Für Kulturschaffende ist die Corona-Pandemie eine besondere Herausforderung. Mit ihren üblichen Geschäftsmodellen verdienen sie kein Geld mehr. Fünf Künstler aus Stuttgart erzählen aus ihrem Leben und vom Umgang mit der Krise.

Digital Desk: Sebastian Xanke (xan)

Stuttgart - Die Folgen der Coronavirus-Pandemie treffen Künstler außergewöhnlich hart. Geplante Ausstellungen, Aufführungen oder Events fallen für sie meistens ersatzlos aus. Die Folge: Ein Umsatzeinbruch von oft 100 Prozent. Das Land Baden-Württemberg hat deshalb eine finanzielle Soforthilfe eingerichtet, um den Kulturschaffenden unter die Arme zu greifen. In vielen Fällen reicht die einmalige Zahlung allerdings nicht aus. Wie haben sich Stuttgarter Künstlerinnen und Künstler in der Krise geholfen?

 

Tango in Schockstarre: Judita Zapatero

Judita Zapatero ist Tänzerin und arbeitet als Tanzlehrerin im Tangosalon Stuttgart. Für sie waren die strengen Kontaktbeschränkungen ein herber Einschnitt: „Unser höchstes Gut im Tango ist die Umarmung“, sagt Zapatero. „Als die ersten Menschen zwar in den Unterricht gekommen sind, aber keinen Kontakt mehr wollten, hat mir das sehr aufs Gemüt geschlagen.“ Noch vor den offiziellen Verordnungen habe sie ihre Schule deshalb geschlossen.

„Die ersten zwei Wochen war ich in Schockstarre“, erzählt die 50-Jährige. Denn bei ihr gebe es keine festen Beiträge. „Nach der Schließung des Salons habe ich also plötzlich Null Komma Null verdient.“ Dann habe sie überlegt, was sie sich jetzt für ihre Kunden wünschen würde. „Eigentlich, dass die Leute üben können, bis der Unterricht wieder beginnt“, sagt sie. „Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, Lehrvideos mit Übungen über das Internet anzubieten.“

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Das habe auch sehr gut funktioniert. Die Videos werden mittlerweile überregional angenommen, so Zapatero. Interessierte zahlen „empfohlene 40 Euro, je nach Geldbeutel und Ermessen“. Zusätzlich spüre sie große Solidarität aus der Gesellschaft. „Dazu muss man aber auch sagen: Meine Kunden sind Leute, die weiter Geld an mich zahlen können. Sie wollen, dass dieser Ort in Zukunft erhalten bleibt.“

Schauspieler in Isolation: Maximilian Fritsche

„Bei uns ist ein Auftritt etwa so, als würde man mit Freunden in den Urlaub fahren“, erzählt Maximilian Fritsche, Sprecher einer inklusiven Schauspielgruppe des Theater Rapsoden in Stuttgart. Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Einschränkungen finden hier für gewöhnlich zusammen, um gemeinsam eine Bühnenshow zu erarbeiten. Wegen der Coronavirus-Pandemie fallen die wöchentlichen Proben weg, geplante Auftritte finden nicht statt. Im November hätte die Schauspielgruppe etwa in Moskau, im Oktober in Griechenland performt. „Jetzt heißt es abwarten und Tee trinken“, sagt der 28-Jährige.

Doch so einfach sei das nicht. „Für viele der Behinderten ist das Theater ein Ort, an dem sie sie sich wohlfühlen und sein können, wie sie sind“, erzählt er. Es kämen immer wieder Anfragen, wann zumindest das Proben wieder möglich sei. Vor allem den Gruppenmitgliedern aus Esslingen fehle der gesellschaftliche Umgang. „Sie waren von Anfang an in strenger Quarantäne, da sie zur absoluten Risikogruppe gehören.“

Weil die Schauspielgruppe ihre Stücke zudem immer wieder aufs Neue selbst entwickeln würde, sei auch das Proben Zuhause weitestgehend nicht möglich. „Manche können zum Beispiel gar nicht lesen“, sagt Fritsche. „Deswegen ist der persönliche Kontakt bei uns das wichtigste, um eine Rolle nahezubringen.“ Möglich ist das wohl noch länger nicht.

