – und fällt ins Bodenlose. Es gibt dort keinen Halt, es gibt dort keine Antworten auf quälende Fragen, keine Hilfe. Peter S. und seine Familie erleben eine physische und psychische Grenzsituation.

 

Palliative Versorgung entwickelt sich weiter

Soweit die unfassbare Praxis aus dem Alltag einer bekannten Klinik aus dem Umland. In der Theorie dürfte so etwas nie passieren. Normalerweise hätten hier die Rädchen des Gesundheitssystem ineinandergreifen müssen. Jetzt hätte der Patient „das Beste aus beiden Welten – Onkologie und Palliativmedizin“ erfahren müssen, wie einer der renommiertesten deutschen Palliativmediziner, Professor Dr. Raimund Voltz, Facharzt für Neurologie und Direktor des Zentrums für Palliativmedizin der Uniklinik Köln meint. Diesen Gedanken fasste Voltz unlängst in einem Festvortrag im Diakonie-Klinikum Stuttgart. Denn vor zehn Jahren eröffnete das Diakonie-Klinikum seine Palliativstation.

Finanzierung ein steter Kampf

Voltz beließ es damit nicht bei schönen und feierlichen Worten, sondern setzte auch Reizpunkte. Denn aus seiner Sicht ist palliative Versorgung und der dahinterstehende Hospizgedanke eine „gleichbleibende Herausforderung“. Das Erreichte feiern ist damit richtig, aber ein auf den Lorbeeren ausruhen geht in diesem Bereich nie.

Damit trifft er den Nerv seines Stuttgarter Kollegen Professor Dr. Jochen Greiner, Chefarzt der Hämatologie und Onkologie sowie Leiter der Palliativmedizin im Diakonie-Klinikum. Auch er ist der Meinung, dass dem Patienten stets das Beste aus beiden Welten zukommen muss. Aber er sieht noch weitere Herausforderungen: „Natürlich machen einem die Kassen und der Gesetzgeber die Arbeit nicht leichter“, sagt er, „wir müssen immer um die Finanzierung und den Erhalt dieser Systeme kämpfen. Nichts in diesem Bereich ist gesichert.“

Palliativstation ist keine Sterbestation und kein Hospiz

Mit System meint er alles, was rund um die Versorgung schwerst kranker Menschen geschieht und im November 2011 seinen Anfang nahm. Damals eröffnete das Diakonie-Klinikum seine Palliativstation, in der heute bis zu zehn Patienten betreut werden können. Für das Team der „Palli“, wie die Stationen in den Kliniken stets genannt werden, ist immer eines besonders wichtig: Eine Palliativstation ist keine Sterbestation. „Häufig wird eine Palliativstation mit einer Sterbestation oder einem Hospiz verwechselt“, erklärt der Sprecher des Klinikums, Frank Weberheinz: „Dem ist nicht so – auf der Palliativstation finden viele Therapien wie Schmerzbehandlungen, Immun-, Chemo- oder Strahlentherapien statt.“ Diese könnten Lebensverlängerung bewirken oder zu mehrLebensqualität beitragen. Leukämie- oder Tumorpatienten beispielsweise hätten im Verlauf ihrer Erkrankung häufig Symptome wie Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Erbrechen oder Depressionen – auf der Palliativstation könne man diesen Menschen gezielt helfen.

Patienten werden ummantelt

Unwillkürlich fällt einem dabei wieder die Geschichte von Peter S. ein. Was wäre, wenn er nicht in einer Klinik im Umland behandelt worden wäre, sondern im „Diak“, wie das Klinikum gerne genannt wird? Dann hätten ihn die Zusammenarbeit eines Teams an Pflegekräften, Ärzten, Seelsorgern, Musik- und Kunsttherapeuten, der Physiotherapie und Psychoonkologie ummantelt (latein.: Pallium, Mantel). Bedeutet: Eine palliative Versorgung meint eine kompetente und menschliche Versorgung des Patienten. Und im Sinne des Volztschen Diktums von der „ständigen Herausforderung“ investiert das Klinikum nun in den Ausbau dieser menschlichen Versorgung: von zehn auf 16 Betten. Dabei stellt sich das „Diak“ auch kritischen Fragen: Ist diese Investition in eine zentrale Versorgungseinheit angesichts eines steigenden Bedarfs durch die demografische Entwicklung der richtige Weg? Müsste man nicht eher in dezentrale Versorgung stecken, bei dem eine Palliativstation den Brückenkopf und das Kompetenzzentrum bildet? Diese Fragen lösen bei Martin Löw, Pflegerischer Leiter der Palliativstation, und Ingrid Wöhrle-Ziegler, Klinikseelsorgerin und Vorsitzende des Ethikkomitees, ein sanftes Schmunzeln aus, das aussagt: Es zeigte sich, dass eine Konzentration von palliativmedizinischer Expertise auf einer Station im Krankenhaus sinnvoll sei. „Aber natürlich wird es nie genug sein“, sagt Löw, während Wöhrle-Ziegler seine Worte aufnimmt und ergänzt: „Es geht nicht das eine ohne das andere. Wir fahren zweigleisig.“

Stuttgart nimmt Vorbildfunktion ein

Will heißen: „Wir versuchen unsere Netze weit auszuwerfen“, sagt Wöhrle-Ziegler. Nach innen sowieso. Aber auch nach außen, wo die Anbindung an die Klinik immer wichtiger werde. Sei es durch Brückenpflege des onkologischen Schwerpunkts Stuttgart (OSP), die Sozialdienste, den Konsiliardienst, die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) und die Hausärzte. „Damit nimmt Stuttgart insgesamt eine Vorbildfunktion ein“, sagt Professor Greiner, ohne die beiden Hospize und die Palliativstationen der anderen Stuttgarter Kliniken namentlich zu erwähnen.

Und doch bleibt allen bewusst: Palliative Versorgung bleibt eine ständige Herausforderung. Nur so können Fälle wie der von Peter S. in Stuttgart, wenn nicht ausgeschlossen, so doch minimiert werden.