Zwei ehemalige Führungskräfte klagen gegen ihre fristlosen Kündigungen infolge von Geschäften mit Libyen und Kuwait. Ein Patientenbetreuer wehrt sich gegen Millionenforderungen der Stadt und bezweifelt, dass es überhaupt einen Schaden gibt.

Stuttgart - Mobbing-Vorwürfe, Brandschutzprobleme und 200 Millionen Euro Mehrkosten für den Umbau – angesichts dieser neuen Schlagzeilen sind die Probleme des Stuttgarter Klinikums mit den umstrittenen Auslandsgeschäften in den Jahren 2014 bis 2016 in den Hintergrund gerückt. Die Behandlung von 370 libyschen Kriegsversehrten und ein Beratergeschäft mit dem kuwaitischen Al-Razi-Krankenhaus war vom Rechnungsprüfungsamt kritisiert worden. Es glaubt, Verluste von 21 Millionen Euro identifiziert zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Doch nun geraten diese Fälle wieder in den Blickpunkt. Ende des Monats soll in Kuwait entschieden werden, ob das Klinikum 4,6 Millionen Euro vereinbarte Provision dem dortigen Dienstleister Aryak bezahlen muss. Und weil im Zuge der Affären die Führung des Klinikums ausgetauscht wurde, häufen sich nun Arbeitsgerichtstermine.

 

Im Februar wird die Kündigung von Andreas Braun verhandelt, der die internationale Abteilung leitete. Bereits an diesem Freitag strebt die ebenfalls entlassene Controllerin Antje Groß vor dem Arbeitsgericht ihre Rehabilitierung an. Sie wird von Stefan Nägele verteidigt, der auch den Ex-Geschäftsführer des Klinikums und Hauptverantwortlichen Ralf-Michael Schmitz bei der Auflösung seines Vertrags betreute. Diese Personalien sind für Bürgermeister Michael Föll (CDU) der Beweis dafür, dass er nicht die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt.

Ex-Patientenbetreuer sieht sich als Bauernopfer

Das sieht Nabel Abu-Rikab ganz anders. Der 45-jährige Ludwigsburger mit arabischen Wurzeln, seit vielen Jahren als Partner des Klinikums Betreuer arabischer Patienten, sagt, er sei einer von wenigen, der für sein Geld geschuftet habe und nun auch noch bestraft werde. Anstatt die Betreuung der 370 libyschen Patienten mit einer Restzahlung von 693 000 Euro zu vergüten, will das Klinikum 3,1 Millionen Euro von seiner Firma zurück. Der ehemalige Daimler-Arbeiter steckt im Insolvenzverfahren.

Der dickste Brocken ist eine Forderung über 2,2 Millionen Euro. Abu-Rikab hatte als Bote Taschengeld für die Patienten an deren Repräsentanten übergeben. Die Rechnungsprüfer behaupten, es fehle die „vertragliche Grundlage“ für die Auszahlung, die freilich nicht Abu-Rikab, sondern die Klinikumsleitung vereinbart hatte.

Abu-Rikab geht wie Anwalt Nägele davon aus, dass dem Klinikum kein Millionenschaden entstanden ist, obwohl die libyschen Partner nach der Zahlung von 18,9 Millionen Euro (nach Klinikumsrechnung zwei Drittel der Gesamtkosten) die Überweisungen eingestellt hatten, sondern sich nur die Gewinnerwartungen nicht erfüllten. Würden faire, also nicht überhöhte Kosten für Behandlung in Rechnung gestellt sowie Kost und Logis korrekt berechnet, ergebe sich ein um zehn Millionen Euro geringerer Gesamtaufwand, der durch den von den Libyern überwiesenen Betrag gedeckt sei, so der Betreuer.

Die Rechnungsprüfer geben Rätsel auf

Klinikexperten haben unserer Zeitung bestätigt, dass Kosten teils doppelt in Rechnung gestellt und oft Spitzenhonorare für überschaubare Behandlungen verlangt worden seien. So wurde eine auf weniger als 10 000 Euro geschätzte Leistung in einer Kooperations-Fachklinik mit 45 000 Euro abgerechnet. Das Klinikum verlangte jedoch 298 727,97 Euro von den Libyern – bis heute fehlt dazu eine gute Begründung der Stadt, weil „die internen und externen Untersuchungen und Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind“ und man der Bewertung durch die zuständigen Behörden nicht vorgreifen könne, wie eine Stadtspecherin unlängst betonte.