Ein Ständchen vor dem Fenster: Rebecca Jäger

Als „singendes Telegramm“ hat sich Rebecca Jäger während der Coronakrise einen Namen gemacht. Die 39-jährige selbstständige Sängerin aus Stuttgart arbeitet normalerweise als Traurednerin oder tritt bei Dinners und kulturellen Veranstaltungen auf. „Mein Geschäftsmodell war von heute auf morgen nicht mehr existent“, sagt sie. Anfang April hätte sie dann Freunde und eigentliche Kunden mit Gesang vor deren Fenster überraschen wollen. Das Resultat filmte sie und postete es auf Instagram. „Dann hat es gar nicht so lange gedauert, bis die ersten Anfragen kamen.“

Mittlerweile habe sich ein florierendes Geschäft entwickelt, erzählt Jäger. Menschen beauftragen sie zu besonderen Anlässen wie Muttertag oder Geburtstag, um ihren Liebsten ein Ständchen zu schenken. Das Konzept habe Jäger daraufhin mit befreundeten Sängerinnen geteilt, die die Idee nun über ganz Deutschland verteilt für sich umsetzen würden.

Doch nicht jeder ihrer Kollegen hätte so ein Glück. Da Sänger zum Beispiel kaum Auslagen hätten, wie Studio- oder Materialkosten, würde die Soforthilfe des Landes nicht so üppig ausfallen wie bei anderen Künstlergruppen, sagt Jäger. Bei vielen ihrer Kollegen herrsche deshalb Hoffnungslosigkeit.

Das verkaufte Kunstwerk als Anker: Iris Flexer

„Ich glaube, so etwas haben wir alle noch nie erlebt“, sagt Iris Flexer. Seit etwa 30 Jahren ist die Stuttgarterin hauptberuflich Künstlerin. Ihr Spezialgebiet: Malerei, Druckgrafik und Installationen. Auch bei ihr habe sich wegen der Coronakrise viel verändert. „Eine Ausstellung musste vorzeitig abgebaut werden“, zu einer anderen kamen nur wenige Besucher, wieder andere wurden verschoben oder abgesagt. Eigentlich gibt die 67-Jährige zudem Kurse – im Privaten und in Kunstschulen. Sie fielen der Krise ebenso zum Opfer. „Ich habe dann direkt die Soforthilfe beantragt, nachdem sie vom Land bereitgestellt wurde. Das hat mir für Miet- und Atelierskosten sehr geholfen.“

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Außerdem habe sie das Glück gehabt, dass einer ihrer Kunden genau in dieser Zeit ein Bild von ihr kaufte. „Auch einige meiner Kursteilnehmer haben gesagt, sie zahlen trotz des Ausfalls weiter.“ Zusätzlich würde ihr die Kunstakademie Esslingen, bei der sie jetzt eigentlich Unterricht gehalten hätte, trotz des Ausfalls Honorar zahlen, erzählt Flexer. Im Gegenzug verschicke sie einen Newsletter mit Kunsttipps an die Kursteilnehmer.

Mitte Juni will die 67-Jährige wieder mit dem Unterricht beginnen. Aus ihrer Sicht habe sie die Situation „ganz gut“ überstanden. „Aber ich hatte auch einfach Glück. Mir ist wirklich sehr viel Solidarität entgegengeschlagen.“ Kollegen von ihr stünden hingegen vor existenziellen Nöten.

Ein Applaus der Autos: Jörg Pauly

Seit 14 Jahren arbeitet Jörg Pauly hauptberuflich als Schauspieler, vor allem im Theater. Der 41-Jährige lebt in Stuttgart und musste wegen der Coronakrise seine Wohnung aufgeben. „Ich habe jetzt etwas günstigeres gefunden“, sagt Pauly. Lange Jahre arbeitet er bereits bei den Stuttgarter Schauspielbühnen. Da er momentan eigentlich ein Engagement hätte, bekomme er glücklicherweise Kurzarbeitergeld. „Trotzdem ist das eine unsichere Situation.“ Vor allem, weil für Theaterhäuser noch nicht sicher ist, wann sie zu einem normalen Spielbetrieb übergehen können. „Wir sind also immer auf Stand-by.“

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Theaterhäuser überlegen sich jetzt Konzepte, wie Aufführungen mit weniger Zuschauern möglich sein könnten. „Zum Beispiel, indem man statt eines Schauspiels mit acht Personen ein Monolog oder zwei Personenstück zeigt“, erzählt der 41-Jährige. Er selbst habe in letzter Zeit vereinzelt Aufträge als Sprecher oder Moderator bekommen. Jobs, die er auch vor der Krise schon hatte. Für die Schauspielbühnen produziert er den Podcast „Judas“. Außerdem sei er in einem Autokino bei Karlsruhe aufgetreten. „Vor etwa 40 Autos auf einer kleinen Bühne wurde ich da abgefilmt und auf eine große Leinwand projiziert.“ Statt Applaus habe es dann ein Hupkonzert gegeben – „das ist schon cool aber auch etwas spooky.“

Für die Zukunft will er sich vielleicht mit kleinen Auftritten auf öffentlichen Plätzen ausprobieren. „Streaming finde ich zwar gut, aber ich glaube, den Leuten fehlt die Live-Performance.“