Kaethe Loewenthal lebte bis zu ihrer Deportation mehr als 20 Jahre in der Stuttgarter Ameisenbergstraße ein eigenständiges Künstlerleben. Die Geschichtswerkstatt Kaltental erinnert an ihr Schicksal.

Lokales: Armin Friedl (dl)

Ihr Poem „Sehnsucht“ eröffnet Käthe Loewenthal mit dem Anfang einer Ballade von Johann Wolfgang von Goethe: „Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide“. Doch während Goethe im weiteren Verlauf über eine unerfüllte Sehnsucht klagt, setzt Loewenthal fort: „Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß um die Freude!!/Nur wer zu tiefst es ersehnt, kann das Glück voll/erfüllter Wärme, höchster Innigkeit, ehrfürchtiger Dankbarkeit,/in die sehnenden Arme nehmen mit dem/demutstiefen Stolz, den eben nur die Sehnsuchtsvollen kennen . . .“.

 

Zwangsumsiedlung ins Kaltentaler Judenhaus

Wer ist diese Person, die Käthe Loewenthal einst so viel Erfüllung und Freude gab? Und wer ist überhaupt Käthe Loewenthal, die trotz ihrer vielen Lebensjahre in Stuttgart inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten ist? – Die Geschichtswerkstatt Kaltental hat jetzt das Leben der 1878 in Berlin geborenen Künstlerin erinnert, die 1942 im Todeslager Izbica bei Lublin ermordet wurde. Diese Arbeit wird fortgesetzt, andere Aspekte kommen hinzu: Die Schwarzwald Straße 94a war Loewenthals letzte erzwungene Stuttgarter Wohnadresse. Vor ihrer Deportation lebte sie dort im damaligen „Judenhaus“. Was es damit auf sich hat, was aus den Besitzern geworden ist, das wird das Thema eines weiteren Abends der Geschichtswerkstatt Kaltental.

Die Geliebte hat sie bis in den Tod begleitet

Käthe Loewenthal muss eine sehr selbstbewusste und begeisterungsfähige Frau gewesen sein, davon zeugen die eingangs zitierten Gedichtzeilen. Auch deshalb, weil diese Person, die ihr so viel Erfüllung gegeben hat, eine andere Frau war – Erna Raabe. Loewenthal hat ihre todkranke Geliebte bis zu deren Ende begleitet, und ist deshalb aus ihrem Schweizer Exil zurück nach Stuttgart ins Nazi-Deutschland gezogen, konnte dann selbst aber nicht mehr entkommen in ein sicheres Land.

Wie sehr ihr dieser Schritt und dessen Folgen bewusst waren, dazu gibt es keine Dokumente. Überliefert sind aber einige Briefe, in denen Kaethe Löwenthal die immer prekärer werdenden Lebensumstände schildert. Einige Vorkehrungen hat sie getroffen: Ihre großformatigen Arbeiten hat sie früh einem Handwerker überlassen, der als kunstsinniger Mensch diese wie auch jene von Oskar Schlemmer in einem scheinbar sicheren Keller verwahrte, der jedoch in einer der Stuttgarter Bombennächte zerstört wurde. Im Jahr 1941 stellt Loewenthal noch eine Mappe zusammen mit etwa 250 Pastellen, Grafiken und Aquarellen, die sie kurz vor ihrer Zwangsumsiedlung nach Kaltental dem Sohn ihrer langjährigen Haushaltshilfe übergibt. Dieser Familie gelingt es, die Mappe in einem Dorf auf der Schwäbischen Alb sicher bis zum Ende des Dritten Reichs zu verstecken.

Gut vernetzt in Stuttgart

Es könnten aber auch noch einige Werke im Besitz von Stuttgartern sein, denn Loewenthal verdiente ihr Geld als Porträtmalerin. In Stuttgart war sie gut vernetzt. Zum Abschluss ihres Studiums erhielt sie 1914 von der Stadt Stuttgart eine Atelierwohnung in der Ameisenbergstraße, in der sie bis zum 1934 verhängten Malverbot arbeitete. Käthe Loewenthal war unter anderem Mitglied der Stuttgarter Sezession, beteiligte sich entsprechend an deren Ausstellungen in der Stadt und außerhalb. Künstlerisch ist in ihren Werken eine Nähe zu dem Schweizer Landschaftsmaler Ferdinand Hodler zu erkennen, bei ihm hat sie von 1895 bis 1897 Malerei studiert. Überhaupt ist die Schweiz sowie die Stadt Bern eine markante Station auf ihrem Lebensweg.

Die Tochter jüdischer Eltern lernt dort eine protestantische Familie kennen, lässt sich taufen und konfirmieren. Wie viele Künstler dieser Zeit ist sie fasziniert von Worpswede in der Lüneburger Heide, von Italien, wo sie 1902 Erna Raabe, Freiin von Holzhausen, kennen lernt. Und auch Impressionen von der Ostseeinsel Hiddensee finden sich in ihrem Schaffen. 1909 zieht sie um nach Stuttgart. Sie wird Mitglied im Württembergischen Malerinnenverein, studiert von 1910 bis 1914 an der Königlich Württembergischen Kunstschule Stuttgart in der von Adolf Hölzl geleiteten „Damenmalklasse“. Hölzel hatte sie vermutlich bei seinen Sommerkursen in Dachau kennen gelernt. In der Folge entstehen neben den Porträts auch viele Landschaftsbilder, die den Schwarzwald, die Schwäbische Alb, das Neckartal und den Taunus zum Gegenstand haben. Durch das Studium kommt sie zu ihrer Atelierwohnung in der Ameisenbergstraße im Vereinshaus des Württembergischen Malerinnen-Vereins.

Das Judenhaus in Kaltental

Das Kaltentaler „Judenhaus“ war eines von vielen in Stuttgart in diesen Jahren. Dort wurden Menschen jüdischen Ursprungs zusammengepfercht, bevor sie in die Gaskammern deportiert wurden. Die Eigentümer dieser Häuser waren Paare, von denen ein Mitglied nicht-jüdischen Ursprungs war. Die Belegung erfolgte zwangsweise, wobei das Kaltentaler Haus vergleichsweise klein war. Dort dürfte es noch recht familiär zugegangen sein. Was es näheres damit auf sich hat, wird die Geschichtswerkstatt Kaltental an einem der nächsten Abende zu diesem Thema präsentieren.

Im heutigen Kunstbetrieb spielt Loewenthal keine Rolle mehr. 1967 hat Ingeborg Leuchs, die Nichte der Künstlerin, der Stuttgarter Staatsgalerie 23 Zeichnungen geschenkt. Drei davon sind digitalisiert und können so zumindest online betrachtet werden. Die anderen werden – wie die Arbeiten vieler anderer Künstler auch – nicht gezeigt. In der städtischen Kunstsammlung gibt es ein „Spargelstillleben“ von ihr aus dem Jahre 1941. Das hat sie wohl an einen Stuttgarter Schreinermeister verkauft. Später gelangte es in den städtischen Bestand und wurde 2018 an die Erben der Künstlerin übergeben. Diese schenkten es wiederum der Sammlung mit der Auflage, die Erinnerung an Loewenthal wachzuhalten. In Gruppenausstellungen gibt es noch einige Verweise auf sie. Die Stuttgarter Autorin Maja Riepl-Schmidt erwähnt sie in ihrem Buch „Wider das verkochte und verbügelte Leben – Frauen-Emanzipation in Stuttgart seit 1800“. Seit 1991 gibt es eine Käthe-Loewenthal-Straße in Riedenberg – und einen Stolperstein zu ihrem Gedenken in der Ameisenbergstraße 32.