Abu-Rikab wird im Rathaus durchaus auch als Bauernopfer gesehen. Wie die Rechnungsprüfer auf 15 Millionen Euro Behandlungskosten und 13,4 Millionen Euro für die Betreuung und Provisionen kommen konnten, ist nicht mehr nur dem Betreuer ein Rätsel. Hinter vorgehaltener Hand wird unterstellt, der Kontrolleur habe sich wohl in etwas verrannt. Offiziell prüft die Verwaltung noch den Schaden.

In Kuwait erfüllt das Klinikum nicht die Erwartungen

Chaos herrschte auch beim Kuwait-Geschäft (46,6 Millionen Euro Umfang). Drei Jahre lang sollten ständig fünf Klinikumsärzte im Al-Razi-Krankenhaus arbeiten. Oft war nur einer vor Ort, manchmal waren es auch drei. Dass daraus Millionenverluste resultieren, ist dennoch nicht sicher. Noch gibt es keinen abgeschlossenen Schadenersatzprozess. Für den Fall, dass Stuttgart in einer außergerichtlichen Einigung mit dem Dienstleister Aryak und dem kuwaitischen Gesundheitsministerium größere Chancen sehen würde, wäre diplomatisches Verhalten gefragt. „Es geht den Kuwaitern nicht ums Geld, es geht ihnen nur um Respekt“, weiß Abu-Rikab, der sich als Vermittler anbietet. Er hatte für das Klinikum Stuttgart bei vielen Tassen Kaffee im Ministerium zwei Jahre lang persönliche Überzeugungsarbeit geleistet und so 20,3 der für diesen Zeitraum vereinbarten 27,9 Millionen Euro gesichert, obwohl kaum Ärzte da waren. Und nachdem Interims-Klinikumschef Schimandl Chauffeurdienste für 54 000 Euro im Monat aufgefallen waren, hat er Abu-Rikab losgeschickt, der den Preis schnell um zwei Drittel senkte.

Stadt war vor Verlusten gewarnt worden

Nachdem ihn die Stadt Mitte 2016 durch Anwälte ersetzt hatte, versiegte der Geldstrom nach Stuttgart. An Warnungen hatte es aber nicht gemangelt: Die Quartalszahlung bedürfe der „täglichen Anwesenheit im Ministerium, wie sie in der Vergangenheit durch Aryak und Abu-Rikab geleistet“ worden sei, hatte die Münchner Beratungsfirma HCMI Schimandl mitgeteilt. Mit ein oder zwei Besuchen durch die Anwaltskanzlei sei das Problem nicht zu lösen.

Verdruss hat vor allem ausgelöst, dass die Stadt die Unterzeichnung eines neuen Vertrags zu ihrem Vorteil Mitte 2016 mehrfach platzen lassen hatte. „Der Gesundheitsminister hat getobt“, erinnert sich Abu-Rikab. Danach sei das Tischtuch zerschnitten gewesen. Die Stadtsprecherin beschreibt das anders: Man habe die Beziehung gekündigt, weil das Ministerium auf Schreiben nicht mehr reagiert habe.

Die kuwaitische Firma Aryak hat wegen Restforderungen von 4,6 Millionen Euro ein Verfahren angestrengt. Vom Klinikum zugesagt waren 12,6 Millionen Euro, angeblich um das Projekt bei Politikern und Medien bekannt zu machen und das Gesundheitsministerium an seine regelmäßige Zahlungspflicht zu erinnern. Für Bürgermeister Föll waren das Schmiergeldzahlungen, er fordert eine komplette Rückerstattung.

Das kuwaitische Gesundheitsministerium ist als Klinikbetreiber rund 26 Millionen Euro schuldig geblieben – weil die Stadt nur einen Teil der Leistungen erbracht hat. Die Kuwaiter haben offenbar Nachforderungen im einstelligen Millionenbereich, die sie vor einem heimischen Gericht geltend machen könnten. Das Klinikum will seinerseits „ausstehende Forderungen geltend machen“.